Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Undurchdringlichkeit des Banalen

Da läuft sie auf einer kleinen Straße im Grünen durch die Landschaft, eine Gruppe aus drei Frauen und drei Männern der gehobenen Gesellschaft, die als Einheit sowie in Einzelkonstellationen diesen Film von Luis Buñuel aus dem Jahre 1972 bestreitet. Dieses starke Bild, das leicht variiert drei Mal als Motiv im Film erscheint, ist exemplarisch für die scheinbar ziellose, dichte Atmosphäre voller eleganter Spitzen gegen die unreflektierte Sorg- bis Skrupellosigkeit einer privilegierten bürgerlichen Sozietät, die Der diskrete Charme der Bourgeoisie mit sanftem bis spitzem Humor vorführt.

Im Grunde sind sie permanent unterwegs zu einem gepflegten, geselligen Festmahl in kleiner Runde, der mondäne Botschafter von Miranda (Fernando Rey), die junge Florence (Bulle Ogier) sowie die beiden Ehepaare Thévenot (Delphine Seyrig und Paul Frankeur) und Sénéchal (Stéphane Audran und Jean-Pierre Cassel). Doch dieses augenscheinlich unspektakuläre, in ihren Kreisen nur allzu übliche Vorhaben mit seinen artigen Ritualen verwandelt sich im Verlauf der Dramaturgie immer stärker zu einer schier unerreichbaren Mission der Protagonisten, die auf der Suche nach einem geeigneten Ort und Zeitpunkt für das Essen eine absurde Odyssee mit allerlei schrägen Tischgenossen durchleben. Dass sich die verwobenen Träume der Figuren zu den skurrilen Geschichten ihrer ungebetenen Gäste gesellen und die vordergründige Realität immer heftiger attackieren, ist ein elementarer Bestandteil der rundum gelungenen und wie stets von rätselhaftem Schalk umwehten Inszenierung Luis Buñuels, der hier mit seinem späten Werk eine absolute Meisterleistung präsentiert.

So viel bemerkenswerte Andeutungen und Referenzen Der diskrete Charme der Bourgeoisie auch beherbergen mag, deren Betrachtung zu einer näheren Analyse herausfordert, ist es doch letztlich die geradezu magische, geheimnisvolle Aura des Undurchdringlichen, die auch diesen Film des trockenen Surrealisten so einzigartig wie faszinierend geraten lässt.
 

Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972)

Im Mittelpunkt der Retrospektive der diesjährigen Berlinale steht der spanische Meisterregisseur Luis Buñuel, dessen erster Film Ein andalusischer Hund / Un chien andalou im Jahre 1929 das Kino traf wie ein Faustschlag.

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