Der wundersame Katzenfisch

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Wahlverwandtschaften und Familienbande

Turbinengeräusche, tropfendes Wasser sind am Anfang von Der wundersame Katzenfisch zu hören. Die Kamera fährt in ein Zimmer, in dem die 22-jährige Claudia (Ximena Ayala) gerade aufwacht. Sie holt Milch aus einer Kühlbox, schüttet sich Cerealien in eine Schüssel und sucht sorgsam die lilafarbenen Loops heraus. Dann steht sie auf, fährt zur Arbeit und kehrt abends in ihr Zimmer zurück. Zu anderen Menschen hat sie nur flüchtig Kontakt, sie grüßt Kolleginnen und den Wachmann, aber sie scheint keine Freunde zu haben. Es ist ein gleichförmiges Leben, ein emotionaler Stillstand, in dem sich Claudia befindet.
Eines Abends bekommt sie starke Schmerzen und landet mit einer Blinddarmentzündung in der Notaufnahme. Abgetrennt durch einen Vorhang, der die Privatsphäre schützen sollen, aber auch Claudias Abgeschiedenheit von anderen Menschen symbolisiert, hört sie die aufgeregten Stimmen einer Familie. Die an Aids erkrankte Martha (Lise Owen) wurde eingeliefert, ihre Töchter organisieren den Aufenthalt und ihre Abwesenheit zu Hause, ihr jüngster Sohn möchte bei ihr bleiben und schlägt heimlich sein Lager unter dem Bett auf. Dann zieht Martha den Vorhang ein wenig zur Seite und blickt zu Claudia. Mit dieser Bewegung dringen Martha und ihre Familie in Claudias Leben ein und verändern es.

Nach der Operation nimmt Martha Claudia mit zu sich nach Hause und sie essen zusammen. Anfangs kaschiert Claudia ihr Alleinsein, ihre Einsamkeit, aber durch den Kontakt zu Martha und ihre Familie lernt sie ein anderes Leben kennen. Sie begegnet Fürsorge, Anteilnahme und ein selbstverständliches Zusammensein. Jedes der Kinder hat seine eigenen Probleme und Sorgen: die pubertierende Mariana (Andrea Baeza) isst kaum, die ältere Wendy (Wendy Guillén) ist selbstmordgefährdet, die älteste Ale (Sonia Franco) mit der Organisation der Familie überfordert und der jüngste Armando (Alejondro Ramírez Muñoz) weiß nicht, wie er mit dem bevorstehenden Tod der Mutter umgehen soll. Mit Claudia können sie jenseits von Geschwisterrivalitäten und voreingenommenen Wahrnehmungen über ihre Schwierigkeiten reden. Dadurch wächst Claudia in diese Familie, zugleich bemerkt sie bei einem Ausflug an den Strand aber auch die Natürlichkeit im Umgang der Familie miteinander, die sie nicht hat. Mit ihren Augen werden für den Zuschauer die Bande sichtbar, die eine Familie verbindet. Bande, die zugleich Wärme vermitteln und einengen können. Hauptdarstellerin Ximena Ayala spiegelt diese Ambiguität wider: Sie hat eine Verlorenheit im Blick und ihrem Verhalten, die zwar im Verlauf der Films zurückgeht, aber bis zum Schluss zu erkennen ist.

Durch die Bildsprache wird diese Entwicklung sehr eindringlich deutlich. Kamerafrau Agnes Godard zeigt die anfängliche Statik in Claudias Leben durch starre Bilder, die von oben auf Claudias Handlungen blicken oder ihre Wege sehr ruhig verfolgen. Das Chaos in Marthas Familie hält sie hingegen mit einer Handkamera fest, die perspektivisch zwischen den Familienmitgliedern hin und her wechselt und auf diese Weise das Durcheinander einfängt. Zu Claudia hält die Kamera hingegen lange eine Distanz, die erst allmählich zurückgeht – und somit ihre Annäherung an die Familie im Bild ausdrückt.

In Der wundersame Katzenfisch erzählt Regisseurin Claudia Sainte-Luce eine autobiographisch geprägte Geschichte: Nachdem sie mit 17 Jahren von zu Hause weggegangen ist, führte sie ein einsames Leben. Dann lernte sie mit 22 Jahren Martha und deren Familie in Guadalajara kennen und sie wurden zu ihrer Ersatzfamilie. Diese Begegnung erweitert sie mit Details, Episoden und Figuren voller Ecken und Kanten, so dass in diesem wunderbaren Film herzerwärmende und traurige Momente sehr dicht beieinander liegen. Dadurch erzählt er fast beiläufig von den Begegnungen, die unser Leben verändern und erlaubt Einblicke in Wahlverwandtschaften und die Bande einer Familie.

Der wundersame Katzenfisch

Turbinengeräusche, tropfendes Wasser sind am Anfang von „Der wundersame Katzenfisch“ zu hören. Die Kamera fährt in ein Zimmer, in dem die 22-jährige Claudia (Ximena Ayala) gerade aufwacht. Sie holt Milch aus einer Kühlbox, schüttet sich Cerealien in eine Schüssel und sucht sorgsam die lilafarbenen Loops heraus. Dann steht sie auf, fährt zur Arbeit und kehrt abends in ihr Zimmer zurück.
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