Der Staat gegen Fritz Bauer (2015)

Im Feindesland

Leicht dissonante Jazzmusik. Ein untersetzter, weißhaariger älterer Herr schließt müde seine Wohnung auf – und stutzt. Jemand hat eine Postkarte unter seiner Tür hindurch geschoben, ohne Abbildung, aber mit einer Todesdrohung. Hastig reißt der Mann eine Schublade auf, nimmt eine Pistole heraus, lädt sie durch. Vorsichtig späht er durchs Fenster in die Nacht. Nein, diese Szene spielt nicht in einem Problemviertel New Yorks, sondern in Frankfurt am Main Ende der 1950er Jahre.

Der Mann heißt Fritz Bauer, ist hessischer Generalstaatsanwalt und versucht, nationalsozialistische Massenmörder zur Strecke zu bringen. Mal ist er Jäger, mal Gejagter in Der Staat gegen Fritz Bauer, Lars Kraumes ungeschminkter, sympathetischer und spannender Mischung aus Charakterporträt und Detektivfilm.

Die dissonante Jazzmusik ist dabei kein Zufall. Sie wirkt als diskret eingesetztes akustisches Signal für den Film noir. Dessen Mittel nutzen Regisseur Kraume und sein Drehbuch-Co-Autor Oliver Guez geschickt und effektiv. Nichts ist wie es scheint, viele sind käuflich, menschliche Schwächen werden gnadenlos ausgenutzt. Auch eine Femme fatale (Lilith Stangenberg) der besonderen Art fehlt nicht. Immerhin haben der knorrige und eigenwillige Bauer (Burghart Klaußner) und sein treuer Staatsanwalt Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) ein übergeordnetes moralisches Ziel, wenn sie das Versteck des Chefkoordinators des Holocausts Adolf Eichmann ausfindig machen. Schmierige Informanten sind zu bestechen, Tonbänder mit Eichmanns gesprochen Memoiren für Journalisten abzufangen, kleinen Fischen unter den Tätern Zugeständnisse zu machen, um die großen zu fangen. Vor allem aber sind die hinters Licht zu führen, denen eigentlich die Verfolgung der Alt-Nazis obliegen sollte. Sie sind stattdessen Bauers Feinde, beschatten ihn, setzen ihn unter Druck und werfen ihm jede Menge Knüppel zwischen die Beine: BKA, BND und das Gros des Justizapparates. Die junge Bundesrepublik zeigt sich voll von braunen Geistern.

Das Genre des Film noir greift das Weltbild des historischen Fritz Bauer auf, das dieser in einer dem Film vorangestellten authentischen Aufzeichnung äußert: Es gebe eben immer eine Tages- und Nachtseite. Aus beidem mischt der Film seine Darstellung der Bundesrepublik – und ein wunderbarer Burghart Klaußner seinen von Hoffnung und Verzweiflung, eingebildeter und tatsächlicher Bedrohung, politischem und juristischem Engagement bewegten Fritz Bauer. Klaußner und der kaum weniger präsente Zehrfeld verkörpern Männer im Zwiespalt ihrer Zeit. Schon wegen ihrer sexuellen Veranlagung erklärt eine gesellschaftliche Ordnung sie zu Straftätern, die ihrerseits Massenmörder beschützt. Der Differenziertheit des Films wird der Titel in seiner Zuspitzung freilich kaum gerecht, aber wohltuend hebt sich Der Staat gegen Fritz Bauer von anderen, bloß von guten Absichten gespeisten Kinobeiträgen zur Aufarbeitung des Holocaust nach 1945 ab. Dem Publikumspreis von Locarno in diesem Jahr dürfen die Zuschauer vertrauen.

(Andreas Günther)

Ein Interview mit Lars Kraume zu seinem Film gibt es hier.

Der Staat gegen Fritz Bauer (2015)

Leicht dissonante Jazzmusik. Ein untersetzter, weißhaariger älterer Herr schließt müde seine Wohnung auf – und stutzt. Jemand hat eine Postkarte unter seiner Tür hindurch geschoben, ohne Abbildung, aber mit einer Todesdrohung. Hastig reißt der Mann eine Schublade auf, nimmt eine Pistole heraus, lädt sie durch. Vorsichtig späht er durchs Fenster in die Nacht.

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Meinungen

Martin Schiessl · 27.04.2021

Nachdem ich mir den Film nun zum drittenmal angesehen habe entdecke ich immer wieder etwas neues. Ein Phantastischer Film mit unwahrscheinlich guten Akteuren, einer hervorragenden
Kameraführung , spannend bis zum Ende.
So macht man gute Filme.
Danke