Aloys

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Erste Person Plural

Aloys beginnt mit einem Todesfall. Eine leere Wohnung, dann ein offener Sarg. Darin ein alter Mann, der eine große Lücke hinterlässt. Übrig bleibt sein Sohn, Aloys (Georg Friedrich) eben. Aloys Adorn, der von sich selbst nur in der ersten Person Plural spricht. Obwohl ohne seinen Vater im Grunde nicht mehr viel in seinem Leben übrigbleibt, das der Mehrzahl bedarf. Tobias Nölles Regiedebüt erzählt eine ganz und gar aus seiner Hauptfigur heraus entwickelte Geschichte.
Georg Friedrich spielt diesen Aloys Adorn als extreme Figur, nicht jedoch als Karikatur. Zu viel von ihm kann wohl auch jeder Zuschauer mit Hang zur Eigenbrötlerei in sich selbst wiedererkennen, was umgehend die bange Frage provozieren muss: wie viel trennt mein Leben noch von seinem? Vom artifiziell konstruierten Setup der Story wahrscheinlich einiges: Aloys ist Privatdetektiv in der Firma seines Vaters. Eine Anleitung zum Unsichtbar-Bleiben hängt in dem tristen Büro an der Wand. Der Beruf besteht vornehmlich daraus, in der Weltgeschichte herumzufahren, Leute abzuhören und mit einem kleinen Camcorder zu filmen. „Wir treten mit den Zielpersonen nicht in Kontakt“, erklärt Aloys seinen Klienten. Mit „wir melden uns“ und „man dankt“ würgt er jeden vagen Versuch eines Gesprächs ohne Umschweife ab. Den Bürosprech legt Aloys auch im Privatleben nicht ab, sofern man es überhaupt Privatleben nennen kann. Nach getaner Arbeit macht er sich auf den Weg nach Hause, bestellt sich beim Chinesen eine Portion Reis zum Mitnehmen und schaut sich dann die Videoaufzeichnungen des Tages noch einmal an. Er nennt das sein Hobby. Es mag ein freudloses Dasein sein, eines ohne Abwechslung oder besondere emotionale Ausschläge, aber immerhin ein tadellos funktionierendes.

Bis der Detektiv eines Abends beim Spionieren entdeckt wird. Das berufliche Versagen schmettert Aloys so nieder, dass er sich besinnungslos betrinkt – und Stunden später mit seinem Camcorder und inmitten sämtlicher Bänder des Tages erleichtert im Bus aufwacht. Der Schock potenziert sich noch, als kurz darauf eine junge Frau (Tilde von Overbeck) bei ihm anruft und drohend eine Entschuldigung bei sämtlichen Opfern seiner Spitzeleien fordert.

Trotz der allgegenwärtig thematischen und atmosphärischen Tristesse – Aloys spielt im Winter an den grauen Rändern einer Schweizer Großstadt – ist genau dies der Moment, in dem die Fantasie Einzug in den Film und den Alltag des Protagonisten hält. Kathrin, die junge Frau vom Telefon, wird so schnell nämlich nicht mehr aus seinem Leben verschwinden. Stattdessen bahnt sich eine vorsichtige Beziehung an, am Telefon – und im Kopf von Aloys. Tobias Nölle lässt uns von dessen Gedankenwelt in Beschlag nehmen, ihn die Augen schließen und sie im Wald wieder öffnen, durch dieses fantastische Szenario geführt von Kathrins Stimme. Sie gibt den Ton und die Stimmung vor, lässt die Geräuschkulisse des Waldes hörbar werden und Aloys die haptischen Qualitäten von Baumrinde und Moos erspüren. „Unsere Stimmen kreieren ein Bild und unsere Worte setzen es in Bewegung“, erklärt sie ihm.

Sie scheint zuerst wie ein idyllischer Rückzugsort, diese Oase der Imagination, aufgespannt zwischen zwei zueinander in Verbindung tretenden Geistern und nur für sie. Es reicht Nölle jedoch nicht, bei diesem gedanklichen Eskapismus stehenzubleiben. Immer mehr entwickelt sich Aloys hin zu einer Art Wiederentdeckung des Manic Pixie Dream Girl-Tropus, aber mit weniger Schleifen im Haar und stattdessen unter Berücksichtigung aller hässlicher Konsequenzen. Aloys könnte nicht weniger an der tatsächlichen Person hinter der Telefonstimme interessiert sein. Ihn fasziniert das Bild, das er sich zusammenreimt. Das Bild einer jungen und hübschen, zurückhaltenden Frau, die ihm die Seele streichelt und sein Leben fröhlicher macht. Wann immer die Zuschauer aus diesem Gedankenwald auftauchen, müssen sie jedoch erkennen, dass diese Imagination nur wenig mit der filmischen Realität gemein hat. Dann tritt der pathologische Charakterzug des Manic Pixies in den Vordergrund, der dunkle Abgrund hinter der fantasievollen Fassade.

Aloys ist immer wieder sein Status als Regiedebüt anzumerken, wenn er übermäßig in Prätentionen ausbricht und seine Symbolismen auf die Spitze treibt. Doch er verweist auf Tobias Nölle als einen genauen Beobachter menschlicher Verhaltensweisen in Relation zu ihrer Umwelt – und als einen Filmemacher, den es im Auge zu behalten gilt.

Aloys

Aloys beginnt mit einem Todesfall. Eine leere Wohnung, dann ein offener Sarg. Darin ein alter Mann, der eine große Lücke hinterlässt. Übrig bleibt sein Sohn, Aloys (Georg Friedrich) eben. Aloys Adorn, der von sich selbst nur in der ersten Person Plural spricht. Obwohl ohne seinen Vater im Grunde nicht mehr viel in seinem Leben übrigbleibt, das der Mehrzahl bedarf.
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Meinungen

wignanek-hp · 16.08.2016

Aloys ist ein Film´, der überrascht und zwar in jeder neuen Einstellung. Die Geschichte ist schnell klar. Hier ist der einsame Mann, der niemanden an sich heranlässt, dort die junge Frau, die unbedingt ein Teil seines Lebens sein will. Aber dann beginnen schon die Überraschungen und die liegen nicht unbedingt nur in dem fantastischen Setting, dass der Film entfaltet. Man weiß nie wirklich, wie es weitergeht, was als nächstes passiert und das bis zum Schluss. Wenn das ein Debut ist, dann ein gelungenes, das nicht immer die gleichen Bilder durchdekliniert, sondern neue Wege sucht, die seelischen Befindlichkeiten zu zeigen. Die beiden Hauptdarsteller, die eigentlich gar nicht so viele Szenen gemeinsam haben, sind wirklich schwindelerregend gut. Zugegeben, der Film ist keine normale Kinokost, aber wer sich die Neugier auf Neues bewahrt hat, ist hier richtig. Ich frage mich immer, warum es solche Filme immer so schwer haben, in die Kinos zu kommen!