Die Überglücklichen (2016)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Amtlich verrückt

Beatrice (Valeria Bruni Tedeschi) will raus, das ist in der ersten Minute klar. Sie sieht überhaupt nicht ein, warum man sie in die alternative Nervenklinik mit dem sonnigen Namen „Villa Biondi“ gesteckt hat. Sie schafft es bis in den Kleinbus, der ausgewählte Patienten in die Stadt fahren soll, da schnappt sie im letzten Augenblick eine Ordensschwester und geleitet sie zurück in den Garten. Beatrice zetert und schmollt und sobald andere Patienten vorbeikommen, erzählt sie ihnen geradezu manisch-gutgelaunt ihre Lebensgeschichte: über ihre adlige Mutter, den reichen Anwaltsgatten, ihre Designerkleider und die große Villa.

Ihr Wesen ist so flatterhaft wie der Seidenschal, den sie um die Schultern geschlungen hat. Dass ihre Diagnose „bipolar“ lautet, erfährt man erst viel später. Zuvor macht Beatrice den Eindruck einer äußerst überspannten Oberschichts-Italienerin, die es gewohnt ist, Personal für jeden Handgriff zu haben und Menschen und ihre Gefühle nicht allzu ernst nehmen zu müssen. Dann zeigt sie plötzlich an Donatella (Micaela Ramazzotti) wirkliches Interesse, einer neuen Patientin, die mit schweren Depressionen eingeliefert wird. Die beiden unterschiedlichen Frauen freunden sich an. Durch einen Zufall gelingt es ihnen, in die nächste Stadt zu verschwinden. Es beginnt ein Roadtrip, der in die Vergangenheit der beiden zurückführen wird.

Regisseur Paolo Virzì sagte nach der Filmpremiere in Cannes, ihn haben für seine Filme schon immer Charaktere interessiert, die psychopathische oder verrückte Züge tragen. Nun habe er sich das erste Mal mit zwei Hauptfiguren beschäftigt, die amtlich verrückt seien. Virzìs voriger Film Die süße Gier übte Kapitalismuskritik und wurde 2015 für einen Auslandsoscar nominiert. Auch Die Überglücklichen hält sich mit Kritik nicht zurück, dieses Mal nimmt Virzì das staatliche Pflegesystem in Italien aufs Korn. Dass die Institution „Villa Biondi“ mit den wohlwollenden Nonnen, der Gruppentherapie im Kräutergarten und dem Gottesdienst für die Patienten eine absolute Ausnahme ist, zeigt Virzì sehr deutlich. Das staatliche Gegenmodell, in das Donatella im Laufe der Flucht eingewiesen wird, ist grau, eng, die Pfleger sind überfordert, die Patienten vernachlässigt. Doch auch wenn Virzìs Themen ernst sind, so erzählt er seine Geschichten doch immer mit viel Humor und ohne Verbitterung. Einen Seitenhieb gegen die Korruption in Italien setzt er hier geschickt in einem Dialog zwischen Beatrice und Donatella: Die überspannte Adlige schmuggelt ihrer Freundin Donatella ein Diamantarmband in die staatliche Nervenklinik mit der Notiz „Ich weiß, das ist nicht dein Stil, aber versuch bitte, auf die italienische Art da rauszukommen.“ Kurze Zeit später sieht man eine Pflegerin mit Diamantarmband und Donatella ist weg.

Was Virzì in seiner politischen Kritik gelingt, büßt er an Authentizität bei seinen Protagonistinnen ein. Beiden Frauenfiguren hätte ein weiblicher Blick über das Drehbuch gutgetan. Die depressive Donatella verliert sämtliche Glaubwürdigkeit, als sich ihre Vergangenheit als versuchte Kindsmörderin entblättert, die mit ihrem neun Monate alten Sohn Selbstmord begehen wollte – aus Liebe zu ihm. Da hilft auch Micaela Ramazzottis Schauspielkunst nichts mehr. Die dramatische Wende öffnet einen Graben zwischen Donatella und dem Zuschauer, über den man ihr nicht mehr folgen kann. Und auch der lockere Ton, den der Film bis zum Schluss durchhält, will so gar nicht zu dieser Erzählebene passen. Von diesem Makel abgesehen, ist Virzì jedoch ein kurzweiliges Roadmovie mit satirischen Seitenhieben auf die italienische Politik gelungen.
 

Die Überglücklichen (2016)

Beatrice (Valeria Bruni Tedeschi) will raus, das ist in der ersten Minute klar. Sie sieht überhaupt nicht ein, warum man sie in die alternative Nervenklinik mit dem sonnigen Namen „Villa Biondi“ gesteckt hat. Sie schafft es bis in den Kleinbus, der ausgewählte Patienten in die Stadt fahren soll, da schnappt sie im letzten Augenblick eine Ordensschwester und geleitet sie zurück in den Garten.

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Meinungen

Hans Huber · 08.01.2017

Die Überglücklichen , immerhin zwei psychisch labile Frauen in einer heutigen italienischen Psychiatrie, die in den 68igern ihre Klienten "freigelassen" hat, um sie aus dem völlig veralteten staatlichen Psychiatriesystem zu "befreien" und auf die Gesellschaft losgelassen wurden, diese beiden Frauen wurden uns hier "a vivo" vorgeführt. Die Hälfte des Film hatten wir nun das bezahlte Vergnügen, uns das muntere Treiben von verstörten Frauen sozusagen von außen oder oben zu betrachten. Der zweite Teil spielte dann in der wilden Aussen- Realität dieser Gesellschadt von heute, an der beide Frauen nocheinmal zerbrechen mussten. Wieder durften wir als bezahlende Zuschauer wie damals über den "Köpfen der Verrückten" über die Geländer der Zuschauerbrücken in die Irrenanstalten und ihre Bewohner uns hineingruseln! Noch nie habe ich einen so deprimiernd gefühllosen und die blanken Schaueffekte von Verwirrten ausbeutenden Film erlebt und bin danach ziemlich verärgert über meine Ahnungslosigkeit gewesen, dieses Machwerk auch noch mitfinanziert zu haben. Bitte nicht ansehen, es ist beschämend, da als Zuschauer in dieser Position dabeizusitzen und nichts Besseres als so eine beschämende "Unterhaltung" vorzufinden!!