Das Wetter in geschlossenen Räumen

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Vanitas vanitatum

Das Wetter in den Hotelräumen, die Dorothea Nagel (Maria Furtwängler) bewohnt, ist reichlich wechselhaft. Heiter bis wolkig, stürmisch, manchmal eiskalt und dann wieder extrem schwül. Frau Nagel ist PR-Officer und Spendeneintreiberin für das UN-Flüchtlingshilfswerk, sie tut hauptberuflich Gutes. Und Frau Nagel ist eine Societyschnepfe, ihre Frisur ist wichtiger Teil ihres Jobs, im Delirium akquiriert sie die meisten Spenden, Alkohol und weitere Drogen beherrschen ihr Luxusleben in der Hotelsuite ebenso wie ihr junger Lover Alec (Mehmet Sözer). Dorothea Nagels Hobby: Hedonismus. Isabelle Stever (Erste Ehe, Glückliche Fügung) blickt in Das Wetter in geschlossenen Räumen auf die Atmosphäre in der internationalen Flüchtlings- und Kriegshelferverwaltung, mit all ihren Hochs und Tiefs.
Charity, gut aussehen, fein leben, ab und zu ein Plausch mit dem britischen Botschafter (Jim Broadbent in einer feinen Gastrolle), dazwischen Turteln mit dem Liebhaber und Arbeit an diesem wichtigen Projekt: Dorothea Nagel hat’s gut in diesem ungenannten Land irgendwo in Nahost, mitten unter kriegsgeschüttelten Nachbarstaaten. Jungen Frauen will sie Stipendien verschaffen im Westen, alles ist geregelt, die UN hat einen 24-Stunden-Waffenstillstand ausgehandelt. Die Grenzen sind offen, die Flüchtlinge können kommen. Und dann kann das süße Leben weitergehen.

Doch es gibt ein Problem für all die Helfer in diesem schicken Luxushotel: die Flüchtlinge trauen sich nicht. Sie wollen ihre Heimat beschützen. Das Zeltlager ist leer. Und nur ein einziges Mädel ist aufzutreiben für dieses Vorzeigeprojekt. Wem soll man helfen? Wohin mit all dem Spendengeld? Wie soll man seine Aufgabe, seine Existenz rechtfertigen? „Menschen, deren Geschäft die Armut ist, deren Networking, Rivalitäten und Strategien der Schmeichelei vor dem Hintergrund des von den Medien dargestellten ‚echten‘ Elends in Krisengebieten stattfindet“, wollte Isabelle Stever porträtieren: Den Überbau der Hilfsdienste zeigt sie in all seiner eitlen Dekadenz; und das scheint gar nicht aus der Luft gegriffen zu sein, denn das, was hier läuft, wird mit schlüssiger Stringenz entwickelt. Ein kleines Gedankenspiel: Was, wenn die Helfer ohne Hilfsbedürftige sind? Und was macht man eigentlich am Feierabend in einem fremden Land? Und wie sieht es in der abgekapselten Blase westlicher Stärke inmitten eines Elendslandes aus?

Dorothea kennt ganz gute Strategien gegen Panikattacken, die von ständigen Detonationen im Hintergrund ebenso ausgelöst werden können wie von der ständigen Leere in der riesigen Suite: Musikhören und Lesen sind noch die zivilisierteren, Körperpflege, sprich: Nagelmaniküre schon etwas exzentrischer, viel Schnaps ist die Allzweckwaffe. Ausgebombte Autos und UN-Panzerwagen auf der Straße sieht sie schon gar nicht mehr; höchstens, dass sie mal nachts bei einer ihrer Privatpartys die Franzosen dazu verführt, sie ein bisschen im Panzer rumzukutschieren.

Alec, ihr Lover, ist ein junger Drifter mit deutscher Mutter, der mal romantisch-hündisch an ihr hängt, sie mal eiskalt hängen lässt und durchtrieben-undurchsichtig wirkt, dann aber auch wieder die große Zärtlichkeit verspricht, die eine Frau an die 50 braucht, wenn sie jung wirken will. Kurz: Er passt perfekt zu ihr, Luxusleben ist als gemeinsames Interesse nicht die schlechteste Basis für eine Beziehung, die nicht für die Ewigkeit geschaffen ist.

Dann aber verschwindet das Mädel, das per Stipendium nach London reisen sollte. Eine wilde Party mit dem Sohn des Botschafters führt zu einem verwüsteten Hotelzimmer. Und Dorotheas Vorgesetzte trifft ein, die dem Lotterleben ein Ende setzen will. Zumal das Projekt kaum Ergebnisse zeigt. Von diesem Tiefpunkt für Dorothea aus zeichnet Isabelle Stever auf clevere Weise ein immer noch zynischer werdendes Bild, wenn Dorothea versucht, ihren Ruf, ihr Projekt wiederherzustellen, Alec zurückzugewinnen … Ein Gala-Diner ist der Höhepunkt des Films, zugedröhnt wohnt Frau Nagel diesem Event bei, das eine Menge Projektgelder anwirbt – und bei dem der Stargast, eine Sängerin, heiser ist, die Essenslieferung von Rebellen entführt wurde und die kleinen Kinder, Empfänger der UNHCR-Spenden, ach wie süß, Getränke einschenken dürfen.

Stever kann – wie sie es in ihren vorherigen Filmen gezeigt hat – die Atmosphäre einer Geschichte einfangen, Emotionen ihrer Figuren auf die Spitze treiben und dabei den Zuschauer in einer reizvollen Distanz lassen, die es ermöglicht, sowohl mittendrin und voll dabei zu sein als auch von außen, abwägend, auch belustigt, das Treiben zu beobachten. So erzählt Stever den Leerlauf der Entwicklungshilfe-High-Society aufreizend beiläufig, als völlige Normalität des Alltags, und dadurch umso wirkungsvoller. Eine Bombendrohung im Hotel zeigt sich nur dadurch, dass nun ein Blauhelm-Soldat den Zimmerservice übernimmt; und dass Dorothea Nagel jetzt Gefahrenzulage bekommt, weshalb sie sich ihren Lover Alec noch ein wenig länger leisten kann.

Das Wetter in geschlossenen Räumen

Das Wetter in den Hotelräumen, die Dorothea Nagel (Maria Furtwängler) bewohnt, ist reichlich wechselhaft. Heiter bis wolkig, stürmisch, manchmal eiskalt und dann wieder extrem schwül. Frau Nagel ist PR-Officer und Spendeneintreiberin für das UN-Flüchtlingshilfswerk, sie tut hauptberuflich Gutes.
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