Der Stern von Indien

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der schwierige Weg in die Unabhängigkeit

Wenn man eine halbwegs ordentliche Geschichtsbildung sein eigen nennen kann, weiß man um den Fakt, dass im Jahr 1947 Indien seine Souveränität erlangte. Nach mehreren hundert Jahren Besatzung durch die Briten wurde das Land endlich dem Volk zurückgegeben.
Doch auch hier hatte die britische Kolonialpolitik tiefe Wunden hinterlassen. Das Volk war gespaltener denn je, nachdem die Besatzer jahrzehntelang dafür gesorgt hatten, dass sich religiöse Gemeinschaften gegeneinander wandten. Wenn Hindus, Muslime und Sikh sich gegenseitig bekämpfen, lässt sich das Land einfacher im Zaum halten. In all diesem Chaos, das auch Mahatma Gandhi nicht vereinen konnte, soll er, der Vizekönig Louis Mountbatten, das Land jetzt zur Souveränität führen.

Der Stern von Indien (im Original heißt der Film Viceroy’s House) klingt zunächst wie ein typisches Kostümdrama mit geschichtlichem Hintergrund. Doch an diesem Film ist viel mehr dran, als man anfangs vermutet. Noch vor Beginn der Handlung erscheint der Satz „Die Geschichte schreiben immer die Gewinner“. Doch nicht dieses Mal. Dieser Film ist von Gurinder Chadha (Kick it Like Beckham) gemacht, deren Familie aus dem Punjab stammt und direkt unter den Folgen der britischen Übergabe litt. Es ist hier also nicht der Gewinner, der die Geschichte erzählt. Diese entstammt vielmehr indischer Sicht und genau dies versucht der Film auch zu vermitteln. Ohne völlig einseitig zu sein und die Fehler der sonst die Geschichte Schreibenden zu wiederholen. Und so wählt Chadha einen interessanten Weg und fährt zweigleisig. Zum einen begleitet sie den Vizekönig (Hugh Bonneville) und seine Frau (Gillian Anderson) beim Einzug in den Königspalast. Parallel zu ihnen zieht Jeet (Manish Dayal), ein junger Mann aus dem Punjab, dort ein. Er wird der persönliche Bedienstete des Vizekönigs. Dort trifft er auch die Liebe seines Lebens wieder: Aalia (Huma Qureshi). Er kennt sie von früher, als er als Polizist gearbeitet hat und ihr Vater einer der Gefangenen war. Jeet war gütig zu ihm und half der Familie so gut es ging. Und wie gern würde er Aalia heiraten. Aber nicht nur ist sie einem Anderen versprochen, sie ist Muslima. Und er ist Hindu. Eine unmögliche Liebe in diesen politischen Zeiten also. Doch Jeet ist nicht das einzige Beispiel für die tiefen religiösen Probleme. Die gesamte Belegschaft des Hauses stammt aus allen drei Religionen und die Gräben zwischen ihnen werden tiefer. Vor allem weil eine Idee im Raum steht, die Indien für immer verändern soll: Pakistan.

Er wird als der Mountbatten-Plan in die Geschichte eingehen: Die Abtrennung der hauptsächlich muslimischen Gebiete Indiens, die ein souveränes Land werden sollen. Denn Muslime sind in Indien die Minderheit und fürchten ständige Verfolgung. Das Problem dabei sind der Pujab und Bengal, denn hier mischen sich alle Religionen so stark, dass nicht einvernehmlich gesagt werden kann, an wen das Gebiet fallen würde. All dies will Mountbatten eigentlich nicht, doch es scheint, als ließe es sich nicht vermeiden. Chadhas Film nimmt sich viel Zeit, ihm bei den Verhandlungen mit den verschiedenen Gruppen zuzusehen und seine Zwickmühle genau abzuzeichnen. Und die verschärft sich massiv, denn Unruhen erschüttern das Land und kosten Tausenden das Leben. Jeet ist immer wieder, aus der Sicht des stillen, aber aufmerksam zuhörenden Dieners, dabei. Er und seine Freunde erleben mit, wie über ihr Land bestimmt wird, und sie wissen genau, was dabei auf dem Spiel steht, ohne jedoch in irgendeiner Weise selbst eine Stimme zu haben.

Der Stern von Indien lebt von dieser interessanten Mischung der Sichtweisen auf dieses geschichtliche Ereignis, das mit der Aufteilung Indiens und der größten Völkerwanderung der Moderne enden soll. Dies spiegelt sich auch in den Beteiligten wider. Das gesamte Ensemble besteht aus Menschen verschiedener Herkunft, die aber alle in irgendeiner Weise von diesen Ereignissen beeinflusst wurden. Gurinder Chadhas Mutter war beispielsweise eine von 14 Millionen Menschen, die nach der Teilung flüchten mussten. Viele starben, Chadhas Mutter verlor ihr Kind. Und auch bis heute hat dieses Großereignis Auswirkungen. Nicht nur auf einzelne Lebenswege, sondern auf die gesamte Weltpolitik. Das macht Chadha unmissverständlich klar. Und hier wird der Film absolut relevant und größer als seine Einzelteile. Hier spielt sie die wahre Größe ihrer Geschichte aus und zeigt im Kleinen, was es für Langzeitfolgen hat, wenn eine Kultur die andere unterdrückt, statt zu würdigen, wenn sie sie beherrscht, zertritt, nicht respektiert, ihr das Land, die Würde und die Eigenständigkeit nimmt. Wenn heute Europa und die restlichen westlichen Staaten und ehemaligen Kolonialmächte mit Flüchtlingswellen konfrontiert sind, so hat dies eindeutig mit ihrer Besatzerpolitik und ihrer Respektlosigkeit im Umgang mit anderen Völkern zu tun.

Doch auch wenn man Gurinder Chadha hierfür großen Respekt entgegenbringen mag, bleibt der Film über große Strecken als Erzählkino hinter den Erwartungen zurück. Zu oft verliert er sich in Oberflächlichkeiten, wenn es um die einzelnen Charaktere geht. Die Liebesgeschichte ist oft nur Geste, für westliches Publikum zu kitschig, für indisches zu wenig. Auch die britischen Royals bleiben in ihren höchst engen Charakteren stecken und schaffen nie einen emotionalen Übersprung. Es ist eigenartig. Obwohl klar ist, was für eine wichtige Geschichte hier erzählt wird und wie viele persönliche und intime Vernetzungen hier zusammenführen, ist es dem Film nicht vergönnt, die emotionale Tiefe und Wichtigkeit zu entwickelt, die seinen MacherInnen definitiv vorschwebte.

Der Stern von Indien

Wenn man eine halbwegs ordentliche Geschichtsbildung sein eigen nennen kann, weiß man um den Fakt, dass im Jahr 1947 Indien seine Souveränität erlangte. Nach mehreren hundert Jahren Besatzung durch die Briten wurde das Land endlich dem Volk zurückgegeben.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 09.08.2022

Der erste Film von Gurinder Chadha, der mich zutiefst enttäuscht hat. Es ist vielleicht ihre emotionale Bindung an ihre Familie, die hier eine Schmonzette übelster Art hervorgebracht hat. Die historische und religiöse Gemengelage der verschiedenen Religionsgruppen, die hier gegen einander kämpfen wird vorausgesetzt. Dass die Gattin (Gillian Anderson) des titelgebenden Vizekönigs Mountbatten (Hugh Bonneville) hier als einzige den Durchblick behält, mag noch als emanzipatorischer Knaller am Rande durchgehen. Fragwürdiger hingegen ist ihr Einsatz als Diplomatin und Küchenchefin. Viel schlimmer ist es, dass historischen Figuren wie Ghandi und Nehru nur ganz unvermittelt marginal eingesetzt werden, ohne ihre politischen bzw. philosophischen Ansichten zu würdigen.
Stattdessen versackt der Plot in einer melodramatischen Lovestory zwischen Jeet, einem Hindu (Manish Dayal) und der schönen Aalia einer Muslima (Huma Qureshi). Man kann nicht verstehen warum es zwischen den beiden nicht klappt. Nur soviel wird deutlich, dass es nicht doch klappt. Gäbe es da nicht das tränenreiche Wiedersehen über eine Lagermikrofon.
Der monumentale Aufwand, die verwirrende Personenvielfalt, die Theatralik in den ewiglangen Dialogen sind nur einige Knackpunkte, die den Zuschauer zunächst erstaunen, dann im überzuckerten Ende mit heftigem Druck auf die Tränendrüse für Verstimmung sorgen. Und die eingestreuten historischen Aufnahmen machen aus dem Film noch lange keine Geschichtsdoku.

Chris · 27.08.2017

Durchaus traf der Film eine emotionale Ebene, er war sehraausdrucksstark, mit wunderbaren Schauspielern. Der Film zeigt, dass es immer wieder nur um Macht, Geld und Besitztum geht. Und dass die Menschheit nicht dazulernt und nicht tolerant ist. Ich glaube auch ....ich frage mich was füreinen Grund es geben kann , sich wg seinem Glauben und dem des anderen zu streiten oder gar ddafür zu töten. 15 000 000 Menschen mussten deswegen 1947 fliehen und viele starben grausam.