Copacabana

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die One-Woman-Show der Isabelle H.

Augerechnet Ostende, mag sich Babou (Isabelle Huppert) denken, die eigentlich von der Copacabana träumt. Doch nun hat es sie in den winterlich kalten belgischen Badeort verschlagen, der seine besseren Tage hinter sich hat. Was sich vermutlich auch von Babou sagen lässt, die normalerweise in Tourcoing in der Region Nord-Pas-de-Calais wohnt – bei den Sch’tis also. Weil sie aber dringend einen Job braucht, hat sie den Sprung gewagt und soll nun an der eiskalten belgischen Nordseeküste Ferienappartements verhökern bzw. für den Makler interessierte Touristen – vornehmlich aus Großbritannien – herbeischaffen.
Andererseits: Vielleicht bietet sich ihr ja genau eine Chance, das Leben nochmal neu zu beginnen. Zuhause bringt sie kein Bein mehr auf den Boden. Mit ihrer notorischen Unpünktlichkeit vermasselt sie ein Vorstellungsgespräch. Das Verhältnis zu ihrer Tochter Esméralda (gespielt von Lolita Chammah, der Tochter Isabelle Hupperts), die viel vernünftiger ist als ihre Mutter, ist sowieso eher angespannt, weil der Tochter der unkonventionelle Lebensstil der Mutter nicht passt. Dass Esméralda – ganz das Gegenteil ihrer Mutter – ihre spießige Hochzeit plant und offensichtlich vorhat, Babou nicht einzuladen, weil ihr das peinlich wäre (angeblich, so der Plan der Tochter, weile die Mutter in Brasilien, was ja in gewisser Weise auch fast der Wahrheit entspricht), verschärft die Gegensätze zwischen den beiden Frauen noch zusätzlich. Und die Männer in Babous Leben – mon dieu, die sind in der beschaulich-verschlafenen Kleinstadt sowieso kaum der Rede wert. Wer hier geblieben ist, hat es sowieso nicht geschafft, ist ein Versager. Wie Babou. Doch die will es allen noch einmal zeigen, sich auf eigene Beine stellen und endlich etwas aus ihrem Leben machen. Vor allem aber will sie ihrer Tochter wieder näher kommen und ihr beweisen, dass die sich nicht für sie zu schämen braucht. Und vielleicht ist für Babou dieses Ostende ja auch nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Rio.

Doch auf Reisen kommt es oft anders als man denkt – zumal dann, wenn man einen Umweg nimmt. Was wohl kaum jemand Babou zugetraut hätte – sie macht auf ihre ganz eigene Art ihren Job richtig gut. Weil sie in der Lage ist, sich in die Menschen – also die potenziellen Kunden hineinzuversetzen. Weil sie in dem schmierigen Geschäft mit den Time-Share-Ferienwohnungen eine ehrliche Haut ist (und bleibt). Ganz einfach, weil sie so ist, wie sie ist. Schließlich findet sie in ihrer Vorgesetzten Lydie (Aure Atika) sogar fast so etwas wie eine Freundin – zumindest auf Zeit. Und sie lernt einen Mann (Jurgen Delnaet) kennen, den sie allerdings schnell wieder los wird, kommt ihrer Tochter wieder näher, die ihrerseits gegenüber ihrer Mutter endlich ein wenig offener und toleranter wird.

Es besteht kein Zweifel: Copacabana ist vor allem eine one-woman show. Isabelle Huppert, der die Rolle der Babou wie auf den Leib geschneidert passt, ist in Marc Fitoussis charmanter Komödie um eine unangepasste Frau in jeder Szene im Bild und das unbestrittene Zentrum, um das sich alles dreht. Ihre überschäumende Energie, ihre Lebensfreude, ihre Unangepasstheit und ihr eiserner Wille, aus allem das Beste zu machen, lassen sie beinahe wie eine Seelenverwandte von Mike Leighs Poppy in Happy-Go-Lucky erscheinen. Beiden Figuren gemeinsam ist nicht nur ihr Funkeln und ihre quecksilbrige Agilität, sondern auch, dass sie bei aller Sympathie auch richtige Nervensägen sein können. Weil beide Regisseure aber ihre Protagonistinnen lieben, achten sie stets peinlich genau darauf, dass der schmale Grat zwischen gelegentlicher Penetranz und dauerhaftem Nerven niemals überschritten wird.

Copacabana ist ein Film, der mit Kontrasten spielt – mit sichtbaren wie mit unsichtbaren. Einen größeren Unterschied zwischen der knallbunt gekleideten und grell geschminkten (die Tochter empfindet die Aufmachung ihrer Mutter als nuttenhaft) Babou und der eher farblosen, aber resoluten Esméralda kann man sich kaum vorstellen. Genauso weit klaffen Babous Träume vom sonnigen Klima Brasiliens mit den kalten und überwiegend grauen Realitäten Ostendes auseinander. Die Kontraste, aus denen der Film seine dramaturgische Spannung bezieht, setzen sich visuell sehr schön in Szene. In Tourcoing wird die rastlose Protagonistin fast ausschließlich mit der Handkamera gefilmt, später, wenn ihr Leben in geregelteren Bahnen verläuft, wird auch die Kamera spürbar ruhiger.

Zum Schluss wird Babou sich ihren Traum vom Leben an der Copacabana erfüllen – allerdings auf ihre ganz eigene und spezielle Weise. Nun hat sie, da kann man sich ganz sicher sein, ihre Mitte gefunden. Und ihr Glück. Man gönnt es ihr von Herzen.

Copacabana

Augerechnet Ostende, mag sich Babou (Isabelle Huppert) denken, die eigentlich von der Copacabana träumt. Doch nun hat es sie in den winterlich kalten belgischen Badeort verschlagen, der seine besseren Tage hinter sich hat. Was sich vermutlich auch von Babou sagen lässt, die normalerweise in Tourcoing in der Region Nord-Pas-de-Calais wohnt – bei den Sch’tis also.
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Meinungen

Michael Kuss · 28.06.2012

Im spiegel-online wurde der Film zwar mehr oder weniger niedergemacht, aber dessen Kritiker scheint weder Ahnung von Isabelle Huppert, noch vom französischen Kino zu haben, dafür mehr von bürgerlichen Verhaltsvorstellungen. Mir ist es völlig egal, ob der Inhalt des Films abstrus ist; Isabelle Huppert wird immer besser, sie ist "extraordinaire". Endlich wieder einmal französisches Provokationskino, das mich an den frühen Michel Piccoli ("Themroc") erinnert. Zu jener Zeit war die Huppert noch das süße kleine Mädchen mit Schmollmund und Kulleraugen. Welch eine Entwicklung!