Anhedonia - Narzissmus als Narkose

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Lustverlust

Sklaven tragen Sänften vors Portal eines Schlosses, zwei junge Herren in feiner Gewandung lassen ihrem Unmut freien Lauf, Arroganz mischt sich mit Süffisanz, die Kleidung ist altmodisch, die Sprache gestelzt, aber immerhin hat Robert Stadlober ein Headset auf. Patrick Siegfried Zimmer bringt mit seinem Spielfilmdebüt Anhedonia – Narzissmus als Narkose eine ebenso merk- wie denkwürdige Satire auf die Leinwand, in der Strategien des Theaters – quasi: postironische Brechtsche Brechungen – unumwunden auf Film angewandt werden.
Franz und Fritz (Robert Stadlober und Wieland Schönfelder) sind zwei Brüder, die sich siezen. Franz regt sich gerne hysterisch auf, Fritz liest ruhig in seinem E-Reader. In der schlossähnlichen Villa sind sie als Teil einer ominösen Therapie eingeschlossen, historische Pistolen haben sie auch dabei. Irgendwann sitzt ein mysteriöser Herr in der Ecke, der dreimal in die Hände klatscht, damit das Spiel der beiden Brüder in der Bewegung anhält, um die nun wohl doch nötigen Hintergrundinformationen zu liefern. Diese werden einfachheitshalber auch gleich textlich ins Filmbild eingeblendet: Franz und Fritz sind Milliardenerben eines Chansonniers und einer Narzissmus-Lobbyistin, dementsprechend verwöhnt, sprich: degeneriert, ist ihr Wesen, sie sind von der weltweiten Epidemie der Anhedonia angesteckt, Opfer der, so unser Conferencier, „digitalen, medialen, narzisstischen, hedonistischen, karrieristischen, selbstausbeuterischen, masochistischen, egomanischen, konsumorientierten Reizüberflutung und Suggestion des Establishments.“ Hier nun, auf der Insel Seelenfrieden, sollen sie durch die preisgekrönte Luststimuli-Therapie des Prof. Dr. Immanuel Young wieder zur Emotion und vor allem zum Genuss von Glück zurechtgebogen werden.

Was freilich nicht die historischen Retroklamotten zu erklären vermag, die offenbar wahllos – nein: scheinbar wahllos – aus dem Maxim-Gorki-Theater-Fundus zusammengestoppelt wurden; auch nicht das stilisierte Sprechen; nicht diese Stimme aus dem Himmel des Dr. Young, der seine Therapieansätze so aufmunternd erklärt: „Have fun! Küsschen, Ihr Doc Young!“ Auch nicht den Cheflakaien Rüdiger mit seiner tiefergelegten Reibeisenstimme. Auch nicht die Traumsequenzen in klassizistischem Kostüm, in der Franz die Liebe seines Lebens bezirzt inkl. selbstgemachtem Echoeffekt: „Ich möchte Sie küssen üssen üssen üssen!“ Das Teleportieren – nein, das auch nicht. Und schon gar nicht die ständigen Unterbrechungen durch den cholerischen Regisseur Schorsch Maria Bollerhuber, unflätig und vulgär, aber mit großer Vision: die endlose Periode menschlicher Dummheit soll sein Film bebildern. Die Frage beantworten: Was ist Leben? Und von Freiheit, Gerechtigkeit, Glück, Kapitalismus, Tod und Liebe erzählen. Was solche Plattitüden eben hergeben.

Nein: Ernstgemeint ist in diesem Film nichts – und zugleich alles. Selbst die Ironie. Alles ist Spiel, auch das Spiel mit dem Spiel; alles ist gestellt, alles ist im Kleinkindmodus des „Ich wäre jetzt“ gestaltet. Die Inszenierung ist einfach angelegt, um nicht zu sagen dilettantisch – aber das würde Trash implizieren, und das ist falsch, weil hier alles genau so gehalten ist, wie es sein muss: Ein paar Leute an der norddeutschen Küste, zwischen Deich und Leuchtturm, spielen sich auf vor der Kamera. Haben Spaß. In einem Film, in dem es um den Verlust des Spaßes geht.

Robert Stadlober ist dabei wichtig: Darsteller, Produzent, Co-Regisseur – und zudem Castingagent. Patrick Siegfried Zimmer: eigentlich Musiker und Musikproduzent – aber warum nicht auch Spielfilmregisseur? Mit dabei: Blixa Bargeld als mysteriöser Master of Ceremonies, Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow als Stimme vom Himmel, der Hamburger Performancekünstler Flo Fernandez als Lakai mit roter Bommelmütze in seinem Schauspieldebüt. Eine zusammengewürfelte Truppe, zusammengewürfelt wie der ganze Film. Aber wenn die Würfel fallen und die richtigen Seiten oben liegen: Dann ist das ein Gewinn.

Alles ist durchdrungen von einer Kritik an der Spaßgesellschaft, gehalten im Ton der Spaßgesellschaft; eine Gesellschaftssatire, die ihre Satirehaftigkeit satirisch ironisiert, weil damit genau diese postpostmoderne Uneigentlichkeit, der hippe Unernst, wiederum auf die Schippe genommen wird. Irgendwann bekommt Franz – der als Hauptperson hauptsächlich therapiert werden muss – einen kleinen Porzellandalmatiner geschenkt, tauft ihn Harry und unterhält sich mit ihm. Kurz darauf wird er bis aufs Blut gefoltert. Findet sich wieder an der Meeresküste, wo der Regieassistent mit Flüstertüte nicht weiterweiß, weil der Herr Regisseur Bollerhuber noch ausschläft. Es geht drunter und drüber, und irgendwann ist der Film zu Ende, ohne dass jemand weiß, wie und warum. Und das alles ist sehr lustig und sehr unterhaltsam und auf gewisse Weise, jawohl, auch tiefsinnig.

Anhedonia - Narzissmus als Narkose

Sklaven tragen Sänften vors Portal eines Schlosses, zwei junge Herren in feiner Gewandung lassen ihrem Unmut freien Lauf, Arroganz mischt sich mit Süffisanz, die Kleidung ist altmodisch, die Sprache gestelzt, aber immerhin hat Robert Stadlober ein Headset auf. Patrick Siegfried Zimmer bringt mit seinem Spielfilmdebüt „Anhedonia – Narzissmus als Narkose“ eine ebenso merk- wie denkwürdige Satire auf die Leinwand, in der Strategien des Theaters – quasi: postironische Brechtsche Brechungen – unumwunden auf Film angewandt werden.
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