Fahrstuhl zum Schafott (1958)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein visionärer Krimi mit Blick auf die moderne Gesellschaft

Da streift eine aparte Frau ruhelos durch das abendliche und nächtliche Paris, auf der Suche nach ihrem Geliebten. Hier und dort kehrt sie ein, fragt, ob er dort war, um dann enttäuscht in die Straßenzüge des urbanen Raums zurückzukehren. Ihre Gedanken werden dem Zuschauer bei Zeiten durch ihre über den Szenen schwebende Stimme offenbart, und manchmal ist es auch lediglich die atmosphärisch dichte Filmmusik von Miles Davis, die Florence Carala (Jeanne Moreau) mit kruder Melancholie begleitet. Am Nachmittag hatte sie noch mit Julien Tavernier (Maurice Ronet) telefoniert, hatte ihm eine Liebeserklärung ins Ohr gehaucht, bevor er sich auf den Weg machte, um ihren Mann Simon (Jean Wall) zu töten. Vor einer Weile vermeinte sie, seinen Wagen vorüberfahren gesehen zu haben, mit einer jungen Frau darin, doch den Mann am Steuer konnte sie nicht erblicken. Wie verabredet gemeldet hat er sich nicht, auch zu Hause ist er nicht gewesen, so dass Florence in beklemmender Ratlosigkeit die Orte ihrer heimlichen Begegnungen aufsucht, um schließlich als vermeintliche Prostituierte von der Polizei aufgegriffen zu werden.

Julien Tavernier befolgt minutiös seinen sorgfältig vorbereiteten Plan: Er weist seine Sekretärin an diesem Samstagnachmittag an, noch eine kleine Weile auf ihn zu warten und nicht im Büro zu stören, während er dort aus dem Fenster steigt und mit Hilfe eines Stricks die Etage seines Chefs erreicht, Florences Ehemann, ihn mit dessen eigenem Revolver erschießt und das Szenario eines Freitodes hinterlässt. Auch der Rückweg gelingt, und dann verlässt Julien gemeinsam mit seiner Sekretärin das den allgemeinen Feierabend erwartende Gebäude. Bei seinem Cabriolet angekommen, das nahe eines Blumengeschäfts parkt, erfasst sein Blick mit stillem Entsetzen den Strick, der noch verräterisch am Gebäude baumelt. Er hastet zurück, doch als er mit dem Fahrstuhl aufsteigt, stellt der Concièrge gerade den Strom ab, so dass Julien zwischen zwei Stockwerken in der Enge der Kabine gefangen ist.

Am Blumenladen, vor dem Juliens Wagen parkt, plaudert die Verkäuferin Veronique (Yori Bertin) mit ihrem windigen Freund Louis (Georges Poujouly) über den offensichtlich von ihr verehrten Tavernier, der bereits den Motor seines Cabrios gestartet hatte, bevor er erneut ins Bürogebäude eilte. Louis reitet der Teufel, als er sich ans Steuer setzt und mit der zunächst protestierenden Veronique davonprescht, und die beiden unternehmen eine ausgedehnte Spitztour aus der Stadt hinaus, die sie schließlich in ein kleines Motel führt. Dort treffen sie auf das deutsche Ehepaar Bencker (Elga Andersen, Iván Petrovich), mit denen sich Louis zuvor ein kleines Rennen geliefert hat. Sie beschließen, über Nacht zu bleiben und verbringen einen trinkseligen Abend mit den Benckers, wobei sich Louis als Julien Tavernier ausgibt.

Zu diesen drei Ebenen, auf denen sich die Dramaturgie von Louis Malles grandiosem Spielfilmdebüt Fahrstuhl zum Schafott ereignet, gesellt sich später eine vierte: Lino Ventura tritt als Commissaire Cherrier auf, der mit den Untersuchungen der Todesfälle von Madame und Monsieur Bencker sowie des Großindustriellen Simon Carala betraut ist. In diesen Dimensionen sind die Schicksale der Protagonisten arrangiert, die in unterschiedlichen Konstellationen aufeinander treffen, um komplett aus ihren bisherigen Lebensbahnen gerissen zu werden – mit Ausnahme des akribischen Commissaires, dessen Position der kühle Charakter eines Vollstreckers anhaftet. Dass es kein Entrinnen geben wird, deutet sich bei ungeheurer Spannung bereits früh in der düster-schwelenden Stimmung des Schwarzweißfilmes aus dem Jahre 1958 an, der zwischen den ästhetischen Aspekten von Film Noir und Nouvelle Vague oszilliert.

Der ebenso virtuose wie eigensinnige Filmemacher Louis Malles, der derart brisant-bewegende Filme wie Herzflimmer / Le souffle au cœur (1971), Lacombe Lucien (1973) und Auf Wiedersehen, Kinder / Au revoir les enfants (1987) inszeniert hat, präsentiert sein Debüt Fahrstuhl zum Schafott gleichermaßen mit atmosphärischer Dichte wie mit kühler Präzision. Mit dem Prix Louis Delluc ausgezeichnet stellt der Film einen mörderisch aufregenden Krimi feinster Machart dar, der seine Figuren mit brutaler Stringenz unausweichlich außer Gefecht setzt. Die Kamera von Henri Decaë wechselt ansprechend zwischen Nähe und Distanz zu den Protagonisten, deren Geschicke von leiser Ironie und unprätentiöser Schwermut flankiert werden – ein zutiefst fesselnder und eindringlicher Film, der neben kriminalistischen Komponenten ein kritisches Gesellschaftsbild der Metropole Paris entwirft, deren moderne Entwicklung auf innovative Weise visionär vorweggenommen wird.
 

Fahrstuhl zum Schafott (1958)

Da streift eine aparte Frau ruhelos durch das abendliche und nächtliche Paris, auf der Suche nach ihrem Geliebten. Hier und dort kehrt sie ein, fragt, ob er dort war, um dann enttäuscht in die Straßenzüge des urbanen Raums zurückzukehren. Ihre Gedanken werden dem Zuschauer bei Zeiten durch ihre über den Szenen schwebende Stimme offenbart, und manchmal ist es auch lediglich die atmosphärisch dichte Filmmusik von Miles Davis, die Florence Carala (Jeanne Moreau) mit kruder Melancholie begleitet.

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Meinungen

Martin Zopick · 07.04.2023

Louis Malles erster Film ist heute ein Kultklassiker, der besonders von denjenigen geschätzt wird, die kein Happy End brauchen. Die an sich einfache Story gibt der Atmosphäre des nächtlichen Paris viel Raum. Wie der Mörder Tavernier (Maurice Ronet), der im Fahrstuhl stecken bleibt, wieder raus kommt, ist eine nette Wendung des Films. Die Dramatik bringt die verzweifelt liebende Madame Carala (Jeanne Moreau) und das in zweifacher Hinsicht: erstens, dass ihr Lover Tavernier nicht kommt und zweitens, dass er mit einer anderen auf und davon sein könnte. Als Kontrast zu dieser arrivierten Liaison gibt es ein junges Pärchen, das Taverniers Auto klaut. Hier gibt es ebenfalls einen Mörder. Und Kommissar Lino Ventura gelingt die Verbindung zwischen beiden Fällen. Das ist der intellektuelle Anspruch, der bis zum Ende durchgehalten wird. In dieser Dimension findet die Lösung statt, wird erklärt, ist nachzuempfinden, die Tragik findet im Kopf des Zuschauers statt. Anhaltspunkte bekommt er höchstens von Jeanne Moreaus mitunter tränenreichem Gesichtsausdruck. Fotos erklären manches und Madame Caralas Abschiedsmonolog passt symmetrisch zur Eingangspassage. Hier wie da geht es um eine große, unglückliche Liebe. Ein toller, zweideutiger Titel weist den Weg und die Fahrstuhlmusik stammt vom Jazz-Gott der damaligen Zeit Miles Davis.