Das Talent des Genesis Potini

Eine Filmkritik von Falk Straub

Gebeuteltes Genie

Um dieses komplexe Brettspiel zu meistern, bedarf es eines brillanten Geistes. Manche seiner Spieler kostet es den Verstand. Regisseur und Drehbuchautor James Napier Robertson bringt mit Das Talent des Genesis Potini die wahre Geschichte eines neuseeländischen Schachchampions ins Kino, der sich durch seine Jugendarbeit verdient gemacht hat.
Genesis Potini (Cliff Curtis) ist ein Bär von einem Mann. Wenn er mit seinem zur Hälfte kahlgeschorenen Schädel, seinen kaputten Schneidezähnen, in eine farbenprächtige Decke gehüllt und mit rosa Crocks an den Füßen verwirrt durch den Regen irrt, in einem Laden Unterschlupf sucht und eine Partie Schach gegen sich selbst spielt, kann einem dieser buntscheckige Hüne gehörig Angst einflößen. Schnell schimmert hinter dieser seltsamen Erscheinung jedoch Gutmütigkeit durch. Der wuchtige Maori ist eher der kuschelige Teddy denn der gefährliche Grizzly.

Diesen Part übernehmen in James Napier Robertsons zweitem Langfilm die Mitglieder eines Motorradclubs. Als Genesis, der unter einer bipolaren Störung leidet, aus der Psychiatrie entlassen wird, kommt er bei seinem Bruder Ariki (Wayne Kapi) unter. Der haust mit seinem 15-jährigen Sohn Mana (James Rolleston) und einer Handvoll Clubmitglieder in einer Bruchbude. Außer Drogen zu konsumieren und Karten zu spielen, scheinen die ungehobelten Biker nicht viel zu tun. Zwischen vollen Aschenbechern und leeren Bierflaschen herrscht das Gesetz des Stärkeren. Bald soll auch Mana diesen modernen Kriegern angehören. Die pflegen zwar immer noch Aufnahmerituale, könnten aber kaum weiter von ihrer ruhmreichen Stammeskultur entfernt sein.

Der Onkel sähe seinen Neffen lieber in einer ganz anderen Runde: jenem Schachclub für Jugendliche, zu dem Genesis kurz nach seiner Entlassung stößt. Einst, bevor ihn seine Krankheit bremste, nannten sie den talentierten Spieler „The Dark Horse“, nach dem schwarzen Springer auf dem Schachbrett. Gemeinsam mit seinem alten Freund Noble (Kirk Torrance) will Genesis den Jugendlichen nun etwas von seinem Wissen zurückgeben. Genesis‘ ambitioniertes Ziel ist die Juniorenmeisterschaft in Auckland. Für die vorlauten Kids aus Problemfamilien heißt das in erster Linie trainieren, trainieren, trainieren, aber auch, sich auf ihre maorischen Wurzeln zu besinnen und diese nicht länger als Makel zu empfinden.

Das Talent des Genesis Potini ist mehr als ein klassischer Sportfilm um eine Gruppe Außenseiter, die es den Etablierten zeigen wollen. Er ist das Porträt eines getriebenen Geistes, der um gesellschaftliche Anerkennung kämpft. Cliff Curtis (Fear of the Walking Dead), der sein Spielfilmdebüt in Jane Campions Das Piano (1993) gab und bereits ein Jahr später in Lee Tamahoris Die letzte Kriegerin (1994) den Durchbruch schaffte, liefert mit seiner Darbietung dieses zerrissenen Schachgenies eine seiner eindrücklichsten Leistungen. In seinem Spiel stimmt jede Geste, jedes Zittern der Hände, jedes nervöse Kratzen am Kopf, die geduckte Körperhaltung ebenso wie der Stimmwechsel zwischen leiser Zurückhaltung und energischer Euphorie. Die Nachwuchsdarsteller James Rolleston und Niwa Whatuira, der das größte Talent des Jugendclubs spielt, sowie der Straßenmusiker Wayne Hapi, der als Genesis‘ Bruder ein beachtliches Filmdebüt gibt, ergänzen Curtis‘ Leistung wunderbar.

James Napier Robertson setzt diese Geschichte sehr gelassen in Szene. Das für Sportfilme mit sozialkritischen Untertönen häufig unvermeidliche Pathos ist dem Regisseur völlig fremd. Denson Bakers agile Kamera ist nah an den Figuren, fängt die Innenräume düster, die Außenaufnahmen mit viel Gegenlicht ein. Das verleiht dem Film eine gewisse Leichtigkeit, die beständig zu kippen droht. Die aggressive Stimmung der Biker liegt ebenso spürbar in der Luft wie Genesis‘ schwankendes Gemüt. Wenn er am Ende mit seinem Neffen in den Sonnenaufgang fährt, hat er damit endlich eine alte Schuld abgegolten.

Das Talent des Genesis Potini

Um dieses komplexe Brettspiel zu meistern, bedarf es eines brillanten Geistes. Manche seiner Spieler kostet es den Verstand. Regisseur und Drehbuchautor James Napier Robertson bringt mit „Das Talent des Genesis Potini“ die wahre Geschichte eines neuseeländischen Schachchampions ins Kino, der sich durch seine Jugendarbeit verdient gemacht hat.
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Meinungen

Louisa · 30.06.2016

Das freut mich jetzt aber riesig, Cinetal! Wie toll, dass dieser Spitzenfilm auch in meiner kleinen Heimatstadt gespielt wird. Er hat mich sehr beruehrt und gleichzeitig bestens unterhalten. Und er beleuchtet mal die darke Seite der Gesellschaft in Neuseeland und das riesige Gang-Problem des Landes, das ja oft nur als gruenes Paradies dargestellt wird. Ich bin stolz auf euch!