Eine unerhörte Frau

Eine Filmkritik von Olga Galicka

Unerhört interessante Frauen und wo man sie findet

Produktionen über interessante Frauencharaktere sind in Deutschland immer noch eine Rarität. Im vielfältigen Angebot deutscher Verwechslungskomödien und Beziehungsdramen bleibt diese Art Film zumeist auf der Strecke. Mit 24 Wochen und Eine unerhörte Frau kann sich die deutsche Filmlandschaft in den nächsten Wochen jedoch fast schon sehen lassen. Man nehme noch Mia Hansen-Løves Alles was kommt als französischen Gastbeitrag in dieses Triptychon interessanter Frauenfiguren hinzu und es könnte der Eindruck entstehen, wir seien wirklich schon im 21. Jahrhundert angekommen und Frauen müssten sich auf der Leinwand nicht mehr ganz allein der Partnersuche widmen. Leider ist diese Konstellation rein zufälliger Natur und schon in wenigen Wochen werden die Leinwände wieder mit ganz anderen Rollenbildern gefüllt sein. Doch der Blick auf Hans Steinbichlers Film ist nicht nur wegen seiner Frauenfigur lohnenswert. Er ist auch eine Parabel über das moderne Zeitalter, das immer komplizierter wird, und über die Durchsetzungskraft eines jeden Einzelnen innerhalb der Gesellschaft.
Der Geschichte der Bäuerin Johanna (Rosalie Thomass) liegt nicht nur ein Missbrauchsfall in ihrer Kindheit zugrunde, sondern auch eine kaputte Beziehung zu ihrer Mutter (Gundi Ellert). Als sie ihre eigene Familie gründet, scheint ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu geraten. Doch dann erkrankt ihre jüngste Tochter (Romy Butz), ohne dass die Ärzte eine konkrete Diagnose stellen können. Während die Krankheit des Mädchens über Jahre fortschreitet, glauben Johannas Umgebung und die behandelnden Ärzte, dass die Symptome des Mädchens erfunden sind. Johanna verliert bald den Anschluss an den Alltag, vernachlässigt ihre anderen Kinder und ihre Ehe, um sich allein um ihre Tochter kümmern zu können. Während das gemeinsame Leben für die ganze Familie immer mehr zu einer Herausforderung wird, schafft es Johanna dennoch, ihre Tochter mit eigens angelerntem medizinischen Wissen zu den richtigen Ärzten bringen und den Freistaat Bayern für die entstandenen Kosten und emotionalen Schäden zu verklagen.

Befremdlich wirkt die Vermarktung des Filmes als die deutsche Version von Erin Brockovich. Das hätte der Film nicht nötig gehabt. Ja, auch hier geht es um die Geschichte einer real existierenden Frau aus einer bildungsfernen Schicht, die sich in einem Gerichtsverfahren gegen einen großen Akteur stellt. Doch die Gerichtsverhandlung, die Regisseur Hans Steinbichler als bloßen Ausgangspunkt für die Geschichte Johannas benutzt, ist im Gesamtkomplex des Films eher nebensächlich. Es geht um Dynamiken, die sich innerhalb einer Familie verändern, wenn ein Kind erkrankt. Um persönliche Grenzen und wie diese immer weiter ausgelotet werden, wenn man sich über Jahre hinweg im Epizentrum eines Krisenherdes befindet. Und es geht natürlich um Mutterliebe und Charakterstärke und was die Kombination dieser beider Komponenten bewirken kann. Deswegen wirkt auch der Titel des Films eher überraschend. Johanna ist nicht die klassische Frau, die verzweifelt gegen Türen läuft. Sie ist eine Frau, die im Zweifelsfall Türen einrennt. Deswegen wirken die sich gerade zum Ende hin häufenden, durch dramatische Musik untermalten Flashbacksequenzen, die das Drama von Johannas Lebensweg aufs Neue ins Gedächtnis rufen sollen, etwas übertrieben.

Denn die Momente dazwischen sind so eindringlich, dass sie keine verstärkenden Elemente gebraucht hätten. Allein die bemerkenswerte Präsenz von Rosalie Thomass voller unterschiedlicher Färbungen ist so intensiv, dass technische Hilfsmittel vielmehr zu einem Störfaktor werden. Thomass, die schon mit ihren Rollen in Monika oder The Dog Wedding ein Gespür für gute Frauencharaktere bewiesen hat, dominiert die Leinwand und zeichnet einen vieldimensionalen Charakter. Es ist beinahe ein krönender Abschluss ihrer Rolle, als Johannas Ehemann (Florian Karlheim) nach der erfolgreichen Operation der Tochter unter Tränen zusammenbricht, während Johanna mit einem noch fassungslosen Lachen ihm beinahe beiläufig-emphatisch auf den Rücken klopft. Dass die Tochter am Ende lebt, ist allein Johannas Verdienst. Sie trägt das ganze Leid allein, hält die Familie zusammen, sie handelt, schafft Tatsachen, während ihr Mann sich immer weiter dem Alkohol und anderen Frauen hingibt. Dieser beiläufige Rückenklopfer spiegelt raffiniert die Beziehung zwischen den beiden Charakteren. Während er sich dem Leid hingibt, macht sie weiter.

Eine unerhörte Frau zeigt, wozu ein einzelnes Individuum in der Lage ist. Und dass man sich selbst in der heutigen Welt der Beamtensprache und professioneller Termini in allen Lebensbereichen immer noch bestimmten Abläufen widersetzen kann. Der Film macht der modernen Filmwelt ein wertvolles und seltenes Geschenk – er gibt ihr einen Frauencharakter, der zu einem echten Vorbild für weitere Generationen werden kann. Denn abgesehen von dem oben genannten Triptychon kann man diese Art von Charakteren in den vorigen Jahren an erschreckend wenigen Händen abzählen.

Eine unerhörte Frau

Produktionen über interessante Frauencharaktere sind in Deutschland immer noch eine Rarität. Im vielfältigen Angebot deutscher Verwechslungskomödien und Beziehungsdramen bleibt diese Art Film zumeist auf der Strecke. Mit 24 Wochen und Eine unerhörte Frau kann sich die deutsche Filmlandschaft in den nächsten Wochen jedoch fast schon sehen lassen.
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Meinungen

dogholyday · 27.10.2018

Einer der bewegendsten deutschsprachigen Filme der letzten Jahre. Hinreißend gespielt mit einer oscarreifen Leistung von Rosalie Thomass und überzeugenden Romy Butz als Magdalena.
Unbedingt ansehen!

Maddin · 04.10.2017

Schauspielerische Glanzleistung der 3 Protagonisten. Sehenswert umgesetzt. Für mich Grimme Preis verdächtigt

Winiger · 08.10.2016

Ich fand den Film sehr authentisch und die einzelnen Rollen voll nachvollziehbar.
Sehr empfehlenswert!