Athos - Im Jenseits dieser Welt

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Wo wir sind ist oben

Dass die Uhren in Bayern anders gehen, ist soweit bekannt. Dass der julianische Kalender in der autonomen Mönchsrepublik Athos dagegen bis heute gilt, schon weniger. Zugleich haben die Einwohner beider Landstriche, die früher einmal regelrechte Glaubenshochburgen innerhalb Europas darstellten, heutzutage massive Probleme mit urchristlichen Begrifflichkeiten wie Demut, Spiritualität, Askese oder aktiver Nächstenliebe – es sei denn, man ist Mönch oder möchte einer werden.
Auf die Beweggründe für ein heutiges Leben in abseitigen Klausen ohne Heizung, W-LAN und sozialen Austausch hätte sich das Regieduo Peter Bardehle (Die Alpen – unsere Berge von oben) und Andreas Martin in seiner dreijährigen Dokumentarfilmarbeit an Athos durchaus mehr konzentrieren können. Denn die Frage, warum jemand – gerade wenn er noch jünger ist – eigentlich von sich aus, völlig freiwillig und in vollem Bewusstsein ins Kloster gehen möchte, bleibt trotz manchem O-Ton-Partner aus den Reihen der naturgemäß scheuen Spezies Mönch auf dem griechischen Athos weitestgehend ausgespart. „Heiliger Berg“ wird dieser schlicht übersetzt – und von den Einheimischen auch so genannt, ob von Klerikern oder Weltlichen, die jene Mönche in zum Teil wochenlangen Freiwilligendiensten mehrfach im Jahr in höchsten Höhen unterstützen. Für ein „Vergelt’s Gott“, versteht sich: Denn Geld regiert – zumindest hier – nicht die Welt.

Vielmehr versteckt sich hinter jenem bloßen geografischen Wort Athos ein ganz und gar eigener Lebenskosmos: Das muss man den gewonnenen Eindrücken beider Filmemacher dann doch lassen, die immerhin – und das ist tatsächlich eine kleine Sensation – ohne offizielle Drehgenehmigungen und allein durch das mühsam gewonnene Vertrauen der Glaubensbrüder gut drei Jahre als Pilger immer wieder dorthin reisten und drehten. Dieser Mut der Filmcrew hat sich zumindest bezahlt gemacht: Sie hat ihr schwieriges Filmprojekt schließlich doch pioniergleich zu einem Ende gebracht, nach zahllosen Problemen am Set wie im Bereich der Filmfinanzierung.

Von all dem allzu irdischen Geplänkel ist schlussendlich im Resultat nichts zu spüren: Denn Athos lebt, gottlob ohne Off-Kommentar oder Bauchbinden-Teppiche, in erster Linie von der Macht seiner Bilder. Sei es auf 2033 Metern Höhe – hier stand Caspar David Friedrichs furioses Gemälde Wanderer über dem Nebelmeer (1818) gleich mehrfach Pate (Kamera: Yannis Fotou), – oder am Boden der ärmlichen Zellen, wenn beispielsweise die Mönchskatze ihr Herrchen wieder am Beten hindert und stattdessen schmusen möchte. Ergänzt durch elegante Drohnenkameraflüge über den wahrlich paradiesisch gelegenen Inselarchipel sowie zahlreiche Supertotalen, ist dem Filmemacherteam durchaus ein kulturhistorisch interessanter, ab und an auch angenehm menschelnder Dokumentarfilm über das urkatholische Bibel-Mantra „Glaube – Liebe – Hoffnung“ gelungen.

Natürlich fragt man sich an anderer Stelle schon mehrfach, warum Istanbul hier eigentlich noch Konstantinopel heißt – oder Frauen nicht zugelassen werden: Jene brisanten Fragen verstecken die beiden Regisseure – mangels Materials oder Willens? – insgesamt zu häufig hinter ordentlichen, wenn auch nicht zwangsläufig verkündenswerten Wellness-Weisheiten von diesem Schlage: „Das Gefühl, etwas Bleibendes zu erschaffen: Das erfüllt die Seele eines Menschen.“ Klingt nach Paulo Coelho, ist es aber nicht. Oder: „Wir sollten uns nicht auf unserem Glück ausruhen.“ Ja, ergibt – universell betrachtet – durchaus Sinn. Kurzum: Wer’s braucht, wird selig – und reichlich fündig.

Denn alles in allem leben hier, so scheint es über weite Strecken, wirklich gut 3000 Männer innerlich zufrieden, in schwarzen Kutten und fern von Egozentrik oder Pomp schlichtweg ihr Leben: In geistiger Gemeinschaft mit Gott – und sozusagen als echte Außerirdische. Denn ihr Alltag ist in der Tat 2000 Jahre vom Leben eines durchschnittlichen Europäers, sei es in Bayern oder Griechenland, entfernt.

Athos - Im Jenseits dieser Welt

Dass die Uhren in Bayern anders gehen, ist soweit bekannt. Dass der julianische Kalender in der autonomen Mönchsrepublik Athos dagegen bis heute gilt, schon weniger. Zugleich haben die Einwohner beider Landstriche, die früher einmal regelrechte Glaubenshochburgen innerhalb Europas darstellten, heutzutage massive Probleme mit urchristlichen Begrifflichkeiten wie Demut, Spiritualität, Askese oder aktiver Nächstenliebe – es sei denn, man ist Mönch oder möchte einer werden.
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Meinungen

Maria Papakiritsi · 22.06.2016

Hallo zusammen,

die entstandene Fragen beantworte ich gerne. Frauen haben auf dem Athos Berg kein Zutritt da nur eine Frau verehrt wird und das ist die Gottesmutter. Es gibt auch übrigens in der Orthodoxie genauso Frauenklöster in denen nicht Männer rein dürfen. Wenn die Mönchspriester mit ihren geistigen "Kinder" sprechen müssen können sie runterkommen dafür.
Konstantinopel wird so genannt weil es der richtige Name der Stadt ist. Das Wort Istanbul kommt übrigens auch aus dem Griechischen und wurde aus "is tin poli" geformt was soviel heißt wie : Zu der Stadt. Ein bisschen Geschichtsunterricht oder Recherche schadet nicht...

Nathalie Bouvier · 03.06.2016

Irgendwie toll, dass Frauen damit auch einen Einblick in diesen Kosmos bekommen.
Würde uns ja sonst verwehrt bleiben.
Gibt es wirklich gar keine Möglichkeit, da als Frau einzureisen?

So oder so, tolle Bilder, sehr kontemplativer Film.
Interessanterweise ohne Sprecher, nur die Mönche. Toll!