Der Mohnblumenberg

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Abschied vom Gestern

Hayao Miyazaki (Chihiros Reise ins Zauberland, Prinzessin Mononoke) gehört zweifellos zu den ganz Großen des japanischen Kinos. Umso schwerer wog es, als der Mitbegründer des legendären Studios Ghibli im Sommer beim Filmfestival von Venedig bekannt gab, dass sein dort gezeigter Film The Wind Rises sein letztes Werk sein werde, bei dem er Regie geführt hat. Immerhin scheint es so zu sein, dass die Tradition des Studios Ghibli auch in Zukunft fortgeführt werden soll – und mit seinem Sohn Goro hat der Altmeister des japanischen Anime-Films einen Nachfolger auserkoren, der schon vor zwei Jahren mit Der Mohnblumenberg eine zweite Talentprobe (nach Die Chroniken von Erdsee aus dem Jahre 2006) ablegte. Nun kommt der Film mit deutlicher Verspätung auch in die deutschen Kinos und verspricht trotz mancher Schwächen den Fortbestand von Ghibli.
Schon die Musik und die ersten Einstellungen machen klar, dass Der Mohnblumenberg zu den eher seltenen Werken aus dem Hause Ghibli gehört, die weder mit fantastischen noch mit mystischen Elementen punkten, sondern deren Zauber einen anderen Namen trägt: NOSTALGIE!

Im Kern handelt die Geschichte, die in Yokohama zu Beginn der 1960er Jahre angesiedelt ist, von der 16-jährigen Umi, deren Vater als Soldat im Koreakrieg fiel. Da sich Umis Mutter als Professorin für Medizin gerade in den USA befindet, lebt das Mädchen gemeinsam mit seinen Geschwistern Sora und Riku im Haus der Großmutter Hana, wo es die Familie und die Untermieter mit ihren Kochkünsten verwöhnt. Aus Sehnsucht nach ihrem Vater hisst Umi jeden Morgen eine Signalflagge im Garten des Hauses, die eigentlich den Seeleuten eine gute Heimkehr signalisieren soll. Dann lernt sie in der Schule den Jungen Shun kennen, der sich für den Erhalt des baufälligen Clubhauses der Schülerschaft einsetzt und die beiden nähern sich behutsam einander an – bis Shun eines Tages ein Foto von Umis Vater bei ihr sieht und sich daraufhin von ihr zurückzieht…

Vergleichsweise gemächlich windet sich Der Mohnblumenberg an der Storyline entlang, lässt sich viel Zeit für kleine Details und nette Beobachtungen des Alltags in den 1960er Jahren, für Atmosphärisches, das dann und wann die Grenze zum Kitschigen überschreitet – und für eine Geschichte, die sich auf den ersten Blick recht unspektakulär und „klein“ ausnimmt. Seine Wirkung entfaltet die zarte Liebesgeschichte, bei der die Rettung des Clubhauses eine eher untergeordnete (Katalysator)-Funktion einnimmt, eher beiläufig, fast schon subliminal schleicht sich der Zauber der leisen und auch ein wenig sentimentalen Geschichte an.

Trotz der milden Traurigkeit, die über der Geschichte liegt, strahlt der Film aus verschiedenen Gründen einen Optimismus aus, der die Tonalität der Erzählung deutlich bestimmt: Zum einen liegt das an der zeitlichen Verortung: Kurz vor den Olympischen Spielen, die 1964 in Tokyo stattfanden, befindet sich das Land in einer Aufbruchstimmung. Bei der Jugend spürt man noch den idealistischen Geist, der dem Land und der Gesellschaft später während des Wirtschaftsbooms abhanden kommen wird. Hinzu kommt die Farbpalette und der Animationsstil, derer sich Miyazaki bedient – irgendwo zwischen Anime und der „ligne claire“ europäischer Prägung bewegen sich die Bilder und machen, ergänzt durch den eher realistisch bis nostalgisch geprägten Ansatz der Erzählung, den Film eher zu einem Werk für Erwachsene als für Heranwachsende, denen hier das fantastische Element zu kurz kommen dürfte.

Zudem fällt es schon auf, wie sehr der Film trotz dezenter Gesellschaftskritik ein überwiegend idealisiertes Bild Japans zeichnet. Das Leiden am Krieg und die damit verbundenen Traumata sind zwar als Trigger für die Story fest in den Figuren verankert, dennoch aber funktionieren diese tadellos und scheinen wie durch ein Wunder immun zu sein gegen allzu heftige Auswirkungen auf die geistige Gesundheit. Fast scheint es so, als setze sich das Verdrängen der Nachkriegsgeneration auf das Erlittene in den Figuren nahtlos fort – und es gibt kaum ein Anzeichen dafür, dass Goro Miyazaki das in irgendeiner Weise kritisch beleuchtet oder überhaupt nur registriert.

In dieser Zwiespältigkeit und dem unbedingten Willen zur nostalgisch verklärten Harmonie liegt auch ein wenig die Crux dieses Films begründet: Zu sehr ist der japanische Animefilm in Deutschland bislang eine Domäne des überwiegend jugendlichen Publikums und zu sehr überwiegen bei älteren Zuschauern bislang immer noch die Vorbehalte gegen Trickfilme. Der Mohnblumenberg bietet trotz einer sympathischen Geschichte für beide Zielgruppen keine überzeugenden Argumente für einen Kinobesuch. Es reicht, wenn man die Veröffentlichung auf DVD abwartet.

Der Mohnblumenberg

Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“, „Prinzessin Mononoke“) gehört zweifellos zu den ganz Großen des japanischen Kinos. Umso schwerer wog es, als der Mitbegründer des legendären Studios Ghibli im Sommer beim Filmfestival von Venedig bekannt gab, dass sein dort gezeigter Film „The Wind Rises“ sein letztes Werk sein werde, bei dem er Regie geführt hat.
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