Die Haut, in der ich wohne

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In der falschen Haut

Dr. Robert Ledgard (Antonio Banderas) ist ein anerkannter Experte für plastische Chirurgie, ein weltweiter gefragter Spezialist für jenes oft unterschätzte Sinnesorgan, das unseren Körper umschließt und definiert, das die Grenze zwischen uns und der Welt bildet, das uns Identität verleiht (beispielsweise durch die Unverwechselbarkeit der Fingerabdrücke) und das wir im alltäglichen Leben oft gezwungen sind zu Markte zu tragen – unsere Haut. Dank seiner Forschungen ist es Ledgard gelungen, die menschliche Haut so zu modifizieren, dass sie gegenüber den Anfeindungen der Umwelt härter geworden ist, widerstandsfähiger. Das wahrhaft Großartige an seiner Entdeckung ist aber, dass man zugleich keinen Unterschied spürt gegenüber der normalen, der natürlichen Haut. Zwischen Natur und künstlichem Produkt, zwischen dem Echten, Wahren und der Lüge, der Fälschung gibt es keinen Unterschied mehr.

Wer der Natur so ins Handwerk pfuscht, der ist – nach den Gesetzen des Kinos im Allgemeinen und denen des Horrorfilms im Besonderen – mit den finsteren Mächten im Bunde, der verbirgt ein dunkles Geheimnis und hat mindestens eine Leiche im Keller. Und das – so lehrt uns die Filmgeschichte, kann man manchmal durchaus wörtlich verstehen. Natürlich bildet der smarte Arzt mit dem gewinnenden Äußeren in Pedro Almodóvars sanftem Horrorthriller Die Haut, in der ich wohne da keine Ausnahme. Das Geheimnis, der dunkle Fleck auf seiner weißen Weste bzw. seinem makellosen Arztkittel ist eine schöne Frau namens Vera Cruz (Elena Anaya), die auf Ledgards prachtvollem Anwesen lebt und die einzige Patientin seiner heimlich betriebenen Privatklinik ist.

Man ahnt schnell, dass Vera im Zentrum von Ledgards Forschungen und den daraus resultierenden bahnbrechenden Erkenntnissen steht, dass ihr makelloser, stets von einem hautfarbenen Ganzkörperanzug umschlossener Körper und insbesondere ihre Haut das Experimentierfeld des Arztes bildet. Nur auf welche Weise, das bleibt zunächst lange verborgen. Offensichtlich ist, dass sie sich gerade einer Reihe von Operationen unterzogen hat und dass sie von Robert und seiner Hausangestellten Marilia (Marisa Paredes) wie eine Gefangene gehalten wird. Als Marisas krimineller Sohn in das Anwesen eindringt und sich der jungen Frau bemächtigt, geraten die Verhältnisse in Bewegung. Denn Vera erinnert den gleich in zweifacher Weise Eindringenden an jemanden, den er einmal vor vielen Jahren gekannt hat.

Nach und nach wird nun wie bei einer komplizierten Operation schichtweise und mittels Zeitsprüngen die Vergangenheit Ledgards freigelegt, der sowohl seine Frau als auch seine Tochter verloren hat, die sich beide umbrachten. Eng verknüpft mit dem Tod der beiden Frauen in seinem Leben ist auch das Geheimnis, das die schöne Vera umgibt und das sich am Ende als wahre Horrorgeschichte von Frankensteinschem Format entpuppen wird – der finstere Kern gleich mehrerer verletzter Seelen, deren Trauer, Wut und Rachegedanken man auf den ersten Blick nicht erkennt. Denn sie stecken allesamt, ob freiwillig oder nicht, in der falschen Haut…

Mit seinem neuen Film Die Haut in der ich wohne hat Pedro Almodóvar einen hinreißend schrägen Mix aus raffiniertem und ganz und gar unblutigem Horror, großem Melodram und Psychothriller mit kleinen Ausflügen ins Absurd-Komödiantische realisiert, in dem er ohne Berührungsängste absurde Trash-Komponenten und ganz große Gefühle, verhängnisvolle Leidenschaften und vertrackte Plotwendungen miteinander kombiniert.

Stilistisch kann man die Handschrift des Spaniers auf Anhieb ausmachen, es gibt nur wenige Filmemacher, die so unverwechselbar sind wie er: Seine ausgeklügelten Farbspiele und die Raffinesse seiner Dekors, seine Vorliebe für bizarre Lichteffekte und seine stets eleganten Camp-Anleihen geben dem Film seinen ganz besonderen Look. Und der passt ausgezeichnet zu diesem High-End-B-Movie-Thriller, den man wie den Monstren Frankensteins und den Geschöpfen anderer „mad scientists“ voller Spannung gerne folgt (wann war je zuvor im Kino die Schöpfung eines offenkundig Besessenen so schön und so anziehend, so verletzlich und schutzbedürftig wie Vera?) und dem man jede Unglaubwürdigkeit und Überkonstruiertheit des Plots lächelnd verzeiht.

Die Haut, in der ich wohne ist ein Film, der trotz seiner extremen Künstlichkeit im wahrsten Sinne unter die Haut geht. Vielleicht ja deshalb, weil wir als Zuschauer instinktiv wissen, wie es sich anfühlen kann, in der falschen Haut zu stecken. Diese Verknüpfung mit einem ganz konkreten Gefühl ist es, die dafür sorgt, dass man zu der auf den ersten Blick ganz und gar fantastischen (und damit fiktiven) Geschichte am Ende einen direkten emotionalen Zugang bekommt. Und den vergisst man auch nach dem Ende des Films nicht mehr so schnell.
 

Die Haut, in der ich wohne

Dr. Robert Ledgard (Antonio Banderas) ist ein anerkannter Experte für plastische Chirurgie, ein weltweiter gefragter Spezialist für jenes oft unterschätzte Sinnesorgan, das unseren Körper umschließt und definiert, das die Grenze zwischen uns und der Welt bildet, das uns Identität verleiht (beispielsweise durch die Unverwechselbarkeit der Fingerabdrücke) und das wir im alltäglichen Leben oft gezwungen sind zu Markte zu tragen – unsere Haut.

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Meinungen

kim · 02.11.2011

Nicht so wirr, wie der Trailer vermuten lässt. Sehr spannender und in sich stimmiger Film. Die Hauptstrafe für einen Mann scheint wohl zu sein, wenn man aus einem Mann eine Frau macht!
Ein Fest für PsychoanalytikerInnen.
Kleine unlogische Stelle: Vera weist stolz die dekorative Kosmetik, bis auf die Stifte, die sie für ihre Kunst verwendet, zurück, und ist dabei wie im gesamten Film perfekt geschminkt. Wer hatte da warum ein Brett vorm Kopf?