Der kleine Nick (2009)

Eine Filmkritik von Florian Koch

Der unverfälschte Blick

Mit dem Adaptieren von Kinderbuchklassikern sind schon viele Regisseure gescheitert. Die Problematik beginnt schon beim Casting. Die Kids müssen perfekt in ihre Rollen passen, sonst ist der Misserfolg bereits vorprogrammiert. Und dann wäre noch das Setting. Inwieweit soll man die Vorlage der heutigen Zeit anpassen, ohne, dass der nostalgische Charme verloren geht? Laurent Tirard (Molière) stellte sich der Aufgabe und verfilmte mit „Der kleine Nick“ einer der warmherzigsten und wunderbarsten Kinderbücher, die es gibt. Die Qualität der ca. 160, in den 60er Jahren entstandenen Geschichten bedingte eine glückliche Fügung. Während Asterix-Autor René Goscinny für die hinreißenden Texte sorgte, kümmerte sich Jean-Jacques Sempé um die wunderbar reduzierten Illustrationen. Als bekannt wurde, dass die in mehr als 30 Sprachen übersetzten und über 8 Millionen Mal verkauften Bücher verfilmt werden sollten, waren die Sorgen der Fans auch angesichts der künstlerisch misslungenen Asterix-Adaptionen groß. Sie sollten unberechtigt bleiben. Tirard widersetzte sich dem Zeitgeist, verzichtete auf Modernisierungen und schuf einen herrlich altmodischen Kinderfilm, der mit über 5,5 Millionen Zuschauern in Frankreich auch die Gunst des Publikums im Sturm eroberte.

Nick (Maxime Godart) ist ein kleiner Junge, der sein noch von allen Sorgen befreites Dasein so richtig genießt. Vor allem mit seinen Freunden, dem verfressenen Otto (Vincent Claude), dem begriffsstutzigen Chlodwig (Victor Carles), dem reichen Georg (Charles Vaillant) oder dem Polizistensohn Roland (Germain Petit Damico) hat er einen Mordsspass – sei es beim Glasmurmelspiel auf dem Pausenhof oder beim Pläne Entwickeln gegen den Superstreber Adalbert (Damien Ferdel). Auch mit seinen Eltern (Kad Merad und Valérie Lemercier) kommt er eigentlich prima klar. Aber eine neue Familienentwicklung macht ihm schwer zu schaffen. Vater und Mutter haben aufgehört zu streiten, ja, schlimmer noch: Sie wirken sogar glücklich. Für Nick kann diese „Verhaltensauffälligkeit“ nur eins bedeuten. Er bekommt bald ein Brüderchen. Panik erfasst den Jungen, denn er hat über diesen Familienzuwachs von seinen Kameraden bereits die wildesten Geschichten gehört. Ganz plötzlich steht man nicht mehr im Mittelpunkt und am Ende wird man wie der kleine Däumling einfach im Wald ausgesetzt. Das gilt es natürlich unter allen Umständen zu verhindern. Gemeinsam mit Otto, Georg & Co überlegt sich Nick wahnwitzige Gegenmaßnahmen, um seinen Eltern ein für allemal zu zeigen, dass er unentbehrlich ist.

Bereits der liebevoll mit den Zeichnungen von Sempé spielende Vorspann macht eines deutlich. Tirard will den kleinen Nick nicht in eine neue Ära transferieren. Es soll lediglich der eigentümliche Stil der Vorlage auf die große Leinwand transferiert werden. Ein Unterfangen, das an sich schon schwer genug ist. Unterstützung für das Drehbuch holte der Franzose sich dabei von Anne Goscinny, der Tochter des Asterix-Erfinders. Sie gilt als große Bewahrerin des Erbes ihres berühmten, 1977 verstorbenen Vaters. Gerade Nick liegt ihr am Herzen, veröffentlichte Anne vor fünf Jahren doch noch einmal 80 Geschichten des aufgeweckten Jungen, die sie bei einem Umzug fand. Die von Anne geforderte Werktreue spiegelt sich bis ins Detail auch im Film wieder. Gestalterisch ist Der kleine Nick in einem künstlichen Frankreich der 60er Jahre verortet. Die von allem Unrat und Realismen gereinigte Bildsprache erinnert nicht umsonst an die Arbeiten von Jean-Pierre Jeunet (Die fabelhafte Welt der Amélie). Dennoch erliegt Tirard nie der Versuchung mit visuellen Mätzchen die eigentlichen Charaktere aus den Augen zu verlieren. Und hier hat der vom Schnitt bis zur Kameraarbeit makellose Film (auch die liebevolle Retro-Ausstattung bleibt bis in die knalligen Kostüme stimmig) seine eigentlichen Stärken.

Bis in die kleinsten Rollen ist Der kleine Nick glänzend besetzt. Von der wohlmeinenden Lehrerin bis zur unfreiwillig-komischen Pausenaufsicht „Hühnerbrüh“: Alle Nick-Figuren sind überzeugend in Szene gesetzt und können auch in den – zwangsläufigen – Kurzauftritten Komödienakzente setzen. Ganz besonders gelungen sind die Darbietungen von Kad Merad und Valérie Lemercier als Nicks Eltern. Der französische Starkomiker Merad (Willkommen bei den Sch’tis) arbeitet die brave Duckmäuser-Kleinbürgermentalität seines Charakters gerade in den Szenen mit seinem Chef perfekt heraus. Aber auch Lemercier kann bei ihren hilflosen Fahrstunden-Versuchen komödiantische Glanzpunkte setzen. Bei dieser exzellenten Spießer-Demontage kommen manchmal fast die Kinder, um die es ja eigentlich geht, zu kurz. Dennoch besitzt Newcomer Maxime Godart als Nick einen natürlichen Charme, der nie aufgesetzt wirkt und bei einem so jungen Burschen außergewöhnlich ist.

Aber nicht nur die perfekt gecasteten Schauspieler und die technische Umsetzung überzeugen. Auch die Geschichte besitzt genau das richtige Maß an Spannung und Witz. Die episodenhafte Struktur mit ihren Anspielungen an die Originalgeschichten und dem Einsatz neuer Ideen (ein Zaubertrank als Asterix-Hommage oder das irrwitzige Engagement eines vermeintlichen Seriemörders) wird durch den unaufdringlichen Ich-Erzähler mitsamt seiner Ängste und Hoffnungen zusammengehalten.

René Goscinny gelang mit Der kleine Nick einst ein wunderbar unverfälschter Blick in die Gedankenwelt eines klugen Jungen. Diese Perspektive hat sich Laurent Tirards wunderbare filmische Adaption erhalten. Der Regisseur zeichnet eine in sich abgeschlossene und bewusst künstliche 60er Jahre Puppenhausrealität, indem das moderne Handyzeitalter nicht einmal von Ferne grüßt. Dieser mutige Zugang, die der Lebenswirklichkeit heutiger Kinder kaum mehr entspricht atmet genau den Geist der zeitlosen Goscinny-Vorlage. Hier dürfen endlich mal die naiven, aber auch unverfälschten Gefühle der Heranwachsenden noch eine prominente Rolle spielen. Der kleine Nick ist ein Kinderfilm mit Vorbildcharakter, am ehesten noch vergleichbar mit Wo die wilden Kerle wohnen von Spike Jonze.
 

Der kleine Nick (2009)

Mit dem Adaptieren von Kinderbuchklassikern sind schon viele Regisseure gescheitert. Die Problematik beginnt schon beim Casting. Die Kids müssen perfekt in ihre Rollen passen, sonst ist der Misserfolg bereits vorprogrammiert. Und dann wäre noch das Setting. Inwieweit soll man die Vorlage der heutigen Zeit anpassen, ohne, dass der nostalgische Charme verloren geht?

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

michaela meier · 06.11.2010

Wann kann man den Film "Der kleine Nick" als deutsche DVD kaufen?

Sengül (die "Große") & Berkay *9* · 24.09.2010

Mit dem "kleinen Nick" nimmt man Fahrt in ein Reich der Fantasie und eine ferne Kindheit. Es ist ein wundervoller Film, sehr empfehlenswert.
Die "Großen" werden sich mindestens genauso amüsieren, wie die "Kleinen", garantiert!

kinogänger · 05.09.2010

Ein aufheiternder Film, an manchen Stellen etwas unrealistisch, aber man darf ja im Kino auch mal wieder Kind sein. Gelungen, unterhaltsam, jederzeit wieder.

david pfeffer 10j und Lukas 5j · 28.08.2010

wir waren gestern im film DER KLEINE NICK und wir mussten sehr viel lachen. der film ist sehr zu empfehlen.