Dügün - Hochzeit auf Türkisch

Liebe in Zeiten des Pottuntergangs

Von Duisburg-Marxloh hört man normalerweise nur in Verbindung mit dem Begriff „Problemviertel“ oder gar „No-Go-Area“, also einem Bezirk, den selbst die Polizei auf Streife weitgehend versucht zu meiden, weil es mitunter zu gefährlich sei, sich dort einzeln hineinzubegeben. Immer wieder gibt es Stimmen, die dem widersprechen, Stadtteilaktivisten, die Reporter durch ihren „Kiez“ führen, um zu beweisen, dass es gar nicht so schlimm um Marxloh bestellt sei wie noch vor zehn Jahren – und schon gar nicht, wie es in den Medien dargestellt wird. Aber diese vereinzelten Proteste schaffen es ohnehin kaum über kleinere alternative Blätter hinaus, von Tageszeitungen ganz zu schweigen. Marxloh, das ist ein klassisches Ruhrpottviertel nach dem Zusammenbruch der Kohleindustrie. In den 1990er Jahren sterben ganze Straßenzüge aus, Geschäfte werden geschlossen und die Kriminalität kehrt ein. Dass sich jedoch in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in Marxloh einiges getan hat, wird gerne von Regierung und zuständigen Ämtern übersehen. Denn Marxloh ist nicht nur als Problemviertel bekannt, sondern auch für sein von türkischstämmigen Bewohnern betriebenes und geradezu boomendes Hochzeitsgeschäft.
Die türkische Community hat der Wirtschaftskraft Marxlohs neuen Auftrieb gegeben. Gerade in den vorigen Jahren eröffneten vermehrt Restaurants, Veranstaltungshallen und Geschäfte. Anerkennung oder Subventionierung haben die Bewohner Marxlohs dafür noch nicht gesehen. Dabei könnte man noch so viel mehr aus dem Viertel machen. Die Verwunderung darüber äußern die Protagonisten von Marcel Kolvenbachs und Ayşe Kalmaz‘ Dügün – Hochzeit auf Türkisch in wiederholten Seitenhieben in Richtung Duisburger Stadtverwaltung. Es sei schade, dass es für ihre Arbeit im Viertel weder Anerkennung noch Unterstützung seitens der Stadt gebe. Der Hochzeitsveranstalter Ferhat Aldur formuliert es noch etwas drastischer. Das, was die Türken aus Marxloh gemacht haben, wäre den Deutschen ohnehin nicht gelungen. Denn sie, die Türken, stellten sich gerne großen Herausforderungen und der harten Arbeit. Deswegen hätten die Deutschen damals ja ohnehin die Türken als Gastarbeiter eingeladen. Und tatsächlich bleibt man ratlos, warum man von Marxloh nur Schlechtes hört und sich die Behörden hoffnungslos und überfordert geben. Denn hier wurden neue Strukturen geschaffen: Es wird wieder gebaut, renoviert und neueröffnet. Eine Leistung, die honoriert werden sollte, aber offensichtlich gern übersehen wird.

Dügün folgt unterschiedlichen Protagonisten auf dem Weg zur Hochzeit: auf der einen Seite steht das Brautpaar, auf der anderen stehen ihre Dienstleister. Zusammengehalten wird der Film durch die Person des Hochzeitsplaners Ferhat. Er plant, organisiert, kennt alle wichtigen Kontakte und gibt die Zeitschrift „Dügün“ – das türkische Wort für Hochzeit – heraus. Er selbst sieht sich als eine Art Beschützer der türkischen Kultur – während mit jeder Generation die Traditionen und die türkischen Wurzeln immer mehr in den Hintergrund geraten, sei die Hochzeit die letzte traditionelle Institution, die immer noch von allen geschätzt werde. Und so setzen die Filmemacher Ferhats Liebe zu Marxloh und dem Ruhrpott mit seiner Liebe zu Hochzeitskitsch in einen überraschend eleganten Kontrast. Die türkischen Hochzeiten des Ruhrpotts sind eine nostalgische Melange, ein Aufleben alter Traditionen und besserer Zeiten.

Ob die Zeiten früher wirklich besser waren, wird jedoch von Kalmaz und Kolvenbach unkommentiert zur Diskussion gestellt. In der Früher-war-alles-besser-Manier erzählen Männer und Frauen, wie man früher, obwohl längst nach Deutschland ausgewandert, immer noch nur einen Partner aus der gleichen Heimatstadt heiraten durfte. Erzählt wird von Vätern, die ihre Töchter entweder nicht weggeben wollten oder zu früh weggegeben haben. Von einer Mutter, die ihre Tochter einen Jungen heiraten lässt, den sie kaum kennt und mit dem sie nur einmal herumgeknutscht hat, um „die Ehre“ der Familie zu bewahren. Oder dass Frauen früher ihre „Tüchtigkeit“ beweisen mussten, indem sie die Bettwäsche vor der Hochzeit bestickt haben, anstatt wie heute einfach arbeiten zu gehen. Die einen bekommen dabei leuchtende Augen, den anderen fallen die Mundwinkel zusammen, wenn sie merken, was sie selbst gerade verherrlicht haben.

Der ökonomische Wandel im Viertel Marxloh geht in Dügün mit dem traditionellen Wandel einher. Leitende Positionen im Hochzeitsgeschäft werden von Frauen wie Männern eingenommen, ein spanisch-türkisches Mittvierzigerpaar mit Kind gibt auf ihrer Hochzeit nicht nur den Bauchtanz, sondern auch Flamenco zum Besten. Ein Vater ist sich unsicher über die Entscheidung seiner Tochter zu heiraten, schlägt vor, dass sie und ihr Freund erst einmal zusammenziehen, traut sich aber nicht, sich noch weiter in die Angelegenheiten seiner Tochter einzumischen. Dabei versteht man seine Zweifel. Denn der Bräutigam ist mehr um den Preis des Kleides und die in seinen Augen zu progressive Haltung der Familie der Braut besorgt, als um die Beziehung an sich. Man fragt sich, was die beiden verbindet, und bleibt ratlos zurück. Aber so ist es eben manchmal im Leben. Auf der Hochzeit weinen Vater und Mutter und selbst die Braut. Nach Freudentränen sieht das nicht aus.

Erkut Taçkıns grandioser Titelsong Sevmek İstiyorum rundet den Film musikalisch und auch inhaltlich ab. Taçkın ist nicht nur einer der ersten Vertreter der türkischen Rockmusik, er ist auch in den 1960er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und hat in einem Fordwerk gearbeitet. Seine Karriere als Musiker konnte er schon in Deutschland festigen und ausbauen, aber in der Türkei ist er eine wichtige Größe der modernen türkischen Musikgeschichte. „Wo geh ich hin. Wo komm ich her?“, fragt er in Sevmek İstiyorum. Diese Fragen bleiben bis heute unbeantwortet und Taçkın genauso wie die türkischen Bemühungen in Duisburg-Marxloh von der deutschen Gesellschaft leider übersehen.

Olga Galicka

Dügün - Hochzeit auf Türkisch

Von Duisburg-Marxloh hört man normalerweise nur in Verbindung mit dem Begriff „Problemviertel“ oder gar „No-Go-Area“, also einem Bezirk, den selbst die Polizei auf Streife weitgehend versucht zu meiden, weil es mitunter zu gefährlich sei, sich dort einzeln hineinzubegeben. Immer wieder gibt es Stimmen, die dem widersprechen, Stadtteilaktivisten, die Reporter durch ihren „Kiez“ führen, um zu beweisen, dass es gar nicht so schlimm um Marxloh bestellt sei wie noch vor zehn Jahren – und schon gar nicht, wie es in den Medien dargestellt wird.
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Meinungen

Berkant · 30.12.2016

Ich finde es gut, dass solch ein Film gemacht wurde. Die türkische Hochzeitsbranche ist die wahrscheinlich größte und umsatzstärkste Branche der türkische Community. Einen Auflistung aller türksichen Hochzeitsdienstleister findet man auch auf www.gelinim.de . Freue mich, wenn es einen zweiten Teil gibt z. B. in Köln mit vllt. etwas anderen Hochzeiten :D