Churchill

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Der Mann mit der Zigarre

Winston Churchill erlebt ein Comeback auf der Leinwand. Nachdem er 2016 von John Lithgow in der Netflix-Serie The Crown und Michael Gambon in dem BBC-Fernsehfilm Churchill’s Secret verkörpert wurde, folgen zwei Kinofilme über den wohl berühmtesten britischen Staatsmann. Voraussichtlich Anfang 2018 wird Joe Wright in Darkest Hour nach einem Drehbuch von Anthony McCarten über Churchill in den Anfangsjahren des Zweiten Weltkriegs erzählen, die Hauptfigur wird von Gary Oldman gespielt. Im Mai 2017 kam Churchill von Jonathan Teplitzky ins Kino, der sich nach einem Drehbuch von Alex von Tunzelmann den Tagen vor dem D-Day im Juni 1944 widmet und nun auf DVD erscheint.
Gespielt wird Winston Churchill hier von dem schottischen Schauspieler Brian Cox, der als ständig trinkender, rauchender und fluchender Churchill ein durchaus überzeugendes Abbild des virilen Staatsmannes gibt. Ganz am Anfang des Films steht er an der Küste, blickt gedankenverloren aufs Meer, als sich das Wasser rot färbt. Es sei immer am Meer, dass die Erinnerung zurückkomme, ist aus dem Off zu vernehmen. Gemeint ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, in dem ein Angriffsplan Churchills scheiterte und unzählige junge Männer starben. Diese Erinnerung wird ihn nun nicht mehr nur am Meer einholen, sondern ihn angesichts der bevorstehenden Operation Overlord, mit der die Landung der Westalliierten in der Normandie starten soll, nicht mehr loslassen.

Es ist diese Erinnerung, die Churchills inneren Zwiespalt und sein irrationales Handeln begründen soll. Daher ist diese erste Sequenz zweifellos wichtig, aber wie viele folgende visuell einfallslos inszeniert —  Churchills Hut fliegt auf das Wasser, das weiterhin rot ist –, so dass sich ihre Tragweite allenfalls durch den pathetischen Klang der Stimme und Musik anzeigt. Dann taucht auch schon Churchills Frau Clementine (Miranda Richardson) auf und fragt, ob alles in Ordnung sei.

Aber gar nichts ist in Ordnung, England befindet sich im Krieg, die Alliierten stehen kurz vor der Operation Overlord, also bricht Churchill zu einem Treffen mit dem König George VI (Jame Purefoy) und General Eisenhower (John Slattery) auf. Eigentlich sollen dort die seit langem ausgetüftelten Pläne beschlossen werden, aber Churchill weigert sich. Er sagt, dass Risiko der Operation sei zu groß, zu viele Männer würden sterben. Er weigert sich, die veränderten Bedingungen der Kriegsführung anzuerkennen, sondern macht sich stattdessen daran, einen Alternativplan auszuarbeiten, der aber von den alliierten Streitkräften abgelehnt wird. Es ist schlichtweg zu spät für Änderungen – und für die Dauer dieses Films sieht man mit an, wie sich Churchill wie ein trotziges Kind verhält, das von seinem Umfeld beruhigt werden muss. Doch trotz der Eingangssequenz und obwohl sich das Drehbuch von Alex von Tunzelmann weitgehend an überlieferte Ereignisse hält, gelingt Churchill kein überzeugender Entwurf von und für dieses Verhalten. Dafür war die Eingangssequenz zu schwach – und kalkuliert das Drehbuch zu wenig ein, dass jeder im Publikum weiß, dass die Operation Overlord und der D-Day stattgefunden haben und erfolgreich gewesen sind. Natürlich sind dabei Menschen gestorben. Aber dieses Ereignis hat maßgeblich zu dem Ende des Krieges beitragen. Warum also, so fragt man sich immer wieder, beschleichen Churchill nun, im Jahr 1944, diese Zweifel? Auch vorher sind junge Männer gestorben, doch nun kommen die Sorgen, die erst durch den couragierten Auftritt einer jungen Frau beendet werden?

Wie schon in seinem vorherigen Film The Railway Man – Die Liebe seines Lebens versucht Jonathan Teplitzky, stets im vermeintlich sicheren Fahrwasser des Historiendramas zu bleiben, er will niemanden verschrecken. Jedoch fügen sich dadurch die einzelnen Teile seines Films nicht zusammen. Churchill will – das lässt der Titel vermuten – eine Charakterstudie sein, jedoch entwirft er keine überzeugende Version seiner Hauptfigur. Weitaus spannender sind die Auseinandersetzungen um die Operation Overlord, aber den Vorbereitungen und den anderen Figuren wird zu wenig Raum gelassen. John Slattery und James Purefoy versuchen aus der wenigen Leinwandzeit einiges herauszuholen, aber auch sie können die klischeehafte Bildsprache nicht vergessen lassen: der Amerikaner, allein zwischen Säulen, der englische König, allein in einem prunkvollen Saal. Das sind Bilder, die man in unzähligen Filmen bereits gesehen hat, hinzu kommen Einstellungen, in denen die Kamera in den Seitenspiegel eines Autos blickt oder die Reflektion einer Pfütze einfängt. Hoffnungslos verschenkt ist auch Miranda Richardson, die als Clementine Churchill kaum mehr Szenen bekommt, als die, in denen sie energisch auftritt. Damit soll ihr resolutes Wesen herausgestellt wird, wie sehr sie ihren Mann unterstützt. Dass sich die Ehe in einer Krise befindet, kommt indes im Dialog recht überraschend.

Es gibt in diesem Film keine Nuancen, obwohl er sie so dringend gebraucht hätte. Denn schließlich ist keine dieser Figuren unumstritten, es gibt zu jeder mehr als ein historisches und ein öffentliches Bild, die dieser Film hätte aufgreifen können. Stattdessen aber inszeniert Jonathan Teplitzky ein einfallsloses, fernsehgerechtes Historiendrama über eine fraglos wichtige Zeit in Churchills Leben.

Churchill

Winston Churchill erlebt ein Comeback auf der Leinwand. Nachdem er 2016 von John Lithgow in der Netflix-Serie „The Crown“ und Michael Gambon in dem BBC-Fernsehfilm „Churchill’s Secret“ verkörpert wurde, folgen nun zwei Kinofilme über den wohl berühmtesten britischen Staatsmann.
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