Die Frau im Mond - Erinnerung an die Liebe

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Steinbruch der Sehnsucht

Immer wieder krümmt sich Gabrielle (Marion Cotillard) vor Schmerzen, wenn zunächst unerklärliche Unterleibskrämpfe sie plagen. Bis dann schließlich ein Arzt die Ursache für ihre Pein diagnostiziert: Die junge Frau leidet unter der sogenannten „Steinkrankheit“ (auf französisch „mal de pierres“), bei der sich in verschiedenen Teilen des Körpers harte Gebilde formen, die dann je nach befallener Körperregion zu unterschiedlichen Symptomen führen.
Obgleich die Anfälle zeitweise sehr heftig sind, sind die Fremdkörper im eigenen Leib nicht das, was Gabrielle am meisten plagt. Der eigentliche Schmerz lastet auf ihrer Seele: In ihr brennt eine Leidenschaft, eine Sehnsucht nach einer vollkommenen, alles verschlingenden und bedingungslosen Liebe, die sie einfach nicht finden kann und die sie – ähnlich wie ihr Körper – in sich verschließt und verkapselt, bis sie wuchert und sich schmerzhaft in Erinnerung bringt.

Als die „Überspanntheiten“ der fast schon erwachsenen Tochter deren Eltern zu viel werden, stellen sie diese vor eine Entscheidung: Entweder begibt sie sich in ein „gewisses Haus“ – gemeint ist hier eine Psychiatrie –, in dem man „eine wie sie“ richtig zu behandeln weiß. Oder sie stimmt der Alternative zu, die ihre Eltern für sie bereithalten, und geht eine arrangierte Ehe mit dem aus Spanien stammenden und vor Franco geflohenen José (Alex Brendemühl) ein, einem einfachen und sehr schweigsamen Mann, dessen Solidität Gabrielle wieder auf den richtigen, sitt- und gehorsamen Weg führen soll. Widerwillig und nur unter der Bedingung, dass sie keinen Sex mit José haben muss, lässt sich die junge Frau auf den Handel ein. Und obwohl sich José (im Rahmen seiner Möglichkeiten) auch Mühe gibt, bleibt die Ehe dennoch überschattet von Gabrielles verzehrender Sehnsucht. Dann bringt sie ein Kuraufenthalt zur Behandlung ihrer Steine mit dem im Indochina-Krieg verwundeten Soldaten André (Louis Garrel) zusammen, und sie glaubt, ihn ihm all das zu finden, was sie sich immer schon ersehnt hat.

Die Frau im Mond basiert lose auf dem im Jahr 2006 erschienenen gleichnamigen Roman von Milena Agus, der 2007 in Deutschland unter dem Titel Die Frau im Mond veröffentlicht wurde. Nicole Garcia hat für ihre Adaption einige nicht unerhebliche Änderungen vorgenommen: Statt auf Sardinien spielt die Geschichte nun im Süden Frankreichs, auch der Zeitraum, in dem die Geschichte spielt, wurde geringfügig verändert. Im Film wird der Soldat, in den sich die Protagonistin verliebt, statt im Zweiten Weltkrieg im Indochina-Krieg verletzt. Zudem wurde die gesamte Handlung auf einen dramatischen Wendepunkt hin entschlackt und gerafft.

Dank Nicole Garcias gelungener Regie und vor allem Marion Cotillards gewohnt großartigem Spiel gelingt es Die Frau im Mond über weite Strecken, als Melodram und Porträt einer freigeistigen Frau zu überzeugen, die in den rigiden Vorstellungen ihrer Zeit gescheitert ist. Allerdings wird am Ende beim entscheidenden Twist einiges zu sehr ausbuchstabiert, was man besser der Imagination des Zuschauers überlassen hätte.

Die Frau im Mond - Erinnerung an die Liebe

Immer wieder krümmt sich Gabrielle (Marion Cotillard) vor Schmerzen, wenn zunächst unerklärliche Unterleibskrämpfe sie plagen. Bis dann schließlich ein Arzt die Ursache für ihre Pein diagnostiziert: Die junge Frau leidet unter der sogenannten „Steinkrankheit“ (auf französisch „mal de pierres“), bei der sich in verschiedenen Teilen des Körpers harte Gebilde formen, die dann je nach befallener Körperregion zu unterschiedlichen Symptomen führen.
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Meinungen

Martin Zopick · 02.04.2021

Wer Regisseurin Nicole Garcia kennt, kann den Film vom Titel her wohl eher als emanzipatorisches Drama verstehen, als diejenigen, für die sie eine Unbekannte ist. Eigentlich gibt es ja nur den berühmten Mann im Mond, dem hier ein weibliches Pendant entgegengestellt wird. Aber mit welcher Absicht?
Gabrielle (Marion Cotillard) ist in den Dorfschullehrer des Ortes verliebt, wird abgewiesen und droht den Verstand zu verlieren. Ihre Eltern zwingen sie zu einer Ehe mit José (Alex Brendemühl). Beide lieben sich nicht. José bezahlt seine Frau für den ehelichen Sex wie eine Nutte. Gabrielle muss in ein Sanatorium und jetzt wird’s kryptisch. Sie hat eine kurze Affäre mit dem depressiven Offizier André (Louis Garrel), und wird schwanger. Auf gemeinsamen Fotos des Liebespaares ist André nicht zu sehen, obwohl er posiert hatte. Ehemann José besucht Gabrielle und erhebt später ebenfalls Anspruch auf die Vaterschaft. Wir sehen André im Rollstuhl, erfahren, dass er tot sei und so stehen Gabrielle und José am Ende (alles F.F.E.) friedlich vereint vor eindrucksvoller Bergkulisse und lächeln. Mutmaßungen:
Das ganze Liebesabenteuer mit André könnte sich nur in Gabrielles verstörtem Gefühlsleben abgespielt haben. Gabrielle könnte in der Ehe geheilt worden sein, so wie man früher oftmals sagte: ‘erst heiraten, die Liebe kommt später.‘ Oder bezieht man den Titel mit ein, könnte sie für ihren Fehltritt mit André bestraft worden sein, so wie der Mann im Mond, der ähnlich wie Sisyphus bestraft wurde: er hatte am Feiertag gearbeitet. Aber das meinte Nicole Garcia bestimmt nicht. Und wie wäre es mit dem Originaltitel: ‘Das Übel der Steine‘. (?) Bei so vielen offenen Fragen muss es ja Preise für den Film geben.