Fassbinder

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Man muss tun, was zu tun ist

„Seine Filme befreien den Kopf!“ Was Rainer Werner Fassbinder einst über Douglas Sirks fein konstruierten Melodrama-Begriff notierte, kehrt zugleich das Selbstverständnis des extrem subjektiven Filmemachers RWF hervor und dürfte die Dokumentarfilmerin Annekatrin Hendel von Beginn an für ihre Portraitstudie, schlicht Fassbinder genannt, interessiert haben.
Denn ähnlich wie der Emigrant Sirk, verstand es der anarchistische Bilderstürmer wie kein anderer deutscher Regisseur der letzten 50 Jahre parallel „die Bedürfnisse des kommerziellen Systems zu erfüllen und trotzdem persönliche Filme zu machen.“ (Fassbinder). Die eigene Handschrift immer im Fokus, das Publikum niemals außer Acht lassend: Mit dieser sehr eigenen, gleichsam sehr produktiven Arbeitsmethode schaffte es Fassbinder von Beginn an, unverkennbar zu werden — und somit das Credo eines echten Autorenfilmers ohne Rücksicht auf Verluste in die Tat umzusetzen:

Klar formuliertes, analytisch geprägtes Thesenkino, bewusst offen gehaltene Dialoge, eine mitunter direkte Ansprache des Zuschauers — und oft genug: Die Formulierung der eigenen, radikal subjektiven Weltsicht! Eine Künstleransicht, mit der sich auch Grimmepreisträgerin Annekatrin Hendel, die durch ihre beiden imposanten Dokumentararbeiten Vaterlandsverräter und Anderson durchaus als Spezialistin für sogenannte schwierige Menschen mit gespaltener Persönlichkeit gelten darf, sicherlich anfreunden kann. Durch diesen Impetus lief die Fassbinder-Maschine mit lange Zeit fester Entourage (u.a. Schygulla, Hermann, Carstensen und Baer, die selbstverständlich allesamt zu Wort kommen) und den besten Filmkunsthandwerkern seiner Zeit (z.B. Rolf Zehetbauer oder Michael Ballhaus, deren O-Töne eine echte Bereicherung gewesen wären) permanent auf Hochtouren: Ein Film nach dem anderen wurde quasi in die Welt hinausgeschleudert. Dazu entstanden – sozusagen als Abfallprodukt – im selben Zuge unzählige Entwürfe, Drehbücher, Treatments, Theaterskizzen, Besetzungslisten und zahlreiche Ideen zur Umsetzung weiterer Literaturverfilmungen im gerade einmal 16-jährigen Schaffensrausch des Filmberserkers.

In Hendels Film bleiben davon oft nur die eingeblendeten Filmtitel hängen, die überraschenderweise mit einem Rammstein-Refrain („Hier kommt die Sonne“) unterlegt werden. Natürlich wären dafür die von Fassbinder geliebten Roboterstimmen aus dem Äther des Düsseldorfer Kraftwerks geeigneter gewesen, aber die Regisseurin beweist damit für diesen von der Fassbinder-Foundation co-produzierten posthumen Geburtstagfilm – Fassbinder wäre dieses Jahr 70 geworden – zumindest formal früh ihren Mut. Ein richtiger Gedanke ist das, wenn man heutzutage selbst als Regisseurin auf einen anderen Kollegen mit der Kamera schaut. „Ich mach’ doch kein Interview für einen anderen Regisseur!“ zitiert Volker Schlöndorff, ein weiterer Interviewter, dazu ironisch den Meister höchst selbst – und schmunzelt.

Etwas Humor („Soviel Baby!“ ruft Juliane Lorenz, als sie das erste Mal wieder die früher dunkel-trostlose Wohnung in der Münchner Clemensstraße betritt) und ein paar neue O-Ton-Geber wie Hark Bohm, Fritz Müller-Scherz sowie Hubert Gilli, ein Mitbewohner aus Fassbinders Schwedenheim-Zeiten, tragen Hendels Portraitfilm von Beginn ganz ordentlich, wenngleich auch wenig überraschend, was ehrlicherweise auch kaum verwundert. Schließlich setzt sich die Berliner Regisseurin mit einem echten Giganten der Filmgeschichte auseinander, über den angeblich schon seit seinem plötzlichen Tod im Jahre 1982 mit gerade einmal 37 Jahren alles längstens gesagt und geschrieben worden ist.

Doch ist das wirklich so? Im Ausland wurde Fassbinder in den vergangenen Jahren in großen Retrospektiven in New York oder Paris gefeiert – und in seinem Heimatland, mit dem ihm eine lebenslange Hassliebe verband? Da wird zumindest in diesem Jahr der ganz große Apparat aufgefahren: „Focus Fassbinder“-Reihe beim Berliner Theatertreffen, die letztjährige Frankfurter Ausstellung wurde um die Kostüme von Barbara Baum, Fassbinders überaus wichtiger Stammmitarbeiterin, erweitert und läuft ab Mai im Berliner Martin-Gropius-Bau. Dazu veröffentlicht der Schirmer und Mosel Verlag noch einmal das lyrische Frühwerk des anarchistischen Junggenies sowie ein großes, bebildertes Werkverzeichnis in Buchform.

„Siehst du, Harry, ich bin eben doch berühmt – sogar in der BRD!“ hätte dazu wohl der Geehrte selbst, nicht frei von Ironie, zu seinem engsten Mitarbeiter Harry Baer gesagt. Dieser erzählt angenehm offen und teilweise wirklich emotional von seiner intensiven Zeit an der Seite des Wundermanns, obwohl er dies in der Vergangenheit doch schon so oft musste: Ein klarer Pluspunkt ist das für Annekatrin Hendels Fragetechnik, die zwar immer etwas naiv daherkommt („Ein Bürgerschreck, echt? Wieso?“), aber gerade so anscheinend manchen Fassbinder-Mitstreiter erst recht zum Reden bringen kann.

Sogar Thomas Schühly, Fassbinders einstmals öffentlich gescholtener Regieassistent während der legendären Berlin Alexanderplatz-Dreharbeiten in Geiselgasteig, kommt in Hendels niemals verklärender Annäherung zu Wort. Und trotzdem fehlt einem gelegentlich das ein oder andere knackige Zitat aus dem Kreise der Befragten, die – wie zum Beispiel Hanna Schygulla – häufig nur bereits Bekanntes wiederkäuen („Der hatte etwas Verletzliches und etwas Raubtierhaftes zugleich“) oder intellektuellen Abstand von vornherein gar nicht erst zulassen: „Von diesem Moment an war ich ihm total verfallen. Das war eine Intimität der Sonderklasse!“ (Irm Hermann).

Ein weiteres Plus in Hendels Handschrift der Dinge im Umgang mit dem Komplex RWF ist dagegen zweifelsohne die raffinierte Montage der jeweils passenden Szenen aus dem Filmwerk zum jeweils gehörten Statement der Interviewten: Eine zwar wenig abwechslungsreiche Fernsehmethode, aber eine, die es allen Nicht-Fassbinderianern ungemein erleichtern dürfte, sich in dieser an sich schwierigen Materie zurecht zu finden. Gerade hier zeigt sich das feine Gespür der Dokumentarfilmemacherin, die geschickt selten gesehenes, zum Teil auch erstmals frei gegebenes, Archivmaterial aus den Beständen der Nachlassstiftung zeigt: Hier wird die Person Rainer Werner Fassbinder, die schon bei der ersten Filmpremiere während der Berlinale zu provozieren wusste, tatsächlich ein Stück weit greifbarer, erfahrbarer. Besonders im letzten Lebensabschnitt des deutschen Kino-Enfant-terribles par excellence, das am Ende mehr Filme als Lebensjahre auf dem müden Buckel hatte – und seltsam todessüchtig war. Gleichsam faszinierend wie verstörend ist das in den besten Passagen von Hendels Film zu erleben.

Wenige Stunden vor seinem Ableben sitzt da ein extrem taumelnder RWF in rosa Hemd, mit Sonnenbrille und standardmäßigem Hut auf der Couch seiner Münchner Wohnung und sagt im Hinblick auf Querelle den rätselhaften Satz: „Ich glaube, ich muss das Leben, das ich gelebt habe, gelebt haben, um den Film so machen zu können.“ Ein besseres Schlusswort für eine echte Hommage hätte es gar nicht geben können, doch Annekatrin Hendel lässt den Zuschauer stattdessen bei der Rückfahrt aus der arg glatten Studioszenerie etwas irritiert mit einem Katzelmacher-Ausschnitt zurück. Von der bewussten Provokation des besessenen bayerischen Filmviechs („Ich werfe keine Bomben: Ich mache Filme!“) hätte man gerne noch mehr gesehen. Und so bleibt am Ende nur ein runder, durchaus unterhaltsamer Geburtstagsfilm, der Fassbinders berühmten Satz „Man muss tun, was zu tun ist“ in adäquate Bilder, aber ohne größeren Mehrwert für Fassbinder-Kenner umsetzt. Darauf einen Cuba Libre!

Fassbinder

„Seine Filme befreien den Kopf!“ Was Rainer Werner Fassbinder einst über Douglas Sirks fein konstruierten Melodrama-Begriff notierte, kehrt zugleich das Selbstverständnis des extrem subjektiven Filmemachers RWF hervor und dürfte die Dokumentarfilmerin Annekatrin Hendel von Beginn an für ihre Portraitstudie, schlicht „Fassbinder“ genannt, interessiert haben.
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