Durst (2009)

Eine Filmkritik von Florian Koch

Der blutige Pfad eines Priesters

Was hat ein französischer Naturalist mit einem südkoreanischen Horrorregisseur gemein? Ziemlich viel, betrachtet man das neueste Werk des asiatischen Bilderstürmers Park Chan-wook. Sein Vampirdrama Durst beruht in seiner Grundkonstruktion ganz bewusst auf Emile Zolas Skandalwerk Thérèse Raquin, das vor über 140 Jahren auf Grund seiner Freizügigkeit die Gemüter erhitzte. Die Figurenkonstellation mit einem moralisch verkommenen Liebespaar im Zentrum hat Park nahezu komplett von Zola übernommen. Auch Zolas Leitmotiv, das Verhalten von „menschlichen Bestien“ en detail zu skizzieren und zu analysieren nimmt Park in Durst wieder auf. Da dem Koreaner eine bloße Transformation des Thérèse Raquin-Stoffes in ein völlig anderes Medium und Milieu zu profan wäre fügt er Durst noch eine fantastische Note (Vampirmotiv) und eine christliche Komponente (der Priester als Sünder) hinzu. Die Gefahr einer heillosen Überfrachtung nimmt Park damit billigend in Kauf.

Der katholische Priester Sang-hyun (Song Kang-ho) zweifelt angesichts des Leids auf der Welt an seinem Glauben. Um wieder näher an die Menschen und ihre Probleme heranzurücken meldet er sich zu einem gefährlichen Forschungsprojekt in Südafrika. Es soll ein Impfstoff gegen ein tödliches Virus gefunden werden, und Sang-hyun ist einer der wagemutigen Probanden für ein Gegenmittel. Doch der Priester kommt bei diesem Experiment zu Tode, bis ihn eine letzte Bluttransfusion plötzlich in einen Vampir verwandelt. Während er nach der wundersamen Wiederbelebung von religiösen Fanatikern als kommender Heilsbringer verehrt wird, sucht der bandagierte, zutiefst verwirrte Priester erst einmal die Abgeschiedenheit in seiner Heimat. Bald muss Sang-hyun feststellen, dass er nicht nur übernatürliche Kräfte besitzt, sondern auch eine unstillbare Gier nach Blut entwickelt. Fortan brodelt in ihm ein gewaltiger Gewissenskonflikt zwischen seinem christlichen Glauben und dem Durst auf den roten Lebenssaft. Während seiner spärlichen Ausflüge in die Öffentlichkeit begegnet er zufällig seinem schwächlichen Schulkameraden Kang-woo (Shin Ha-kyun) und dessen unterdrückter Frau Tae-joo (Kim Ok-vin). Sang-hyun verliebt sich sofort in sie, wirft sein Zölibatsgelübde über Bord und gibt sich voll seinen Leidenschaften hin. Sein Vampirdasein kann er vor Tae-joo nicht lange verheimlichen. Die zuerst schockierte junge Frau entdeckt in seiner Beichte aber gleich auch eine Möglichkeit ihren verhassten Alltag hinter sich zu lassen: Denn mit seiner Stärke könne Sang-hyun doch ohne Probleme ihren brutalen Nochehemann liquidieren. Als Sang-hyun ihren kaltblütigen Mordplänen zustimmt löst er eine fatale Ereigniskette aus.

Park Chan-wook gilt spätestens seit seiner kultisch verehrten Rachetrilogie Sympathy For Mr. Vengeance, Oldboy und Lady Vengeance als Heilsbringer des südkoreanischen Kinos. Die Idee für Durst hatte der Formalist aber bereits vor über zehn Jahren, als er an seinem meisterhaften Grenzpolitthriller JSA arbeitete. Gemeinsam mit dem überzeugend subtilen Hauptdarsteller Song Kang-ho (The Host) wollte er dem festgefahrenen Vampirgenre einen neuen Dreh verpassen. Prompt erhielt Park für seine Vision den mit Fish Tank geteilten Preis der Jury beim Filmfestival in Cannes.

Während der Vampirmythos im Twilight-Sog entbrutalisiert und entsinnlicht wurde, setzt der nicht gerade zart besaitete Koreaner mit Durst zum filmischen Gegenangriff an. Für eine populäre asiatische Produktion äußerst freizügig in den leidenschaftlichen bis ekligen (beispielsweise beim Ablutschen von mit Hornhaut überzogenen Füßen) Sexszenen macht Park auch beim Thema Gewalt keine Gefangenen. Um den unbezwingbaren Durst nach Blut zu illustrieren, wiederholt Park zahlreiche Sequenzen, in denen Sang-hyun beim Aussaugen von Blutbeuteln im Krankenhaus gezeigt wird. Dieser Akt ist bei Park kein genießerischer, sondern ein zwanghafter, der dem Priester vor allem moralisch zu schaffen macht. Gerade das verzweifelte Festhalten des einstmals so vorbildlichen, in der Seele reinen Priesters an seinen Glaubensvorschriften, die seinem Lustempfinden und seinen Vampirzwängen so krass widersprechen wird in Durst in allen Einzelheiten durchgespielt.

Im ersten Drittel seines aufwühlenden, komplexen Horrordramas erzählt Park dieses Dilemma präzise und mit einem stimmigen Einsatz von symbolischen Bildmotiven und eleganten Kamerafahrten. Das subtile Schildern einer Grenzerfahrungssituation für einen Geistlichen weicht später der plakativen Liebesgeschichte, in der nur die atemberaubend intensiv spielende Kim Ok-vin Glanzpunkte setzen kann. Zu oft wiederholen sich im Mittelteil von Durst die aus anderen Vampirfilmen bekannten Aussaugsequenzen, zu wenig entschlossen und erstaunlich kraftlos treibt Park hier den Plot voran. Mit den überzeichneten Witzfiguren einer hysterischen Schwiegermutter und des peinlich jammernden Ehemannes von Tae-joo macht sich Park auch keinen Gefallen. Denn die vordergründigen Lacher gehen auf Kosten der Spannung und lenken von der eigentlichen Problematik des Liebespaares ab.

Die Unentschlossenheit in der Erzählweise und mangelnde Originalität in der Aufarbeitung des Vampirmythos kann Park auch nicht mit seinen gewohnt ausgefeilten Bildkompositionen ausgleichen. Erst im letzten Drittel gewinnt Durst wieder an Fahrt, wenn ein genial arrangierter, minutenlanger Kampf gegen das Sonnenlicht die enorme Selbstzerstörungskraft und Todessehnsucht von Tae-joo und Sang-hyun veranschaulicht. Wie man dem Vampirgenre aber nicht nur in einzelnen Sequenzen neues Leben einhaucht, bewies im letzten Jahr Tomas Alfredson mit seinem gefeierten Überraschungserfolg So finster die Nacht.
 

Durst (2009)

Im Reigen der großen und bekannten Namen, der dieses Jahr den Wettbewerb um die Goldene Palme auszeichnet, ist der südkoreanische Regisseur Chan-wook Park ein relativ neuer Name. Doch gerade in Cannes hat der Filmemacher schon einiges erreicht.Was hat ein französischer Naturalist mit einem südkoreanischen Horrorregisseur gemein? Ziemlich viel, betrachtet man das neueste Werk des asiatischen Bilderstürmers Park Chan-wook. Sein Vampirdrama „Durst“ beruht in seiner Grundkonstruktion ganz bewusst auf Emile Zolas Skandalwerk „Thérèse Raquin“, das vor über 140 Jahren auf Grund seiner Freizügigkeit die Gemüter erhitzte. Die Figurenkonstellation mit einem moralisch verkommenen Liebespaar im Zentrum hat Park nahezu komplett von Zola übernommen.

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