Der Wein und der Wind

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Frühling, Sommer, Herbst und Winter … und Frühling

Im letzten Jahr war in den deutschen Kinos ein Dokumentarfilm mit dem Titel Von Trauben und Menschen zu sehen, nun folgt mit Cédric Klapischs neuem Werk Der Wein und der Wind ein Spielfilm, der sich ausnimmt, als sei er eine fiktionalisierte Ausarbeitung und Weiterführung der Grundthesen jenes vorausgegangenen Films. Dabei geht es aber keineswegs nur um die Vorzüge gewisser Terroirs und um die Wichtigkeit von Sorgfalt und Liebe bei der Herstellung eines guten Tropfens, sondern auch um die Widrigkeiten und Grundbedürfnisse jener Menschen, die sich dem Weinbau verschrieben haben. Und es wundert kaum, dass sich deren Sorgen und Nöte kaum groß von denen aller anderen unterscheiden.

Es beginnt mit einer Montage des immer gleichen, an ein Gemälde erinnernden Blicks auf einen Weinberg, den wir im Wandel der Jahreszeiten sehen: Zunächst im Sommer, dann im Herbst, wenn die Blätter sich verfärben, dann in Schnee gehüllt und schließlich im Frühling, wenn neues Leben erwacht — ein Kreislauf des Werdens und Vergehens, des Erblühens und des Sterbens, gesehen durch die Augen eines Kindes.

Zehn Jahre lang war der mittlerweile 30-jährige Jean (Pio Marmaï) nicht mehr zuhause, nun im Spätsommer, kurz vor der Weinlese, kehrt er auf das elterliche Weingut zurück. Nach einem Streit mit seinem strengen Vater ist Jean damals aus der Enge des Burgund aufgebrochen in die weite welt, mittlerweile lebt er mit Frau und Kind in Australien — buchstäblich am anderen Ende der Welt — gerade so, als habe er nicht genug Kilometer und Ozeane zwischen sich und seinen Vater bringen können. Und doch ist er auch er in der Ferne seiner Herkunft irgendwie verbunden geblieben, denn immer noch beschäftigt er sich beruflich mit Wein und arbeitet im land down under auf einem „kleinen“ Gut (das immer noch um ein Vielfaches größer ist als das elterliche Anwesen). Nun liegt der Patron im Sterben und so ist die letzte Gelegenheit gekommen, um die Dinge vielleicht noch einmal in Ordnung bringen zu können, nachdem so lange Schweigen und ohnmächtige Wut herrschte. Doch wie versöhnt man sich, wenn einem alles fremd vorkommt und doch zugleich über die Maßen vertraut ist? Wie nähert sich Jean wieder seinen Geschwistern Juliette (Ana Girardot) und Jérémie (François Civil) an, die anders als Jean im Burgund geblieben sind und die sich der Pflege des Weins wie der Familientraditionen verschrieben haben? Bei den Vorbereitungen zur Ernte, die sie nun gemeinsam leisten und die vielleicht die letzte sein wird, da die zu erwartenden horrenden Erbschaftssteuern das Kleinunternehmen in den Ruin treiben können, geht es nun ans Eingemachte — ob der Wein und die Versöhnung der zerrütteten Familie gelingt, ist allerdings völlig offen.

Wer die Filme von Cédric Klapisch kennt (So ist Paris, Beziehungsweise New York, Mein Stück vom Kuchen), der dürfte schnell ahnen, was ihn in dessen neuem Werk Der Wein und der Wind erwartet: Gediegenes Erzählkino für die Generation von Arthouse-Kinogängern, die im Jahre 2002 schon in Klapischs Auslandssemester-Film L’auberge espagnol — Barcelona für ein Jahr geströmt sind und die seitdem ebenso um 15 Jahre gealtert sind wie die damaligen Protagonisten. Von dem fast noch jugendlichen Übermut und den Abenteuern eines ERASMUS-Studienjahres sind die Probleme der drei Hauptfiguren in Der Wein und der Wind in Wirklichkeit typisch für Menschen (und damit Zuschauer) in ihren Vierzigern: Der Abschied von den Eltern und damit häufig genug die ausstehende Aufarbeitung der familiären Vergangenheit, die Frage nach den Traditionen und ob man diese bewahren oder nicht viel lieber loswerden will — all dies sind Fragen, die Klapisch behutsam in sein ebenso entschleunigtes wie geerdetes Familiendrama einfließen lässt und das vermutlich bei der anvisierten Zielgruppe auf reichlich Resonanz stoßen dürfte. Verstärkt wird dies noch durch die Verknüpfung mit dem Thema Wein, das in den letzten Jahren ein erheblich gesteigertes Interesse verzeichnen kann — steht es doch zumindest in unserer (oftmals idealisierten) Vorstellung für einen pfleglichen und harmonischen Umgang mit der Natur und ihren Gaben, für Erdverbundenheit, handwerkliches Können, uralte Traditionen und all die anderen Charakteristika, die plötzlich wieder eine Renaissance erleben.

In gewisser Weise ähnelt der Filmemacher Cédric Klapisch den Menschen, von denen er erzählt: Er ist ein solider Handwerk mit einem guten Riecher für den Geschmack (s)eines Publikums, das vom Kino keine Innovationen will, sondern vor allem Variationen des Altbekannten. Und genau das liefert Der Wein und der Wind ebenso zuverlässig wie vorhersehbar: Wäre sein Film ein Wein, dann mit Sicherheit kein Grand Cru, aber ein bodenständiges Gewächs, bei dem man die Mühe ebenso spürt wie Kennerschaft — und der neben allem Erwartbaren dennoch eine gewisse Tiefe nicht vernachlässigt.
 

Der Wein und der Wind

Im letzten Jahr war in den deutschen Kinos ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Von Trauben und Menschen“ zu sehen, nun folgt mit Cédric Klapischs neuem Werk „Der Wein und der Wind“ ein Spielfilm, der sich ausnimmt, als sei er eine fiktionalisierte Ausarbeitung und Weiterführung der Grundthesen jenes vorausgegangenen Films.

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Meinungen

Martin Zopick · 02.04.2023

Ein warmherziges Familienportrait, dass das Leben der Winzer ernst nimmt und neben den vielen fachlichen Hinweisen eindrucksvoll die familiären Verbindungen in den Vordergrund stellt. Für drei Geschwister ist und bleibt der Hof ihr Lebensinhalt. (Originaltitel!) Beim deutschen Untertitel fragt man sich, was der ‘Wind‘ dabei soll.
Jean (Pio Marmai), Juliette (Ana Girardot) und Jérémie (Francois Civil) sind die Kinder eines Winzers in Burgund. Jean ist durch die Welt gereist, ist verheiratet und hat sich als Winzer in Australien niedergelassen, Jérémie ebenfalls, wohnt aber bei den Schwiegereltern nebenan. Nur Juliette wohnt noch auf dem Hof und betreibt den Weinbau der Familie weiter.
Als der Vater stirbt, kommen alle drei Geschwister wieder zusammen. Sie durchleben alle möglichen Probleme des Weinbaus und untrennbar damit verbunden erfahren sie ihre eigene Vergangenheit erneut: mit Ehekrise, Verkaufsprobleme, Streitereien über den Anbau und Ausbau ihres Weins werden sehr unterhaltsam dargestellt. Das geht vom Ausgeizen der Triebe übers Trauben Treten, bis hin zu einer Aktion, bei der sich die respektlosen Weinleser mit Trauben bewerfen. Regisseur Klapisch hat es gekonnt vermieden eine Schmonzette zu machen, weil die menschliche Tiefe immer wieder erneut ausgelotet wird und so findet der Plot auch ein unerwartetes Ende, das alle drei dieser Erbengemeinschaft zufriedenfinden. Der Sieg der Familie ist durchaus realistisch ohne zu idealisieren.