Feuer bewahren - nicht Asche anbeten!

Eine Filmkritik von Wolfgang Nierlin

Dazwischen-Schweben

„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“. An dieses Zitat des Komponisten Gustav Mahler hat die Dokumentarfilmerin Annette von Wangenheim den Titel ihres Films Feuer bewahren – nicht Asche anbeten! angelehnt, der ein intimes Portrait des gefeierten Tänzers und Choreographen Martin Schläpfer zeichnet. Das Bild der lodernden Flammen, die es fortwährend zu füttern gelte, ist für den in der Schweiz geborenen Tanzkünstler zugleich eine Metapher für seine notwendige künstlerische Unruhe. Sich als Künstler nie zufriedengeben, sich nie ganz sicher sein oder auf dem Erreichten routinemäßig ausruhen, stattdessen aber den Zweifel nähren, bezeichnet Schläpfer zu Beginn des Films aus dem Off als Ausdruck seiner kreativen Beweggründe: „Immer ein bisschen on tour, nie ganz ankommen.“ Dazu zeigt ihn Annette von Wangenheim, die nach vielen Fernseharbeiten nun erstmals einen Kinofilm realisiert hat, als Bergwanderer in seinem Sommerdomizil in den Tessiner Alpen. Spätestens beim panoramatischen Gipfelblick gerät das Filmbild jedoch in eine leichte Schieflage zu dem, was Schläpfer meint.
Anders und weniger spekulativ sind dagegen die Aufnahmen von den Probearbeiten zu dem Tanzstück Alltag, das der renommierte Choreograph Hans van Manen zusammen mit Martin Schläpfer entwickelt. Dieser tanzt gewissermaßen ein Selbstportrait, in das seine eigene künstlerische Unruhe einfließt: grüblerische Phasen des Nachdenkens zusammengekauert auf einem Stuhl; die Suche nach Inspiration im Kreisen um sich selbst; die Zweifel an der Arbeit; schließlich die pure Lust und Freude am Tanzen. Dabei geht es Schläpfer jedoch nicht um ein klassisches Handlungsballett, sondern vielmehr um das energetische, sinnliche, erotische und nicht zuletzt geheimnisvolle Potential der Tanzkunst. Deren prinzipielle Flüchtigkeit korrespondiert mit dem Nichtfestlegbaren einer Kunst, deren abstrakte Merkmale, also beispielsweise ihre „Farbe“ und ihr „Klima“, sich in einem „Dazwischen-Schweben“ manifestieren, wie Schläpfer einmal formuliert.

Besonders deutlich wird das an der Erarbeitung von Adriana Hölszkys Auftragskomposition Deep Field, die den Untertitel Zehn Klangbelichtungen einer Metamorphose trägt. Die Simultanität von Bewegungen im „imaginären Raum“ (Hölszky), das Nebeneinander von Leid und Freude oder auch das „Ineinander-Schieben“ von Fragmenten kennzeichnen diesbezüglich Schläpfers Denken in Gegensätzen und Widersprüchen. Die teils längeren Ausschnitte diverser Aufführungen machen das auf schöne Weise anschaulich. Schläpfers dialektischer Geist, seine Offenheit und sein anti-hierarchisches Unterrichten vermitteln sich aber auch in der praktischen Arbeit mit seiner Compagnie. Hier erleben wir einen leidenschaftlichen, hochkonzentrierten Choreographen, der nachdenklich und mit intensiven Blicken beobachtet, immer wieder aber auch selbst die Initiative ergreift, um das Gesagte tanzend zu unterstützen.

In seiner Kunst wolle er etwas Inneres ausdrücken, ohne allerdings zu sehr von sich selbst zu sprechen, sagt Schläpfer über die notwendige Distanz eines Künstlers zur eigenen Person. Annette von Wangenheim portraitiert ihn in ihrem ästhetisch eher konventionellen, am Fernsehformat geschulten Dokumentarfilm Feuer bewahren – nicht Asche anbeten! als einen in fortwährender Bewegung begriffenen Suchenden, der die Freiheit liebt und seine künstlerische Verantwortung sehr ernst nimmt. So zeigt sie Martin Schläpfer nicht nur als umtriebigen, gewissenhaften Choreographen, der mit diversen Gastspielen auch international Erfolge feiert, sondern auch als Direktor des „Ballett am Rhein“ in Düsseldorf und Duisburg, der sich sowohl Stadt und Publikum als auch der zeitgenössischen Kunst verpflichtet fühlt.

Schließlich gewährt von Wangenheims informativer Film, der ebenso dem Künstler wie dem Menschen Martin Schläpfer gewidmet ist, auch einen Einblick in dessen Privatleben. „Ich übe Leben mögen“, lautet eines der Zitate, mit denen die Wände seines Düsseldorfer Eigenheims in bunter Fleckigkeit übersät sind. Sommers hingegen, wenn er, der sich ein „sonniges Gemüt“ bescheinigt, seine entlegene Einsiedlerhütte im Maggiatal beziehe und sich in der magischen Ruhe der Bergwelt die Zeit dehne, werde die Sinnfrage annulliert. Er fühle sich dann als Teil „von etwas“ und habe deshalb neuerdings damit begonnen, seine „Almgedanken“ aufzuschreiben.

Feuer bewahren - nicht Asche anbeten!

„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“. An dieses Zitat des Komponisten Gustav Mahler hat die Dokumentarfilmerin Annette von Wangenheim den Titel ihres Films „Feuer bewahren – nicht Asche anbeten!“ angelehnt, der ein intimes Portrait des gefeierten Tänzers und Choreographen Martin Schläpfer zeichnet.
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