Anderson

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Drei Birken namens Schuld und Sühne

Es gab Zeiten, da war der Schriftsteller Alexander Sascha Anderson so berühmt, dass man ihn in gewissen Kreisen nur „A“ nannte und jeder wusste sofort, wer gemeint war. Doch die Zeiten ändern sich und so änderte sich auch die Bedeutung des „A“. Wolf Biermann hatte ihn 1991 mit der Bezeichnung „Sascha Arschloch“ als früheren Stasi-Spitzel gebrandmarkt. Spätestens von diesem Moment an war „A“ nicht mehr der strahlende Mittelpunkt und Spiritus Rector der Künstler- und Literatenbohème vom Prenzlauer Berg, sondern für viele nur noch das „A-rschloch“.
Zum zweiten Mal beschäftigt sich Annekatrin Hendel mit dem Thema Stasi und Verrat in der DDR, nach Vaterlandsverräter (2011) bildet Anderson nun den zweiten Teil einer Trilogie, bei der es um dieses Thema geht, der dritte Teil mit dem Arbeitstitel Disko behandelt den Anschlag auf die West-Berliner Diskothek „La Belle“ im Jahre 1986. Und abermals gelingt ihr mit diesem Film ein Werk von außerordentlicher Feinfühligkeit und Ausbalanciertheit, das nicht wertet, sondern wie ein Seismograph Menschen und ihre Geschichten, ihre Enttäuschungen und ihre Lebenslügen registriert.

Im Falle von Sascha Anderson ist das vor allem an dem Gedanken- und Sprachgebäude zu erkennen, das er sich selbst errichtet hat, um sich nicht seine eigene Schuld eingestehen zu müssen. So ergeht er sich am Ende des Films in komplizierten Erklärungen darüber, dass das Wort „entschuldigen“ per se nicht funktionieren kann. So erscheint es fast schon verräterisch, dass ihm aber weder ein passender Begriff noch eine entsprechende Äußerung einfallen mag – dabei wäre die auch nach vielen Jahren immer noch ein wichtiges Zeichen.

Fast schon gemütlich beginnt der Film: Mit einem heute sechzigjährigen Anderson, der mittlerweile im Hessischen lebt und der fast schon belustigt für die Kamera in den Keller geht, um die Stasi-Akten hervorzukramen. Gelesen hat er sie nie, wozu auch? Dieses alte Zeug interessiert ja doch niemanden mehr. Als ginge es darum, dem Mann, der ihrem Film den Titel gab, zu widersprechen, versammelt Annkathrin neben Anderson auch jene Menschen vor der Kamera, die das ein wenig anders sehen. Als Kulisse dient dafür ein sorgfältig nachgestalteter Bau, der der früheren Wohnküche nachempfunden ist, von der aus der Dichter und Impressario des alternativen Kulturbetriebs seine Fäden zog und Hof hielt. Fast fühlt man sich ein wenig an eine Versuchsanordnung erinnert, eine Laborsituation, die dazu dienen soll, die verdrängte, verwünschte Vergangenheit wieder ans Tageslicht zu holen. Leitmotivisch begleiten Verse Andersons („Vor dem Gartenhaus stehen drei Birken, die heißen Schuld und Sühne, ich weiß, welche mir die Liebste ist“) die sich durch den ganzen Film ziehen, die virtuos geschnittenen Interviewpassagen, in denen sich die verschiedenen Sichtweisen ergänzen, kommentieren, widersprechen, sich zu einem Flickenteppich verbinden, der schließlich ein zwar nicht immer ganz scharfes, aber dennoch nicht minder eindrückliches Gesamtbild formt. Wenn man so will das Gesellschafts- und Sittenportät einer untergegangenen Subkultur in einem Land, das es heute längst nicht mehr gibt, Geschichten aus einem Schattenreich.

Doch es geht der Filmemacherin nicht allein um Rekonstruktion einer wie auch immer gearteten Wahrheit, es geht ihr nicht um Demaskierung, um Schuldzuweisungen, sondern auch und vor allem um die Frage, wie man damit leben kann – mit dem Verrat und dem Verratenwerden. Auf diese vertrackten Fragen findet sie zwar keine endgültigen Antworten (wie soll es die auch geben), aber sehr viele Anregungen und kleine Enthüllungen, die diesen Film zu einer der besten Auseinandersetzungen zu diesem Thema und zur jüngeren deutsch-deutschen Geschichte machen.

Anderson

Es gab Zeiten, da war der Schriftsteller Alexander Sascha Anderson so berühmt, dass man ihn in gewissen Kreisen nur „A“ nannte und jeder wusste sofort, wer gemeint war. Doch die Zeiten ändern sich und so änderte sich auch die Bedeutung des „A“. Wolf Biermann hatte ihn 1991 mit der Bezeichnung „Sascha Arschloch“ als früheren Stasi-Spitzel gebrandmarkt.
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