Die Gräfin (2008)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Anatomie eines Monsters

„Blutgräfin“ oder unschuldig verurteilt? Massenmörderin oder Opfer? Um die Geschichte der Erzebet Bathory ranken sich unzählige Legenden. Julie Delpy macht daraus ein schillerndes Porträt über eine ebenso faszinierende wie abstoßende historische Figur.

Man muss nicht lange rätseln, warum Delpys neue Regiearbeit (nach 2 Tage Paris) ein Herzensprojekt der französischen Schauspielerin war. Sie sieht in Erzebet Bathory eine Frau der Extreme: ungeheuer stark und selbstbewusst, aber gleichzeitig so sehr der Liebe verfallen, dass sie dafür unvorstellbare Verbrechen begeht. Um begehrenswert für den 18 Jahre jüngeren Geliebten zu bleiben, benetzt sie ihre Haut mit dem Blut von Jungfrauen.

Ob die historische Erzebet Bathory tatsächlich dem eher modernen Jugendkult verfallen war, ist nicht verbürgt. Aus den Quellen ist lediglich klar, dass die ungarische Gräfin von 1560 bis 1614 lebte. 1611 wurde sie als Massenmörderin zu lebenslangem Kerker verurteilt. Die Prozessprotokolle berichten, die Gräfin und ihre Bediensteten hätten die Opfer zu Tode gefoltert. Die Behauptung, die Gräfin habe im Blut gebadet, taucht erst in viel späteren Legenden auf.

Julie Delpy, die auch die Hauptrolle spielt, macht von vornherein deutlich, dass es ihr nicht um historische Genauigkeit geht. „Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben“, heißt es ganz am Anfang des Films. Delpy schlägt sich auf die Seite der Verlierer und erzählt von einer Frau, die einer Intrige zum Opfer fällt. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht lernt die 39-jährige Bathory den 21-jährigen Istvan (Daniel Brühl) kennen, ihre erste und einzige Liebe. Doch Istvans Vater hintertreibt die Liaison und lässt die Gräfin in einem gefälschten Brief glauben, der Geliebte habe sie zugunsten einer 17-Jährigen fallen lassen. Was dann geschieht, erscheint als Verhängnis eines Zufalls: Aus Jähzorn schlägt die Liebeskranke eine junge Dienerin. Deren Augenbraue platzt, das Blut spritzt der Herrin ins Gesicht. Und in dem Wahn, das Blut habe ihren Teint verjüngt, verirrt sich die Gräfin in eine verzweifelte Sucht.

Über weite Strecken ist Die Gräfin / The Countess ein gelungener Mix aus Historienfilm, Liebesdrama und Thriller. Erstaunlich, wie viele Themen die Regisseurin in diese deutsch-französische Sechs-Millionen-Euro Produktion hineingepackt hat, die mit William Hurt als intrigantem Vater auch einen Hollywood-Star zu bieten hat: Jugendkult, Frauenemanzipation, unsterbliche Liebe, politisches Ränkespiel und Hexenverfolgung. Aber nicht immer bekommt die Regie all die verschiedenen Elemente, die offensichtlich ein möglichst breites Publikum ansprechen sollen, unter einen Hut.

Was das Ganze trotzdem zusammenhält, ist die schauspielerische Leistung von Julie Delpy. Wenn man sich fragen mag, warum eine Frau, die zu solcher Grausamkeit fähig war, sich derart in der Liebe verlieren konnte – dann ergibt sich die Antwort von selbst. Man muss nur in ihr Gesicht sehen, um dieses eigentlich unvereinbare Nebeneinander von Unnahbarkeit und Hingabe, von Stärke und Schwäche verstehen zu können. Dass man dabei eine Massenmörderin entschuldigen könnte – diese Gefahr besteht nicht. Am Ende bleibt die Bathory ein Rätsel. Vermutlich wird man sich noch viele Geschichten über sie erzählen: solche, die uns gerade deshalb so anziehen, weil sie uns abstoßen.
 

Die Gräfin (2008)

„Blutgräfin“ oder unschuldig verurteilt? Massenmörderin oder Opfer? Um die Geschichte der Erzebet Bathory ranken sich unzählige Legenden. Julie Delpy macht daraus ein schillerndes Porträt über eine ebenso faszinierende wie abstoßende historische Figur.

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