Dream Boat

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Die Utopie ist nur ein Traum

Tief im Schiffsbauch ist ein Zimmermädchen gerade noch dabei, die Betten in den Kabinen zu machen, da betreten die ersten Gäste schon das elegante Atrium. Alles sieht zu Beginn von Dream Boat noch nach einer Kreuzfahrtdoku aus dem TV-Nachmittagsprogramm aus. Aber statt süßer Betthupferl liegen Kondome auf den fluffig aufgeschüttelten Kissen und unter den Passagieren sind keine Frauen zu sehen. Einmal im Jahr sticht das Kreuzfahrtschiff Monarch in See und nimmt nur homosexuelle Männer mit. Der Regisseur Tristan Ferland Milewski hat eine dieser Fahrten begleitet, umkreist die Reisenden in ihrer schwimmenden Stadt. Er filmt die Monarch aus der Luft, wie ihre Masse eine breite Schneise schäumender Gischt ins tiefblaue Wasser des Atlantik malt. Das frische Weiß des Schiffes, das Meer, die gebräunten Körper, die sich an Deck rhythmisch im Takt der Musik tummeln. Dream Boat schwelgt in den sich bewegenden Formen, den strahlenden, hochgesättigten Farben, den mondänen Sonnenflecken auf der Linse. Zeitlupen verstärken diesen Effekt noch. Manchmal sieht der Film aus wie gemalt, hyperrealistisch. So wie in der Aufnahme der drei weiß-blauen Badehosen, die es auch auf das Plakat geschafft haben.
Dipankar bewegt sich staunend, fast ungläubig durch diese märchenhafte Welt. Der Inder ist aus einer arrangierten Ehe geflohen und gibt sich nun sieben Tage Zeit, um auf dem Meer seine Liebe zu finden. Milewski zoomt immer wieder an eine Handvoll Protagonisten heran, die ihre ganz eigenen Probleme mit auf die Reise gebracht haben: Marek aus Polen leidet unter dem Gefühl, niemand wolle mehr als seinen perfekten Körper, Ramzi wurde in Palästina von der Polizei verfolgt, der Franzose Philippe hat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, seitdem er im Rollstuhl sitzt, der Wiener Martin muss einen Weg finden, mit HIV umzugehen.

Als Lösung all dieser Probleme – oder zumindest als zeitweise Ablenkung – offeriert Dream Boat tanzen. Weiße Nächte, eine Party im Schein hunderter Neonlichter, Gala-Abend – in puncto redundantes Unterhaltungsprogramm unterscheidet sich die schwule Kreuzfahrt nicht sonderlich von der heteronormativen. Nur werden die Partys hier deutlich exzessiver gefeiert und Tristan Ferland Milewski nutzt jede sich bietende Gelegenheit, aufwendige Outfits zu filmen, eingeölte Muskeln und kreisende Hüften. Am nächsten Morgen ist das Außendeck von einer Schicht Müll überzogen: Trinkbecher, zu Boden gerieselter Flitter, benutzte Kondome. Ein Crewmitglied in dunkelroter Uniform zückt die Schaufel, stapelt Liegen aufeinander. In diesen spärlich gesäten Momenten der Ruhe wird einem bewusst, dass der Mikrokosmos Kreuzfahrtschiff eigentlich nicht ausschließlich aus rauschenden Poolpartys besteht. Und so richtig will der Begriff der Utopie auch gar nicht auf die Monarch passen. Milewski demontiert die nur auf den ersten Blick allumfassende Idylle unter dem Regenbogen. Immer wieder tastet seine Kamera die gleichen sonnengegerbten Gesichter lachender Männer an Deck ab, eröffnet mit diesem Reigen immer neue Spektren an Befindlichkeiten der Community: ein extremes Fixiertsein auf Schönheit und Jugend zum Beispiel. Ein Gefühl von Zweitklassigkeit all derer, die nicht dem Idealbild entsprechen.

So genüsslich aber der Regisseur die visuellen Eigenheiten einer Kreuzfahrt auskostet, so allgemein sind letztlich seine Beobachtungen. Im Laufe des Films stellen sich hunderte unbeantwortete Fragen: Was ist mit der Crew, die sich auf Schiffen international operierender Reedereien zum Großteil aus Ländern rekrutiert, in denen Homosexualität nicht nur ein Tabu darstellt, sondern oftmals auch eine Straftat? Wie fallen die Reaktionen in den angefahrenen Häfen aus? Gibt es Stammgäste, die jedes Jahr wieder mit der Monarch in See stechen – und warum entscheiden sie sich ausgerechnet für diese Form des Reisens? Ein typisches Kreuzfahrtphänomen ist Tristan Ferland Milewski jedoch nicht entgangen: Anfangs stürzen sich alle Passagiere euphorisch ins Getümmel. Nach etwa zwei Dritteln der Reise stellt sich aber Melancholie ein. Die sieben Tage gehen unweigerlich ihrem Ende entgegen. Was kommt dann?

Dream Boat

Tief im Schiffsbauch ist ein Zimmermädchen gerade noch dabei, die Betten in den Kabinen zu machen, da betreten die ersten Gäste schon das elegante Atrium. Alles sieht zu Beginn von „Dream Boat“ noch nach einer Kreuzfahrtdoku aus dem TV-Nachmittagsprogramm aus. Aber statt süßer Betthupferl liegen Kondome auf den fluffig aufgeschüttelten Kissen und unter den Passagieren sind keine Frauen zu sehen.
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