24 Wochen (2016)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Unglaublich ehrlich

Selten, viel zu selten, wird man als Zuschauer von einem Film nicht nur ein wenig aufgerüttelt, sondern bis ins Knochenmark erschüttert. Anne Zohra Berracheds 24 Wochen ist so ein Werk. Der Film bohrt sich so tief ins Fleisch, penetriert den Betrachter bis in die mikroskopisch kleinsten zellularen Prozesse und ändert einen ein kleines bisschen für immer, auch wenn es nur auf einer winzigen, molekularen Ebene sein mag. Aber so eine kleine Änderung hat manchmal große Auswirkungen. Und genau darum geht es ja in diesem Film.

Für Astrid (Julia Jentsch) und ihren Freund Markus (Bjarne Mädel) ist es das 21. Chromosom ihres ungeborenen Sohnes, das alles für immer verändern wird. Im 6. Monat schwanger wird ihnen eine schockierende Diagnose mitgeteilt: Down-Syndrom. Ob sie eine Spätabtreibung vornehmen wollen, werden sie gefragt. Bis eben war Astrid eine erfolgreiche Kabarettistin und Markus ihr Manager und die beiden Eltern einer 9-jährigen Tochter. Jetzt sollen sie plötzlich Entscheider über Leben und Tod sein. Entscheider darüber, ob ein behindertes Leben lebenswert ist. Für die beiden ist recht schnell klar: Ja, das ist es. Sie werden es schon irgendwie schaffen. Mit den Freunden und der Familie, mit der Babysitterin, die eh schon auf ihre Tochter aufpasst und mit Astrids Mutter. Und so nutzt man eine Geburtstagsfeier und verkündet selbstbewusst den genetischen Zustand des Ungeborenen. Es folgt: Schweigen, Bedrückung, Angst, Ekel, Unverständnis. Die Babysitterin verdrückt sich, die Mutter will auch nicht so recht. Doch Astrid und Markus powern weiter, lassen sich beraten, besuchen Menschen mit Down-Syndrom zur Vorbereitung. Einfach ist es nicht, doch es geht bestimmt, so lautet ihre optimistische Devise. Bis eine Untersuchung schwere Herzfehler beim Kind feststellt, die sofort nach der Geburt operiert werden müssen, der Ausgang dieser Eingriffe ist freilich ungewiss. Astrid hält inne. Markus powert weiter. Derweil bilden sich immer mehr Menschen, jetzt auch dank Presseberichten in der Öffentlichkeit, eine Meinung über das, was da in Astrids Bauch vorangeht.

Als ZuschauerIn ist man dabei immer ganz nah bei der Frau. Wenn sie beim Schwimmen für Schwangere ist, oder bei den Untersuchungen, wenn sie zuhause sitzt und nicht weiß, was sie fühlen soll, man ist stets unmittelbar dabei. Die Kamera ist von Anfang an nah, fast zu nah. Im Uterus fängt sie das gedeihende Leben ein, sucht an den kleinen Fingern, den Adern den Defekt und findet keine Antwort. Sie bleibt bei Astrid in jeder Minute, fängt ihre guten und schlechten Momente ein und erlaubt ihr auch manchmal direkt hineinzusehen. Und dann sitzt man da, im Kino und sie schaut einen an. Fragend, unergründlich, ein wenig suchend, ob da jemand ist, der ihr beisteht. 24 Wochen erlaubt seinem Publikum keinen Sicherheitsabstand. Das Schicksal des Paares muss mitgetragen werden, wenn man diesen Film sieht. Es lässt keinen Ausweg. Und das ist radikal, unfair, mitunter traumatisierend, unglaublich traurig und vor allem unglaublich ehrlich und gut.

Dabei umschifft Berrached alle möglichen Klippen: Weder ist der Film hyperdramatisch und versucht aus jeder Minute extra viel Emotionen herauszuquetschen, noch trivialisiert er oder verzettelt sich, wie so oft die deutschen Filme, in einer Gefühlsstarre, die nur aufzeigt, ja geradezu protokolliert, ohne dabei Emotionen zuzulassen. Nein, 24 Wochen ist einfach nur dabei und geht mit durch diese schweren Zeiten. Dabei bleibt der Film stets offen, schwingt weder einen religiösen, noch einen moralischen Hammer, er diskutiert nicht für seine ProtagonistInnen, er verurteilt nie, sondern nimmt Anteil an einer Situation, die einfach keine klaren Antworten haben kann. Astrid fragt einmal eine Hebamme (alle Ärzte, Hebammen und Schwestern in diesem Film spielen sich selbst), ob sie das Richtige tut. Die Frau antwortet ihr, dass das niemand sagen kann und dass auch niemand das Recht habe, sich über ihre Entscheidung eine Meinung zu bilden.

Meinungsbildend will der Film selbst nicht sein, auch wenn seine Rezeption sehr wahrscheinlich viele Kontroversen und Diskussionen hervorrufen wird. Vielmehr will er offenlegen und darüber reden, was sich hinter dem Wort „Spätabtreibung“ wirklich verbirgt. Denn gesprochen wird darüber nicht — zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Das mag manchen zu krass, anderen wiederum zu gutmenschelnd erscheinen. Doch egal, wie man selbst darüber urteilen mag: Die schiere Existenz dieses beachtlichen Films und der Diskurs, den er führt und auslöst, sind das Entscheidende.
 

24 Wochen (2016)

Selten, viel zu selten, wird man als Zuschauer von einem Film nicht nur ein wenig aufgerüttelt, sondern bis ins Knochenmark erschüttert. Anne Zohra Berracheds „24 Wochen“ ist so ein Werk. Der Film bohrt sich so tief ins Fleisch, penetriert den Betrachter bis in die mikroskopisch kleinsten zellularen Prozesse und ändert einen ein kleines bisschen für immer, auch wenn es nur auf einer winzigen, molekularen Ebene sein mag.

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