Detour (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt

Es ist eine rätselhafte, eine formidabel mysteriöse Sequenz, mit der Detour beginnt. Eine Frau sitzt nachts wach im Schlafzimmer, sie geht hinaus, zündet ein Streichholz an. Ein Mann liegt im Bett, schwitzt und träumt schlecht. Ein Kind schläft in einem anderen Zimmer. Dazwischen sind immer wieder Bilder von dem Streichholz, von Wiesen, unruhige Einstellungen, die die Schwüle dieser Nacht zeigen. Dann folgt ein klarer Schnitt. Eiligen Schrittes geht eine Frau über einen Platz, an ihrer Hand ein siebenjähriger Junge. Mehrmals schaut sie sich um, es ist warm, die Sonne brennt und sie schwitzt. An einem Schalter will sie eine Fahrkarte nach Berlin kaufen. Aber sie kostet 99 Euro und so viel Geld hat sie nicht. Also ruft sie bei mehreren Angeboten einer Mitfahrzentrale an, aber alles ist schon belegt. Sie stehen immer noch auf dem Platz, die Frau und der Junge. Dann taucht ein Polizeiwagen auf und sie schlägt spontan vor, in eine Eisdiele zu gehen. Dort sitzen sie, als die Frau einen Lieferwagen sieht. Sie geht hinaus, spricht den Fahrer an, fragt, ob er nach Berlin fahre, da die Adresse auf seinem Wagen darauf verweise. Und ob er sie mitnehmen würde, sie und den Jungen, für 50 Euro. Anfangs zögert der Mann, dann stimmt er zu und eine Fahrt beginnt.

Die Frau ist Alma (Luise Heyer), sie ist mit Juri (Ilja Bultmann), dem Sohn ihres Freundes Jan (Alex Brendemühl), kurz zum Brötchen holen gegangen und hat sich dann entschlossen, einfach zu gehen. Denn Jan will sich nicht entscheiden zwischen Alma und seiner Ehefrau. Jan wollte mit Alma mit, weil er sich nicht zwingen lassen will, seine Mutter weiter zu belügen und weil er sie nett findet. Sie sitzen nun bei Bruno (Lars Rudolph) im Wagen und unterhalten sich. Beide wollen nicht zu viel von sich preisgeben, aber sie erkennen, dass sie sich beide als Außenstehende fühlen, von den Menschen enttäuscht, entfremdet, aber Alma sagt, ihr mache die Einsamkeit nichts aus. Bruno sieht es anders, vielleicht ist er noch einsamer, vielleicht ist er auch einfach anders. Erklärt wird in Detour von Nina Vukovic sowieso wohltuend wenig, in den Dialogen liegen weit weniger Informationen als in den Einstellungen und im Schnitt. Hier entsteht auch eine konstante Anspannung, die sich von Anfang an aufbaut und konstant gehalten wird – und sich insbesondere in der herausragenden Kameraarbeit von Tobias von dem Borne manifestiert.

Detour ist eine äußerst gelungene Verbindung aus Thriller und Familiendrama, in der Nina Vukovic sich Leerstellen zutraut, deshalb fallen die wenigen unnötigen erklärenden Elementen – beispielsweise geht Jan nicht zur Polizei, weil seine Ehefrau ihn wegen Entführung angezeigt hat – und Handlungssschlenker kaum ins Gewicht. Irgendwann endet diese Reise, nicht wie geplant in Berlin, sondern an einem Rasthof. Alma weiß mittlerweile, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen hat, also ruft sie Jan an, der sie abholen soll. Aber Bruno gibt nicht so einfach auf, er lädt sie ein zu einem Essen, während sie warten. Und dann folgt der zweite Teil dieses Films, wir sehen Jan, der an der Raststelle eintrifft und Alma und Juri sucht, aber stattdessen Bruno findet. Hier erinnert Detour leicht an Spurlos, aber Jan wird nicht erleben, was Alma erlebte, er wird es erfahren. Gleichermaßen aber ruft dieser Film schon alleine aufgrund seines Titels Gedanken an den fantastischen Film noir Detour – Umleitung von Edgar G. Ulmer wach, in dem ein Anhalter ebenfalls in das falsche Auto einsteigt und damit verdammt scheint. Auch dort führen die Entscheidungen in einen Abgrund, auch dort findet sich existentielle Einsamkeit und Verzweiflung. Denn auch Alma, Bruno und Jan sind schon längst Entfremdete in einer Welt. Sie haben den Anschluss, die Fähigkeit zur Nähe verloren – und deshalb eskaliert die Situation auch folgerichtig auf einem anonymen Autobahnrasthof, der mit seinen Spielautomaten und kalt beleuchteten Gebäudenen zunehmend alptraumhafter wird.

Interessanterweise ist der Film im Rahmen der Reihe „Stunde des Bösen“ entstanden, in der die ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel Drehbuch- und Regietalenten die Gelegenheit geben will, eigene Spielarten des Thriller-Genres zu entwickeln. Dieses erste Ergebnis der zweiten Auflage der Reihe ist mutig und sehr sehenswert; es gehört nicht ins Fernsehen, sondern auf die große Leinwand. Dabei ist insbesondere bemerkenswert, dass Detour das Spielfilmdebüt von Nina Vukovic ist – und es ist zu hoffen, dass wir von ihr noch sehr viel mehr sehen werden.
 

Detour (2017)

Es ist eine rätselhafte, eine formidabel mysteriöse Sequenz, mit der „Detour“ beginnt. Eine Frau sitzt nachts wach im Schlafzimmer, sie geht hinaus, zündet ein Streichholz an. Ein Mann liegt im Bett, schwitzt und träumt schlecht. Ein Kind schläft in einem anderen Zimmer. Dazwischen sind immer wieder Bilder von dem Streichholz, von Wiesen, unruhige Einstellungen, die die Schwüle dieser Nacht zeigen. Dann folgt ein klarer Schnitt.

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Meinungen

Andreas Tröschel · 19.06.2017

ich finde den Film Klasse und warum?
War selber dabei als Komparse, in verschiedenen Rollen!

Jeder Zeit wieder ;)