B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Ach, wie schön war West-Berlin...

Ach, wie schön war West-Berlin. Na ja, schön ist vielleicht das falsche Wort. Sagen wir lieber billig. So billig, dass man dort in den 1970er und 1980er Jahren fantastisch als Künstler leben konnte. Solche Bedingungen ziehen natürlich eine große Menge Menschen an, die manchmal in sehr kurzer Zeit ganz wunderbare Kunst erschaffen. Und da war er nun, Mark Reeder, britischer Musiker, Labelmacher und Militärfetischist mitten in West-Berlin. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als dokumentarischer Erzähler führt er in B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin durch einen zwei Jahrzehnte anhaltenden Wahnsinn, an den sich so mancher Zuschauer noch erinnern wird.

Der klapperdürre Blixa Bargeld, der ernste Nick Cave, Die tödliche Doris, der junge Jörg Buttgereit, Die Ärzte, Die Toten Hosen, Nena, Westbam — ja, die alle tauchen auf und machen B-Movie zu einer der lustigsten und prall gefülltesten Musik- und Kunstdokumentation aller Zeiten. Unglaublich, wer sich hier alles tummelt, noch unglaublicher, wie jung sie alle waren. Chronologisch und immer mit dem Blick Mark Reeders führt der Film in aller Ruhe von den Anfängen des „deutschen Gothic“ in irgendwelchen schrammeligen Zimmern und besetzten Häusern hin zur langsamen Ausdifferenzierung einzelner Gruppen und Strömungen wie Punk, Electro und schließlich der Geburt von Techno. Da wird Blixa Bargeld irgendwann als komischer Untermieter vorgestellt, der dann alsbald mit Die Einstürzenden Neubauten Avantgardemusik mit Vorschlaghämmern macht und zusammen mit Nick Cave, der auch mal eben ein paar Wochen bei Mark Reeder pennt, die Bad Seeds gründet. Solche Meilensteine der Musikgeschichte streuen sich zwischen Aufnahmen aus dem Nachtleben. Vor dem Dschungel, der angesagten Diskothek in dieser Zeit steht Gudrun Gut und zählt auf, wo man noch alles hinkann. Und die Kamera durchforstet jede Spelunke, jede Disse, jede Kneipe.

Was für ein unglaubliches Glück, dass zu dieser Zeit so viel mitgefilmt wurde. Ja wirklich, es ist erstaunlich, mit welcher Präzision und welch exklusiven Einblicken der Film aufwarten kann. Die Unmengen an Material, die B-Movie verarbeitet, wurden übrigens in Kleinstarbeit von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange zusammengetragen und daraus eine sehr herzliche und Gott sei Dank niemals wehleidige Liebeserklärung an die alten Zeiten und die alten Wegbegleiter gemacht. Und nebenbei wird auch gleich klargestellt, dass Berlin nicht erst seit dem Fall der Mauer 1989 ein cooler Ort war, sondern dass dort auf diesem kleinen Fleckchen Erde, der ringsherum eingemauert war, eine Kultur florierte, die ihresgleichen suchte. Die aber auch eben nur durch diese besonderen Umstände auf diese Art und Weise florieren konnte.

Doch bei B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin geht es nicht nur um Musik, Kunst und darum, Leute wiederzuerkennen, deren Platten man gekauft hat, als man jung war und unbedingt anders sein wollte als seine Eltern. Nein, hier haben wir auch einen dieser wunderbaren Fälle, in dem ein Dokumentarfilm seinen offensichtlichen Inhalt übersteigt und mehr ist als die Geschichte, die er erzählt. Die Aufnahmen, die montiert wurden, zeigen in der Peripherie der Kadrierung noch etwas anderes. Sie sind ein wichtiges historisches Dokument ganz im Sinne von Siegfried Kracauers „materieller Wirklichkeit“. B-Movie ist ein Stück weit auch filmarchäologisches Material. Im Hintergrund und manchmal auch direkt im Narrativ erzählt der Film ebenfalls viel von der politischen Lage, dem Kalten Krieg und dem Wandel Berlins im architektonischen Sinne von einem zerstörten Ort hin zu einem Mekka der Alternativkultur — und bis in die Gegenwart gedacht ist es noch unerträglicher und schmerzhafter, wenn man weiß, wie das gentrifizierte und hochpolierte West-Berlin, vor allem Kreuzberg, heute aussieht.
 

B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin (2015)

Ach, wie schön war West-Berlin. Na ja, schön ist vielleicht das falsche Wort. Sagen wir lieber billig. So billig, dass man dort in den 1970er und 1980er Jahren fantastisch als Künstler leben konnte. Solche Bedingungen ziehen natürlich eine große Menge Menschen an, die manchmal in sehr kurzer Zeit ganz wunderbare Kunst erschaffen.

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