Der Hauptmann (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Kleider machen Leute (böse)

Nachdem er viele Jahre in Hollywood gearbeitet und dort unter anderem den Thriller „Flightplan“ (2005) und die Action-Komödie R.E.D. (2010) in Szene gesetzt hat, kehrt der in Stuttgart geborene Filmemacher Robert Schwentke nach Deutschland zurück und legt als Drehbuchautor und Regisseur mit „Der Hauptmann“ ein kinematografisches Biest in Schwarz-Weiß vor. Das Werk befasst sich mit den Taten des realen deutschen Kriegsverbrechers Willi Herold (1925-1946) — und könnte kaum weiter von historischem Konsens-Kino entfernt sein.

Im April 1945, kurz vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, findet der junge Soldat Herold (Max Hubacher) auf der Rückbank eines herrenlosen Fahrzeugs die Uniform eines Hauptmanns. Nachdem er sich diese angelegt hat, taucht der Gefreite Freytag (Milan Peschel) auf, der seine Einheit verloren hat und sofort bereit ist, sich Herold zu unterstellen. Alsbald kann der Hochstapler weitere Versprengte — darunter den hochgradig aggressiven Kipinski (Frederick Lau) — um sich sammeln und so eine Leibgarde aufbauen. Bei einer Kontrolle behauptet er, einen Sondereinsatz zu leiten und auf Geheiß des Führers einen Bericht über die Lage an der Front zu verfassen. Als er mit seiner Truppe zum Lager II der Emslandlager gelangt, wo überwiegend von Wehrmachtgerichten verurteilte Männer inhaftiert sind, kann er sich auch dort in seiner Rolle durchsetzen. Herold entwickelt zunehmend grausame Züge und verantwortet ein Massaker, bei welchem zahllose Insassen erschossen werden.

Der Hauptmann ist kein Film, der es seinem Publikum leicht macht beziehungsweise leicht machen will. Der Einstieg entspricht noch einem klassischen Kriegsdrama: Wenn Herold (aus nicht dezidiert genannten Gründen) vor einer Gruppe von schießwütigen deutschen Soldaten flieht und sich mit dreckverschmiertem, angstverzerrtem Gesicht im Gehölz versteckt, fühlt man, nicht zuletzt dank des intensiven Spiels des Schweizers Max Hubacher (Der Verdingbub), rasch mit dem jungen Mann mit. Als wirkungsvoll erweisen sich auch die kontrastreichen Aufnahmen des Kameramanns Florian Ballhaus sowie die oftmals dröhnende Sound-Kulisse, mit welcher gekonnt eine Atmosphäre der Gefahr geschaffen wird. Wenn sich Herold die Uniform überstreift und Freytag dem Irrtum erliegt, dass Herold tatsächlich ein Hauptmann ist, scheint ein Schelmenstück im Stile von Der Hauptmann von Köpenick denkbar. Doch bereits bevor Freytag eintrifft, wird man Zeuge, wie Herold die selbst erlebte Grausamkeit nachspielt — nun in der Rolle des Täters. Schon hier ahnt man, dass vermutlich keine gewitzte Köpenickiade folgen wird, sondern eine Geschichte über die Diabolie der Macht und den Verlust der Menschlichkeit. Als der uniformierte Herold von einer mit Fackeln ausgestatteten Männergruppe dazu aufgefordert wird, einen Deserteur zu erschießen, zögert er nicht lange, um die Charade aufrechtzuerhalten. Später wird er im Lager schließlich zum Töten ohne absolute Notwendigkeit übergehen und schnell zum Sadisten werden, der keinem moralischen Kompass mehr folgt, sondern sichtlichen Spaß an Machtspielen hat und sich deshalb in seinem Vorgehen immer wieder extrem weit vorwagt, um zu testen, was er sich allein durch ein Kleidungsstück und durch ein selbstsicher-dreistes Verhalten alles zu erlauben vermag.

Schwentke fängt im ersten Drittel glaubhaft die Kriegsmüdigkeit, aber auch die Verrohung der Bevölkerung ein. Die Passagen im Lager schwanken indes zwischen beklemmend und absurd-satirisch. Wenn sich die von Bernd Hölscher und Waldemar Kobus verkörperten SS-Männer Schütte und Hansen wie Kleinkinder darum streiten, wer in der Organisation der Abläufe in Lager II die Oberhand gewinnt, und wenn es in der Frage, ob Menschen hingerichtet werden sollen oder nicht, nur darum geht, dass auf bürokratischem Wege doch bitte „alles seine Richtigkeit hat“, wird der Wahnsinn und die Barbarei des Krieges deutlich; als bittere Pointe werden gegen Ende die „Wirren der Zeit“ von einem Verteidiger ins Feld geführt, um Herolds schreckliche Verbrechen zu rechtfertigen. Spannung erzeugt der Film unter anderem durch die Figur des Hauptmanns Junker (Alexander Fehling), der Herold zu kennen glaubt, sowie in einigen Gesprächssituationen, in denen man spürt, dass ein einziges falsches Wort den Tod bedeutet. In etlichen Momenten sorgt Der Hauptmann wiederum für erhebliche Irritation — etwa wenn das exzessive Feiern der Truppe (nach der viehischen Exekution von Gefangenen) in Slow Motion präsentiert wird und an Szenen aus Luchino Viscontis Die Verdammten (1969) erinnert; ferner gibt es gar Bilder des Exzesses, die wirken, als seien sie aus Jack Smiths verstörendem Experimentalwerk Flaming Creatures (1963) entnommen. Diese Stilisierung — zu der auch die Monty-Python-eske Explosion eines Menschen bei einem Luftangriff zählt — steht ein kurzer, überraschender Augenblick der Authentizität gegenüber, in welchem das Gebiet, das einst als Lager II diente, im heutigen Zustand als Farbfotografie gezeigt wird. Der Hauptmann ist eine krude, radikale, unvorhersehbare Arbeit — und wird gewiss nicht allen gefallen, vielleicht gar auf klare Ablehnung stoßen. Mut und den Willen, die Möglichkeiten der Kinematografie zu nutzen, lassen sich Schwentke und seinem Team indes wohl von niemandem absprechen.
 

Der Hauptmann (2017)

Nachdem er viele Jahre in Hollywood gearbeitet und dort unter anderem den Thriller „Flightplan“ (2005) und die Action-Komödie „R.E.D.“ (2010) in Szene gesetzt hat, kehrt der in Stuttgart geborene Filmemacher Robert Schwentke nach Deutschland zurück und legt als Drehbuchautor und Regisseur mit „Der Hauptmann“ ein kinematografisches Biest in Schwarz-Weiß vor.

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Meinungen

Heidi Reuscher · 20.08.2018

Sehr guter Film. Krass aber sehr nachhaltig in der Wirkung.