Fräulein Stinnes fährt um die Welt

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Dokudrama um eine wahre Pionierin

Auch heute noch ist diese Frau eine echte Legende und eine Ikone der automobilen Frühzeit. Im Jahre 1927 brach Clärenore Stinnes, die Tochter des drei Jahre zuvor verstorbenen Industriebarons Hugo Stinnes, mit einem Adler Standard 6 auf, um gemeinsam mit dem schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström und einem Begleit-LKW die Welt zu umrunden. Die beiden Techniker der Frankfurter Adler-Werke brachen die Reise bereits in Russland ab, so dass der Rest der Weltumrundung von der mutigen, damals gerade 26 Jahre alten Fahrerin und ihrem Begleiter allein und ohne technische Unterstützung gemeistert wurde. In den Frühzeiten des Automobils, in denen es an nahezu allem mangelte, was heute das Leben des Automobilisten erleichtert, war das eine Sensation. Zumal auch kein Mann dieses Abenteuer auf vier Rädern je gewagt hatte. Neu zu der damaligen Zeit war aber auch die mediale Verwertung der insgesamt zwei Jahre dauernden Tour – dank des mitgereisten Kameramanns Söderström, der zuvor u.a. mit der Garbo gearbeitet hatte entstanden viele Stunden Material, so dass 1931 der Dokumentarfilm Im Auto durch zwei Welten in den deutschen Kinos seine Premiere feierte. Dieser Film sowie die umfangreiche Fotosammlung und die bislang größtenteils unveröffentlichten Tagebücher von Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström bilden auch das Grundgerüst für Erica von Moellers Dokudrama Fräulein Stinnes fährt um die Welt, das genau 80 Jahre nach der Rückkehr der wagemutigen Pilotin und ihres Begleiters nach Berlin die große Fahrt nachzeichnet.
Die Tochter des umstrittenen Kohlenkönigs und Politikers Hugo Stinnes (1870-1924) zog 1924 nach dem Tod des Vaters aus dem Ruhrgebiet nach Berlin, während zuhause ihre Brüder, die sie aus der Firma gedrängt hatten, das einstige Imperium in kürzester Zeit ruinierten. Derweil machte Clärenore in Berlin auf ganz andere Weise von sich reden, sie war eine jener wagemutigen Frauen in den Zwanzigern, die sich mit ihren männlichen Konkurrenten hinter dem Lenkrad auf den Rennstrecken wilde Duelle lieferten. Und Clärenore war eine der erfolgreichsten Automobilistinnen ihrer Zeit: Zwischen 1925 und 1927 gewann sie 17 Rennen, darunter auch die „allrussische Prüfungsfahrt“, die sie als einzige weibliche Pilotin bestritt. Und es waren mit Sicherheit die rennsportlichen Erfolge, die ihr für ihre automobile Weltumrundung die nötige Unterstützung eintrugen. Die Frankfurter Adler-Werke stellten das Auto zur Verfügung. Und verschiedene Industrieunternehmen (von den Unternehmen der Familie gab es allerdings kein Geld) stellten insgesamt 100.000 Reichsmark zur Verfügung, um das Abenteuer zu finanzieren.

Die Route führte über den Balkan und durch Russland, durchquerte Afghanistan und die Wüste Gobi, durchmaß einmal den gesamten amerikanischen Kontinent und endete schließlich am 24. Juni 1929 in Berlin. Im Laufe von zwei Jahren hatten Clärenore Stinnes und ihr Kameramann Carl-Axel Söderström insgesamt 48.000 Kilometer zurückgelegt, hatten dem extremen Winter Sibiriens ebenso getrotzt wie enormer Hitze, hatten etliche Pannen und brenzlige Situationen überstanden, Krankheiten und Überfälle. Und – das blieb jedoch bei der Rückkehr zunächst der Öffentlichkeit verborgen – aus den ungleichen Weggefährten war ein Liebespaar geworden, das nach Söderströms Scheidung von seiner ersten Frau heiratete und fortan in Schweden einen Gutshof bewirtschaftete.

Ein wenig Glamour, ein echtes Abenteuer aus der Frühzeit des automobilen Reisens, unzählige Gefahren, eine emanzipierte und eigensinnige Frau, die sich gegen alle Widerstände durchsetzt und natürlich die Liebe, die sich unvermittelt während der Reise einstellt – all das sind wahrlich die Zutaten, die eine wirkliche große Kinostory braucht. Und gerade deswegen ist es schon ein wenig enttäuschend, wie wenig Erica von Moeller aus dieser Geschichte macht: Die äußerst knapp gehaltenen Texttafeln, die gerade mal das Minimum der nötigen Hintergrundinformationen geben, und die teilweise recht holprig inszenierten Spielszenen transportieren genau kaum eine Information, geschweige denn Emotion. Selbst eine herausragende Darstellerin wie Sandra Hueller wirkt in etlichen Szenen denkbar blass und wenig überzeugend. Vom Charisma der widerständigen Clärenore Stinnes, die in den Zwanzigerjahren geradezu prototypisch für das neue Selbstbewusstsein der Frauen war, ist nur selten etwas zu sehen auf der Leinwand. Auch ihr Partner, der aus Thomas Vinterbergs Dogma-Drama Das Fest bekannte Bjarne Henriksen kann aufgrund mangelnder Ähnlichkeit mit dem historischen Vorbild kaum überzeugen. Auch trennen ihn von dem historischen Vorbild rund 15 Jahre: Henriksen ist bereits 50, während Söderström gerade mal 34 Jahre alt war – ein Altersunterschied, den man dem Mimen durchaus ansieht. Immerhin aber sind es die von ihm vorgetragenen Auszüge aus den Tagebüchern Söderströms, die die nach wie vor sehenswerten Sequenzen des Filmmaterials aus dem Jahre 1931 begleiten.

Bei diesen Ausschnitten, die sich immer wieder mit den Spielszenen abwechseln, ist auch zu sehen, dass selbst die originale Animationssequenz, in der der Adler Standard 6 die Stationen der Reise auf einer stilisierten Karte trotz der Reduzierung (oder vielleicht gerade deswegen) ansprechender wirkt als in der historisch sauber recherchierten, aber insgesamt zu spröden Rekonstruktion der Reise um die Welt.

Vor dem Hintergrund dieser zahlreichen Unstimmigkeiten wirkt die Tatsache, dass es sich bei dem in den Spielszenen auftauchenden Wagen nicht um einen Adler Standard 6 Modell, sondern um den nahezu baugleichen Adler Favorit handelt, eher als lässliche Sünde – immerhin wurde das mehr als 80 Jahre alte Auto extra für den Film restauriert und zu neuem Leben erweckt. Eine ähnliche Sorgfalt und Vitalität hätte man sich auch für die Realisierung der Spielszenen gewünscht.

Fräulein Stinnes fährt um die Welt

Auch heute noch ist diese Frau eine echte Legende und eine Ikone der automobilen Frühzeit. Im Jahre 1927 brach Clärenore Stinnes, die Tochter des drei Jahre zuvor verstorbenen Industriebarons Hugo Stinnes, mit einem Adler Standard 6 auf, um gemeinsam mit dem schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström und einem Begleit-LKW die Welt zu umrunden.
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