Die schönen Tage von Aranjuez

Eine Filmkritik von Falk Straub

Mühevolles Zwiegespräch

Auf dem Einband des schmalen, grauen Bändchens, in dem Peter Handkes Theaterstück Die schönen Tage von Aranjuez 2012 erschienen ist, prangt wie ein böses Omen eine liegende Acht, das Zeichen für Unendlichkeit. Denn Wim Wenders Verfilmung mit Sophie Semin, Reda Kateb und Jens Harzer kann einem unendlich lang werden.
Peter Handke ist ein Vielschreiber. Allein mehr als 20 Bühnenstücke hat der 1942 in Kärnten geborene Schriftsteller seit seinem Romandebüt Die Hornissen 1966 veröffentlicht. Dass nicht jedes davon von gleicher Qualität ist, erklärt sich von selbst. Doch selbst die mittelmäßigen gelangen regelmäßig zur Aufführung. Die schönen Tage von Aranjuez, das zweifelsohne nicht zu Handkes besten Werken zählt, fand bereits wenige Monate nach seinem Erscheinen seinen Weg ins Theater. Handkes alter Weggefährte Wim Wenders bringt das Kammerspiel nun ins Kino und strapaziert damit die Nerven seines Publikums.

Dabei nimmt sich der Auftakt nicht einmal schlecht aus. „Just a perfect day“, lässt uns Lou Reeds Stimme aus dem Off wissen, und während der Sänger in seinen Versen mit einer Namenlosen Sangria im Park trinkt, die Tiere im Zoo füttert und einen Film sieht, sehen wir Ansichten eines menschenleeren Paris. Behutsam tastet sich Benoît Debies Kamera vom Zentrum der französischen Hauptstadt an deren Peripherie und legt im Flur eines Landhauses den Blick auf eine alte Musicbox frei, aus der Reeds Zeilen an unser Ohr dringen. Der Blick des namenlosen Schriftstellers (Jens Harzer), der ein Zimmer weiter an seinem Schreibtsich sitzt, fällt derweil nach draußen. Auf der Terasse imaginiert er eine Frau (Sophie Semin) und einen Mann (Reda Kateb) auf zwei Stühlen an einem Tisch. In diesen ersten Minuten, bevor sich ein Dialog zwischen den beiden entspinnt, können wir nachempfinden, warum Regisseur Wim Wenders nach seinem Dokumentarfilm Pina (2011) und dem Drama Every Thing Will Be Fine (2015) auch Die schönen Tage von Aranjuez in 3D gedreht hat. Wenn der Wind durch die Bäume rauscht und deren Äste in den Kinosaal weht, den das Zirpen der Grillen und der Ruf des Kuckucks bereits erfüllt, dann stellt sich auch bei uns unweigerlich das Gefühl eines perfekten Tages ein. Dann scheint es beinahe so, als ob die Tiefe des Filmbilds die Sonnenstrahlen auch auf unserer Haut spürbar mache.

Mit dieser Immersion, dem Gefangensein in den Bildern ist es jedoch schnell vorbei, als die namenlosen Protagonisten ihre Münder öffnen. Wenders, der das Drehbuch dieses Mal ohne ein Zutun Handkes verfasste, verlässt sich ganz auf die Sprache aus dessen Vorlage. Anstatt Handkes gewohnt und gewollt verquasten Stil behutsam in eine realistische, dem Medium angemessene Form zu überführen, ändert oder kürzt Wenders kaum etwas, übernimmt den Großteil des Dialogs wortwörtlich. (Lediglich den Schriftsteller und einen Überraschungsgast fügt er als Figuren hinzu.) In ihrem Gespräch, das vonseiten des Mannes mehr einem Verhör gleichkommt und um die (ersten) sexuellen Erfahrungen der Frau, um Beziehungen und Liebe kreist, fallen dann Sätze wie folgende: „Es war keine Nacht. Und er, das war kein Mann. Und ich, ich bin keine Frau geworden. Und doch war’s ein Liebesakt.“ Auf der Bühne oder den Seiten eines Buches funktionieren diese Zeilen, im Dunkel des Kinosaals machen sie jede noch so gelunge Illusion schlagartig zunichte.

Dass Wenders und Handke auch anders können, haben sie von Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1972) über die Goethe-Adaption Falsche Bewegung (1975) bis zu Der Himmel über Berlin (1987) bereits dreimal in Spielfilmlänge bewiesen. Hier war die Sprache entweder modernisiert oder deren Entrücktheit passte zum Thema. Doch selbst wer Handkes Stil liebt, wird sich schwertun mit Wenders Umsetzung. Der Plastizität der Landschaft und der Räume des Landhauses können die Gesichter der Schauspieler nichts entgegensetzen. Wo Debies Kamera in Every Thing Will Be Fine James Francos und Charlotte Gainsbourgs Schmerz in deren Gesichtern greifbar machte, bleiben Sophie Semin und Reda Kateb in der dritten Dimension seltsam ausdruckslos. Und auch der Garten, in dem Peter Handke einmal kurz als Gärtner die Büsche stutzt, ist schlecht in Szene gesetzt, verliert in zu vielen Einstellung an Tiefe.

Gepaart mit einer Vorlage, die das Unverständnis eines alten Mannes für die weibliche Sexualität zum Ausdruck bringt, Frauen mehr als Rächerinnen denn als Liebende begreift und in der der Mann sich beständig in Beschreibungen der Natur flüchtet, anstatt etwas von sich preiszugeben, müssen wir schon viel Liebe für Wim Wenders und Peter Handke mitbringen, um diesen Film bis zum Ende durchzustehen.

Die schönen Tage von Aranjuez

Auf dem Einband des schmalen, grauen Bändchens, in dem Peter Handkes Theaterstück „Die schönen Tage von Aranjuez“ 2012 erschienen ist, prangt wie ein böses Omen eine liegende Acht, das Zeichen für Unendlichkeit. Denn Wim Wenders Verfilmung mit Sophie Semin, Reda Kateb und Jens Harzer kann einem unendlich lang werden.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen