6 Jahre, 7 Monate & 16 Tage - Die Morde des NSU

Eine Filmkritik von Olga Galicka

Der gebrochene Zeigefinger

In Sobo Swobodniks Film 6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage — Die Morde des NSU fallen schon zu Beginn des Films Stichworte, die noch gar nicht so lange zurückliegende Ereignisse in einem neuen Licht erscheinen lassen. Zuerst ist da der Name der polizeilichen Ermittlungen um die NSU-Morde, „Operation Halbmond“, dann die journalistische Berichterstattung über die „Dönermorde“. Von hier aus ist es nicht mehr weit zum Begriff „Nafri“, der so kontrovers im Januar dieses Jahres diskutiert wurde. Damals meinte der Kölner Polizeichef, Jürgen Mathies, wie auch mehrheitlich die konservativen Zeitungen wie etwa die FAZ oder die Süddeutsche, hierbei handele es sich „bloß“ um eine Bezeichnung, einen zulässigen polizeilichen Jargon. Man solle nicht mit seiner „linken“ Skepsis zu diesen Ausdrücken „den politischen Diskurs um Migranten und unsere Demokratie verzerren“. Blickt man jedoch auf die schockierenden Ereignisse rund um die NSU-Mordserie, die nun über zehn Jahre zurückliegen, und auf den damit zusammenhängenden sprachlichen Umgang der Polizei, so möchte man doch fragen, ob es sich hier nicht um ein grundlegenderes Problem innerhalb der Polizei, ihrer Ausbildung, ja letztlich unserer Gesellschaft handelt. Sind es nicht vielleicht ebendiese Begriffe, die eventuell die Wahrnehmung unserer Gesetzeshüter, ja auch unsere eigene, verzerren?
Wenn man sich in diesem Zusammenhang mit den Geschehnissen um die Mord-Serie und vor allem den Schicksalen der Familien auseinandersetzt – zerstörte Kindheiten, gebrochene Biografien und keine Möglichkeit abzuschließen – so möchte man sich nur noch an den Kopf fassen. Die Tonspur mit vorgelesenen Aussagen der Familie und Ausschnitten aus Ermittlungsakten und Zeitungsberichten führt einen gewissermaßen auf einem schmalen Wanderpfad durch die dunkelsten Ecken der modernen deutschen Geschichte. Und diese Geschichte ist so tragisch, dass sie keiner weiteren Dramatisierung bedarf. Und doch hat Sobo Swobodnik sich dafür entschieden, das Geschehene mit recht befremdlichen Mitteln zuzuspitzen. Es sei ihm in erster Linie um das „Gedenken der Opfer“ gegangen, hat Swobodnik zuletzt in einem Interview gesagt. Er wollte ihnen eine Stimme geben, sie zu echten Menschen mit echten Biografien machen. Das ist ihm jedoch nur bedingt gelungen.

Swobodnik hat eine Collage aus unterschiedlichen Zeitdokumenten entworfen und sie dann mit befremdlicher Hintergrundmusik, einer elektronischen Mischung klassischer Instrumente, unterlegt. Diese musikalische Tonspur, die starke Dissonanzen des Hörvermögens hervorruft, ist an manchen Stellen kaum zu ertragen. Aber das ist die Collage ohnehin schon gewesen, die Musik lenkt nur ab vom eigentlich Tragischen und wirklich Skandalösen. Besonders anrührende Zeugenaussagen mischen sich zudem mit einer fraglichen visuellen Spur. In Schwarz-Weiß zeigt Swobodnik die von ihm aufgenommenen Schauplätze, Tatorte und Lebensmittelpunkte der Opfer. Die schwarz-weißen Bilder sollten vielleicht die bedrückende Atmosphäre des Films verdeutlichen, wirken jedoch vielmehr plakativ. Die zweifache Verlangsamung des Bildes hingegen macht einen ratlos. Hat man etwa zu wenig Filmmaterial gehabt und versucht, dieses auf die doppelte Zeit zu strecken? Oder soll auch die Verzögerung des Bildes noch weiter dramatisieren? Durch die Aufnahmen der Schauplätze wollte Swobodnik für den Zuschauer aus diesen Plätzen endlich echte Orte mit echten Menschen werden lassen. Doch diese Absicht verfehlt er.

Es entsteht kein Gefühl für die Geografie, für den emotionalen Hintergrund der Schauplätze. Statt eines Spaziergangs erlebt man aneinandergereihte Bilder, zu denen man keinerlei Beziehung aufbauen kann. In seinen früheren Dokumentarfilmen wie BErliN — Aus diesem Trallala kommst du nicht raus oder Silentium – Vom Leben im Kloster vermochte Swobodnik, dem Zuschauer ein Gefühl für Räumlichkeiten und historische Schauplätze zu vermitteln. Wie ein Puzzle erschlossen sich an einem klaren roten Faden entlang die geographischen und sozialen Beschaffenheiten dieser Orte.

Umso ratloser ist man beim Anblick von Sowobodniks neuem Film. Nicht nur handelt es sich bei 6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage um ein wesentlich brisanteres und ernsteres Thema als in den beiden genannten Filmen, der Film soll auch noch als selbsternannte Absicht der Opfer gedenken. Und doch wirkt er vielmehr wie ein Oberstufen-Projektfilm, für den man am Ende nicht mehr genug Zeit gehabt hatte. Die Aufnahmen der Orte sind eher wahllos zusammengeschnitten und unnötig in die Länge gezogen. Die musikalische Tonspur sollte wohl experimentell wirken, ruft jedoch bloß Abneigung hervor. Dabei ist in der eigentlichen Collage der Zeugenberichte und den Ausschnitten aus Zeitungen und Ermittlungsakten sehr viel Potenzial gewesen. Diese Tonspur allein, ohne jegliche musikalische Begleitung, aber mit mehr professionellen und diversifizierten Sprechstimmen, hätte ein wunderbares Hörspiel ergeben. Ohne besondere Elemente und Effekthascherei.

Noch viel schöner und der Absicht gerechter wäre es natürlich gewesen, wenn man nicht bereits existierende Aussagen der Familienmitglieder benutzt hätte, sondern ihnen zumindest die Möglichkeit einer Beteiligung an der Produktion und die Option, eventuell etwas Neues zu diesen Ausschnitten beizutragen, gegeben hätte. So verbleibt auch die Collage vermehrt eine Reflektion von alten Zeitungsspiegeln und in Szene gesetzten Kommentaren. Ein Film mit einem so hoch gesetzten Anspruch hätte mehr an persönlicher Bemühung und echtes Interesse an den Opfern investieren müssen. Stattdessen entschied sich Swobodnik, einen melodramatischen Essayfilm zu machen, der gewissermaßen nur ihn selbst als den gerechten Regisseur mit einem erhobenen Zeigefinger in den Mittelpunkt stellt.

6 Jahre, 7 Monate & 16 Tage - Die Morde des NSU

In Sobo Swobodniks Film „6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage — Die Morde des NSU“ fallen schon zu Beginn des Films Stichworte, die noch gar nicht so lange zurückliegende Ereignisse in einem neuen Licht erscheinen lassen. Zuerst ist da der Name der polizeilichen Ermittlungen um die NSU-Morde, „Operation Halbmond“, dann die journalistische Berichterstattung über die „Dönermorde“.
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