Ferner schöner Schein

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Kunst und Film

Tristesse in allen Ecken und Enden. Das Spielfilmdebüt Ferner schöner Schein des polnischen Künstlerpaares Wilhelm und Anna Sasnal schreit nur so vor Monotonie und Einsamkeit. Die Handlung ist schnell erzählt, denn sie ist im Grunde auch gar nicht so wichtig. Ein paar heruntergekommene Häuser mit abblätternder Farbe auf dem kargen Land, weit entfernt voneinander, formen ein kleines Dorf irgendwo in Polen. Der einzige Name, der während des gesamten Films genannt wird, ist der von Pawel (Marcin Czarnik) – womit er der Figur des Protagonisten am nächsten kommt. Eigentlich gibt es jedoch keine Hauptfigur in diesem Film. Die Atmosphäre ist das Wesentliche.
Doch kurz die Fakten: Pawel lebt gemeinsam mit seiner Mutter, die vielleicht krank (Alzheimer und/oder Inkontinenz) oder einfach nur verrückt und ein klein wenig boshaft ist, in einem kleinen Haus. Nachdem sie wieder einmal für Unruhe gesorgt hat, bringt Pawel sie weg, um schließlich in Ruhe mit seiner Verlobten dort leben zu können. Doch dann haut er selbst ab und ein stetiger Zerfall setzt ein. Menschlich als auch materiell. Das Haus wird von den anderen Dorfbewohnern geplündert. Das Traurige an der Sache – es scheint irgendwie normal, das fremde Haus von einem Mann auszuräumen, der schon länger nicht mehr da war. Hinzu kommt schiere Zerstörungswut, denn alles, was nicht zu gebrauchen ist, wird kaputt gemacht. Als wäre es nichts Besonderes, geschieht das alles einfach so, en passant.

Die Menschen sind abgestumpft. Das Leben auf dem Land hat sie verbittert und hart gemacht. Es scheint, als hätten sie gar keinen Sinn (mehr) für zwischenmenschliche Beziehungen. Es geht nur, ja um was eigentlich, es geht um die wenigen materiellen Dinge, die sie umgeben. Und wenn einmal um Schrott gezankt wird. Oder das Haus des anderen ausgeräumt wird. Wer nicht mehr da ist, hat verloren. Oder nicht? Vielleicht eher im Gegenteil. Emotionen zeigt auch kaum jemand, nur Beschimpfungen und Grausamkeiten. Die sind schon das höchste der Gefühle. Als einziger Höhepunkt und Ausbruch aus der Monotonie des gleichförmigen Lebens und der Grausamkeit kann der Schrei der Mutter angesehen werden, die plötzlich wieder, aber nur für dieses Moment, im Haus steht. Zunächst nah und leise, entfernt sich die Kamera immer weiter. Mit der wachsenden Entfernung wird der Schrei lauter. Das ist auch der einzige Moment, in dem ein „unnatürlicher“, störender Grundton hinzugefügt wird, der nicht dem Geräuschteppich der Umgebung entspringt.

Denn das Paar Sasnal hat einen Film kreiert, der ohne Musik auskommt – bzw. Musik bewusst nicht einsetzt. Das ist manchmal anstrengend, aber es verdeutlicht auch den Charakter des Films. Die Stimmung wird durch alltägliche Geräusche geschaffen: Das Muhen der Kühe, das Krähen des Hahns, die Geräusche der Insekten auf dem Feld, ein bellender Hund, fließendes Wasser und zwischendurch immer wieder der Mensch. Sei es mit einem hupenden Auto oder auch durch raue Aussprüche und Beschimpfungen, die häufig ins Leere laufen, die die Charaktere oft nur so für sich sagen. Sie fluchen vor sich hin. Ansonsten reden sie kaum die meiste Zeit. Stille und Schweigen tragen viel zu der gedrückten Grundstimmung des Films bei.

Das soziale Drama lebt von dieser Atmosphäre. Sie haucht ihm Leben ein – nicht der spannende Plot, die flotten Dialoge oder die schnellen Schnitte. Wer das hier sucht, ist falsch. Wilhelm und Anna Sasnal haben ein Sittenporträt geschaffen, das mit der Geduld des Zuschauers spielt. Ästhetisch ist der Film von langen statischen Aufnahmen geprägt. Ebenso sucht man vergebens nach knalligen Farben oder der Schönheit in den kleinen Dingen. Es handelt sich um eine Milieustudie sozialer Beziehungen mit extrem realen Momenten, die von Frustration und Perspektivlosigkeit und einer daraus resultierenden menschlichen Grausamkeit erzählt.

(Lisa Hedler)
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Anka und Wilhelm Sasnal haben einen Film gemacht. Obwohl, schon diese Aussage würde das Künstlerpaar vehement bestreiten. Daher muss wohl gesagt werden: Anka und Wilhelm Sasnal haben ein Stück Bewegtbildkunst gemacht. Aber eigentlich ist It Looks Pretty from a Distance beides: Kunst und Film. Als Film beschreibt das Stück eine kurze Geschichte in einem Dorf irgendwo in Polen, weit ab, so scheint es, von Zivilisation. Die Lebensumstände sind einfach bis hart. Pawel (Marcin Czarnik) lebt hier mit seiner dementen Mutter und seiner Verlobten in einfachen Verhältnissen. Er sammelt Altmetall und Müll, er lebt in und von Müll. Die Mutter macht ihm das Leben schwer, bis er sie eines Tages fortbringt. Keiner weiß wohin, es ist auch allen egal. Menschen und Müll, so scheint es, sind auf gleicher Ebene: Was nicht verwertet werden kann, kommt weg. Doch eines Tages verschwindet Pawel ebenfalls und die Nachbarn warten nicht lang, bis sie sein Hab und Gut an sich nehmen und sein Haus zerstören.

Der Film It Looks Pretty from a Distance ist langsam, behäbig gar und schwer. Die Darsteller, allesamt Laien, die tatsächlich auch in diesem Ort unter diesen Umständen leben, scheinen fernab zu sein von jeglichen Emotionen; Empathie und Nächstenliebe haben hier keinen Platz. Es geht nur ums Überleben, ums Weiterkommen – egal wie.

Auf der Kunstebene funktioniert It Looks Pretty from a Distance dann doch ganz anders. Denn Pawels Geschichte ist nichts weiter als die Oberfläche einer viel tieferen Geschichte. Was die Sasnals eigentlich bewegte dieses Werk zu kreieren, ist ein Stück polnische Geschichte, die lange Zeit keiner hören wollte. Während des 2. Weltkrieges ergab es sich, dass deutsche Truppen ein polnisches Dorf okkupierten, welches aus Polen und einer kleinen jüdischen Gemeinde bestand. Die Deutschen ließen die Polen entscheiden, was sie mit den Juden machen wollen. Ohne viel Gezeter sperrten diese ihre jüdischen Nachbarn, mit denen sie jahrzehntelang zusammen gelebt hatten, in einen Schuppen, zündeten diesen an und teilten dann ihre Besitztümer unter sich auf.

Wie zeigt man den Holocaust? Sollte man ihn überhaupt zeigen, wieder erzählen, auf die Leinwand bringen? Schon Claude Lantzmann hat sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt und suchte die Antwort in Shoah in einer langen Kamerafahrt auf den Schienen, die nach Auschwitz führen. Die Sasnals rekreieren den Kern des Verbrechens – Gier – und transportieren diesen in eine Geschichte in der Jetzt-Zeit, weit weg vom Damals, das sich für unsere Generation schon komplett überladen hat mit einer Patina aus (oftmals falsch verstandener) Historizität. Was bleibt ist ein Kunstwerk, ein Film, der abstrakt versucht dem Unbegreiflichen etwas Greifbares entgegenzustellen, das ausschließlich auf einer subtilen, emotionalen Ebene zum Einsatz kommt. Wer als Zuschauer die Hintergrundgeschichte nicht kennt, wird diese auch niemals erahnen, wohl aber wird ihn das Gefühl besteigen, welches auch die Dorfbewohner im Polen des 2. Weltkrieges spürten (und die ja letztendlich nur Stellvertreter sind für unzählige solcher Augenblicke und Entscheidungen).

Ferner schöner Schein

Tristesse in allen Ecken und Enden. Das Spielfilmdebüt „Ferner schöner Schein“ des polnischen Künstlerpaares Wilhelm und Anna Sasnal schreit nur so vor Monotonie und Einsamkeit. Die Handlung ist schnell erzählt, denn sie ist im Grunde auch gar nicht so wichtig. Ein paar heruntergekommene Häuser mit abblätternder Farbe auf dem kargen Land, weit entfernt voneinander, formen ein kleines Dorf irgendwo in Polen.
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