Die letzte Sau

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Bauernkrieg

„Es is alles a Scheißdreck!“ Wenn Bauer Huber aufsteht, bricht sein Bett zusammen. Die Dusche ist kalt. Die Schubkarre hat einen Platten. Und der Traktor fängt an zu brennen. Es ist dies die Geschichte von diesem Bauern Huber „und wie er a recht’s Durchanander g’macht hat in der Welt“, wie Herbert Knaup mit seiner unnachahmlich knarzigen Erzählerstimme in stilechtem Bauernschwäbisch vorwegnimmt: In Die letzte Sau, dem dritten Spielfilm von Aron Lehmann, wird Huber zum Rebellen, seine Freiheit ist, nichts mehr zu verlieren zu haben. Er ist einer der vielen, die unter die Räder gekommen sind. Und einer der wenigen, die sich danach noch bewegen, irgendwie, irgendwohin. Mit seiner Bewegung setzt er Impulse.
Aron Lehmann hat nach einem recht missglückten Griechenlandausflug mit Highway to Hellas – einer Komödie, der leider irgendwo der Witz abhandengekommen ist – dahin zurückgefunden, wo er angefangen hat: Nach Speckbrodi, dem Kuhkaff im bayrischen Schwaben, das schon der Schauplatz für sein Debüt Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel war, in dem Robert Gwisdek verzweifelt versuchte, aus nichts einen Film zu drehen. Hier nun ist Golo Euler ganz unten, ein Verzweifelter inmitten von Verzweifelten, weil die Agrarindustrie den Normalbauern immer und allezeit unterkriegt. Und die paar Säue auf Hubers Hof keinen Stich machen können gegen die Fleischfabriken in Brandenburg. Sein Kumpel, der örtliche Metzger, ist gegen die Großschlachtereien ebenso hilflos. Und schlimmer geht’s immer, die örtliche Sparkasse kann keinen Kredit mehr gewähren, und dann fällt dem Huber auch noch buchstäblich der Himmel auf den Kopf.

Mit Gummistiefeln, Kaftan und Fez macht er sich auf mit dem alten Moped, im Seitenwagen seine letzte Sau, und er fährt und fährt und weiß nicht wohin. Es treibt ihn, und ohne dass es ihm klar ist, führt die Richtung gen Norden, dort, wo das schöne Mädchen vom Nachbarhof inzwischen die Großmästerei ihres Vaters übernommen hat, in Brandenburgische: Rosalie Thomass spielt wie schon in Kohlhaas die Traumfrau, die es zu erreichen gilt, das unwirkliche Mädchen, das irreale Ziel.

Huber ist unterwegs, und ein Roadmovie der besonderen Art entspinnt sich. Denn dies ist ein Heimatfilm, ein Dialektfilm, Huber stammt aus dem Schwäbischen, in dem auch der Voice-Over-Erzähler verharrt. Über den Tellerrand seiner Provinz hat Huber nie geschaut. Er hat kein Ziel, er hat nichts zu finden, aber eben auch nichts zu verlieren. Und kann damit alles gewinnen: Ein reiner Tor, der anderen aus dem Leben gefallenen Männern begegnet und ihnen Kraft und Inspiration schenkt, obwohl er es gar nicht bemerkt. Inspiration, die in der Luft liegt wie die immerwährende Musik des Äthers. Und wie zur Bestätigung ihrer Gedanken und Gefühle, ihres Denkens und Handelns brechen die Protagonisten immer wieder in Lieder aus, „Ton Steine Scherben“ stehen Pate für das Musical, das dieser Film zu einem guten Teil eben auch ist. Liebe und Verlust lässt sich damit ebenso ausdrücken wie Rebellion und Anarchie – „Halt dich an deiner Liebe fest!“, und „Der Turm stürzt ein“.

Thorsten Merten spielt einen Investmentbanker, der zur Nervenberuhigung auf Imker umgesattelt hat. Und nun wie wahnsinnig seinen Bienen hinterherrast, die nämlich von den teuflischen Spritzmitteln auf den Feldern verrückt geworden sind. Bernd Stegemann ist eine der Rebellenfiguren des Films: er will sein Haus nicht abgeben an die Bank, die ihn ruiniert hat. Und wenn Huber loszieht, um den Großbauern die Masttiere zu befreien, findet er im ganzen Land aktivistische Anhänger, die es ihm gleichtun.

Lehmann gelingt das Kunststück, sowohl authentischen anarchistischen Geist durch seinen Film wehen zu lassen als auch eine Atmosphäre beständigen Staunens zu generieren, ein Staunen über diese Welt, in der nichts mehr stimmt, eine Welt, die wieder geradegerückt werden muss. Was Lehmann souverän und ganz beiläufig mit dem besten Unterhaltungswert gut getimter Komik verbindet.

Ob mit der Flinte auf dem Dach der Polizei zu trotzen, oder reichen Schnöseln bei der Grillparty auf den Rasen zu kacken: „Die Welt ist ein scheißdunkler Ort. Man muss Leuchtfeuer anzünden.“

Die letzte Sau

„Es is alles a Scheißdreck!“ Wenn Bauer Huber aufsteht, bricht sein Bett zusammen. Die Dusche ist kalt. Die Schubkarre hat einen Platten. Und der Traktor fängt an zu brennen. Es ist dies die Geschichte von diesem Bauern Huber „und wie er a recht’s Durchanander g’macht hat in der Welt“, wie Herbert Knaup mit seiner unnachahmlich knarzigen Erzählerstimme in stilechtem Bauernschwäbisch vorwegnimmt: In „Die letzte Sau“, dem dritten Spielfilm von Aron Lehmann, wird Huber zum Rebellen, seine Freiheit ist, nichts mehr zu verlieren zu haben.
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Meinungen

wignanek-hp · 10.10.2016

Ein toller Film, tragisch und lustig zugleich. Unbedingt reingehen.