Auf Teufel komm raus

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Irritierende Schilderung eines Dilemmas

Schilder weisen den Weg. Die Sprache, die die handgemalten Plakate aufweisen, ist ebenso unmissverständlich wie die Sprechchöre bei den beinahe täglichen Demonstrationen. „Achtung Kinderschänder! Karl D. 400m Rechts“ steht da zu lesen. Und zur Sicherheit ist noch ein Pfeil dazu gemalt, um die Richtung zu weisen, aus der die Gefahr droht. Später sind dann die Rufe zu hören, die immer wieder skandieren „Wir wollen keine Kinderschänderschweine!“ Der Mann, dem all dies gilt, beobachtet die Szenerie, die sich vor seinem Fenster abspielt, durch ein Fernglas bei heruntergelassenen Jalousien, kommentiert das Geschehen und wirkt beinahe schon amüsiert. Oder vielleicht tut er auch nur so.
Außerdem ist da noch die Polizei, die Karl D. angeblich rund um die Uhr überwacht, den Ex-Häftling dann aber ungehindert mit dem Fahrrad davonfahren lässt, ohne das die Verfolgung aufgenommen wird, was die Anwohner umso mehr empört – besonders als die Polizisten sich mit einem obskuren „taktischen Konzept“ herausreden, das man der Öffentlichkeit nicht preisgeben werde. Gegen die schleichende Eskalation des Konflikts zwischen dem Belagerten und den Demonstranten, zu denen sich irgendwann auch Neonazis hinzugesellen wollen, ist die Staatsgewalt zunächst sowieso machtlos.

Für diejenigen, die auf der Straße stehen und ihre Wut herausschreien, ist er ein Teufel, der weggesperrt gehört. Was aber aufgrund der Rechtslage nicht möglich ist, dazu liegt die Tat schon zu lange zurück. Für Helmut hingegen, bei dem der Geschmähte Unterschlupf gefunden hat nach seiner Haftentlassung, ist und bleibt er sein Bruder. Dass Karl D. die schrecklichen Vergewaltigungen und die anschließende bestialische Folter der Mädchen, wegen der er verurteilt wurde, wirklich begangen hat, kann sich dessen Bruder nicht vorstellen. Und Karl selbst beteuert zumindest im Fall seiner zweiten Verurteilung seine Unschuld. Wenn man aber hört, wie Karl seine erste (eingestandene) Tat relativiert, indem er darauf hinweist, dass das Opfer sich ja nicht mal habe in Therapie begeben müssen, ist man geneigt, seinen Unschuldsbeteuerungen nicht unbedingt Glauben zu schenken.

Doch in Mareille Kleins und Julie Kreuzers Dokumentarfilm Auf Teufel komm raus geht es auch gar nicht um die Schuldfrage. Sondern um ein Dilemma, dass ein Dorf in Aufruhr versetzt und schließlich sogar spaltet. Ein Dilemma, das sich nicht lösen lässt. Oder vielleicht doch? Als drei Frauen aus der Gemeinde einen Schritt auf Helmut und seinen Bruder zu machen, verhärten sich die Fronten noch weiter. Helmut hat plötzlich das Jugendamt am Hals, das damit droht, ihm und seiner Frau den Sohn wegzunehmen, da das Kindeswohl gefährdet sei. Zudem konzentriert sich ein Teil der Proteste immer mehr auf ihn, so dass Helmut immer wütender wird, sich in die Enge getrieben fühlt und mehrmals handgreiflich gegen die Demonstranten zu werden droht. Es ist ihm förmlich anzusehen, wie sein Leben immer weiter aus der Bahn gerät: Einmal sehen wir ihn mit einem bandagierten Arm, dann später im Krankenhaus, weil er offensichtliche eine Herzattacke erlitten hat.

Auf Teufel komm raus ist ein Film geworden, der Unbehagen schafft. Weil viele Fragen offen bleiben und weil man beide Seite irgendwie verstehen kann – die Bürger mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit ebenso wie auch die Familie des Täters, die unversehens in einen Strudel gerät, für den sie nichts kann. Doch das ist bei weitem nicht die einzige Irritation, die der Film beim Zuschauer hinterlässt. Die Konfrontation mit dem „Teufel“ reißt bei manchen Frauen alte Wunden auf, die sie längst erfolgreich verdrängt glaubten – zwei von ihnen bekennen vor der Kamera, selbst schon einmal Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Und natürlich entsteht das Unbehagen auch daraus, dass der Konflikt nicht lösbar erscheint. Erst als Karl D. wegzieht aus Randerath, kehrt Ruhe ein in den kleinen Ort. Die Wunden und Narben, die der Konflikt hinterlassen hat, dürften für den sozialen Zusammenhalt des Ortes nicht ohne Folgen geblieben sein.

Unbehagen schafft auch das soziale Milieu, dass der Film beschreibt: Sowohl der Täter und seine Angehörigen wie auch diejenigen, die gegen ihn protestieren, stammen deutlich erkennbar aus einfachen Verhältnissen und eher aus bildungsfernen Schichten. Man sieht den Gesichtern förmlich an, dass sie einiges durchgemacht haben, man nimmt die zahlreichen Tätowierungen zur Kenntnis und registriert die unsaubere Sprache voller grammatikalischer Ungereimtheiten. Auf die Spitze getrieben wird dass, als Helmut einen anonymen Brief an die Familie vorliest, der vor Fehlern nur so strotzt – und im gleichen Atemzug genauso viele Fehler macht. Auf diese Weise kommt ein Bild zustande, das beide, sowohl die Familie von Karl D. wie auch die Protestierer abqualifiziert. Doch dann fühlt man sich im nächsten Moment ertappt ob der (Vor)Urteile und weiß bis zum Schluss nicht so recht, ob die Milieuschilderungen „sozialpornographisch“ oder einfach nur zutreffend sind.

Wer die aufgeheizte Stimmung, die in der kleinen Gemeinde herrscht, erlebt, kann ungefähr ermessen, wie schwierig es für die beiden Filmemacherinnen gewesen sein dürfte, ihren ausgewogenen Film zu realisieren und beide Seiten gleichermaßen zum Sprechen zu bringen. Auch wenn man sich manchmal ein Nachbohren bei dem einen oder anderen Gesprächspartner oder Aspekt der Geschichte gewünscht hätte, ist ihnen dennoch ein erschütterndes Dokument gelungen, das irritiert und Fragen herausfordert, die weit über den Film hinaus wirken.

Auf Teufel komm raus

Schilder weisen den Weg. Die Sprache, die die handgemalten Plakate aufweisen, ist ebenso unmissverständlich wie die Sprechchöre bei den beinahe täglichen Demonstrationen. „Achtung Kinderschänder! Karl D. 400m Rechts“ steht da zu lesen. Und zur Sicherheit ist noch ein Pfeil dazu gemalt, um die Richtung zu weisen, aus der die Gefahr droht.
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