Die Maisinsel

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Der alte Mann und der Fluss

Regelmäßig im Frühjahr führt der Enguri, der vom Kaukasus zum Schwarzen Meer fließt, so viel Geröll mit sich, dass sich in seinem Wasser kleine Inseln bilden. Die ansässigen Bauern nehmen das gewonnene Land gerne in Anspruch, auch wenn es nicht beständig ist und durch die Einwirkung von Wind und Wasser nach einer gewissen Zeit wieder verschwindet. Der lockere, fruchtbare Boden mitten im Fluss lässt sich nämlich besser und ertragreicher bewirtschaften als das umliegende Festland. Auf so einer Insel, vielleicht ein Ar, also hundert Quadratmeter groß, spielt die georgisch-deutsch-französisch-tschechisch-kasachische Koproduktion Die Maisinsel.
Sie liegt wie eine von allen Seiten einsichtige Bühne in dem Fluss, der die Grenze zwischen Georgien und der abtrünnigen Region Abchasien bildet. Den ganzen Film über verlassen wir die Wind, Wetter und allen Blicken ausgesetzte Fläche kaum, und wenn, dann höchstens, um uns nur ein paar Meter von ihr zu entfernen. Festland, gleich auf welcher Seite, Georgien oder Abchasien, erreichen wir nie. Und wir begegnen nur wenigen, schweigsamen Personen. Einem alten Mann (Ilyas Salman) und einem sommersprossigen Mädchen (Mariam Buturishvili), das möglicherweise seine Enkelin ist, und sonst nur Soldaten, die meistens vom Ufer herüberjohlen und in Booten patrouillieren.

Mit einem Stück weißen Tuchs, das er an einem vertrockneten Ast befestigt, erklärt der alte Mann den Anspruch, den er auf das Stück Land erhebt. „Das Land gehört dem, der es geschaffen hat“, sagt er. Mit seinem Kahn schafft er mühselig Bretter und Werkzeug, bald auch das junge Mädchen herbei und errichtet eine einfache Fischerhütte. Sie fangen Fische, die sie trocknen, der Mann gräbt den Boden um, und sie sät Mais. So bauen sie ihr Leben auf den Elementen auf, denen sie ausgesetzt sind. Ihre friedliche Vereinnahmung des Neulands, ihre geduldige Urbarmachung des kargen Bodens stehen so krass wie stumm den Konflikten gegenüber, die auf dem nahen Festland toben. Ab und zu sind aus den ufernahen Wäldern Schüsse zu hören.

Auch auf der Insel wird Blut fließen, gelassen von Tieren wie Menschen. Die Maisinsel ist ein moderner Heimat- wie ein Kriegsfilm, ein georgischer Western im Wasser, der von einer friedlichen Besiedlung erzählt, eine Geschichte, die hier so alt und archaisch erscheint wie eine Episode aus dem Alten Testament. Biblische Ausmaße sind hier jedoch heruntergebrochen auf wenige Monate und eine kleine, bescheidene Seebühne. Man mag sich an Shakespeares Alterswerk Der Sturm erinnert fühlen oder an Hemingways Der alte Mann und das Meer (beides mehrfach verfilmt), vor allem aber ist die Geschichte vom realen Kaukasuskrieg, von den Konflikten um Abchasien und Südossetien inspiriert. Der georgische Regisseur George Ovashvili, der schon in seinem Debüt Gagma Napiri / Das andere Ufer (2009) von diesen Ereignissen erzählte, macht daraus eine eindrückliche Parabel auch über das Leben auf der Erde überhaupt.

Die Maisinsel gewann den Hauptpreis des Internationalen Filmfestivals Karlovy Vary wie des Cinemed — Festival International du Cinéma Méditerranéen in Montpellier, den Publikumspreis beim Festival des osteuropäischen Films in Cottbus und ist einer der letzten neun Kandidaten für den Oscar als Bester ausländischer Film 2015.

Die Maisinsel

Regelmäßig im Frühjahr führt der Enguri, der vom Kaukasus zum Schwarzen Meer fließt, so viel Geröll mit sich, dass sich in seinem Wasser kleine Inseln bilden. Die ansässigen Bauern nehmen das gewonnene Land gerne in Anspruch, auch wenn es nicht beständig ist und durch die Einwirkung von Wind und Wasser nach einer gewissen Zeit wieder verschwindet.
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Meinungen

Martin Zopick · 14.11.2022

Wenn man den Film von Giorgi Ovashvili politisch sieht; ist es eine Parabel auf den sowjetisch–georgischen Grenzstreitigkeiten unter besonderer Berücksichtigung von Abchasien. Und das bedeutet hier, dass sich Georgier und Russen nicht verstehen können. Man beobachtet sich, eine gemeinsame Sprache gibt es nicht.
Ansonsten baut ein alter Mann (Ilyas Salman) und seine Enkelin (Mariam Buturishvili) auf einer Schwemmlandinsel im Grenzfluss Mais an.
Dieses äußerst handlungsarme und ohne Lösung auskommende Werk ist fast ein Stummfilm vor einer eindrucksvollen Kulisse. Wind und Wetter liefern die musikalische Untermalung der Handlung: Großvater und Enkelin sind autark, ernähren sich von Fisch, bauen sich eine Hütte auf der im Fluss vorübergehend existierenden Insel, ernten Mais und helfen einem flüchtigen Soldaten (Tamer Levent), nach dem sowohl Sowjets als auch Georgier fahnden und der so spurlos ,wie er gekommen war, auch wieder verschwindet.
Die Sätze der Dialoge kann man zählen. Und man bemerkt, wie sehr wir doch auf Worte fixiert sind. Selbst zwischen dem Alten und dem Soldaten fallen keine Worte. Er hilft dem Flüchtling (Gastrecht) mehr aber nicht. Er passt auf, dass seine Enkelin nicht allzu vertraut mit dem jungen Mann wird.
Ein Unwetter macht die Arbeit der ganzen Saison zunichte samt Großvater…
Wenn man sich dem Gewöhnungsprozess der Stille unterwirft, kann man sie eventuell sogar genießen. Ist halt Arthouse. Optisch reizvoll, inhaltlich diskutabel, kann man sich seine eigenen Gedanken zum Geschehen machen.

Heiko Jörges · 07.11.2015

Ich habe den Film "Corn Island" als Fotograf auf dem "Valletta Film Festival 2015" in Malta gesehen und war tief beeindruckt von der langsamen Kameraführung, den Naturaufnahmen und den Darstellern, die mit wenig Dialog eine große Geschichte erzählen. Der Abschluss erinnerten mich an Hemingways "Der Alte Mann und das Meer". Ich bin noch auf der Suche nach der DVD