Das merkwürdige Kätzchen

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Merkwürdig ist nur das, was wir dafür halten

Familientreffen im Herbst. Karin (Anjorka Streche) und Simon (Luk Pfaf) sind bei ihren Eltern (Jenny Schily und Matthias Dittmer) und ihrer jüngeren Schwester Clara zu Besuch. Im Verlauf des Tages erscheinen weitere Verwandte (Armin Marewski, Sabine Werner, Kathleen Morgeneyer) und der Nachbarsjunge (Gustav Körner), der mit Clara spielen will. Und es gibt einiges zu tun. Die Waschmaschine muss repariert und das gemeinsame Abendessen vorbereitet werden.
Alltagszenen. Ein Geflecht aus Momenten. Menschen kommen und gehen. Eine Familie bewegt sich durch ihre Wohnung. Es wird gegessen, getrunken, geredet. Die Haustiere streifen durch die Wohnung. Die Mutter beobachtet ihre Tochter, die Katze die schlafende Oma. Jemand hat vors Haus gekotzt. Die Kamera ist immer dabei, doch scheint das, was sie in den Fokus rückt, nicht der Logik einer Geschichte, sondern anderen Prinzipien zu gehorchen. Das gleiche gilt für die Tonebene: eine zufällige Kakophonie aus Alltagsgeräuschen. Für einen Außerirdischen, der mit menschlichen Gepflogenheiten nicht vertraut ist, wäre das alles nur undefiniertes Rauschen.

Auch Tiere spielen in Zürchers, durch Kafkas Die Verwandlung inspiriertem Film, eine Rolle. Eine Katze, ein Hund, ein Falter. Sie finden genauso Beachtung wie das andere, menschliche, Treiben an diesem Herbsttag. Wenn überhaupt etwas aus diesem seltsamen Reigen fällt, dann sind es die Geschichten, die sich die Figuren gegenseitig erzählen. Die Mutter war im Kino, wo ihr Sitznachbar seinen Fuß auf den ihren stellte. Karin war spazieren und aß eine Orange. Die Orangenschalen warf sie hinter sich bis sie bemerkte, dass jedes Stück Schale auf der gleichen Seite landete. Simon war auf einer Party, wo er eine seltsame Frau kennenlernte. Für die Figuren sind die Geschichten offensichtlich wichtig, das merkt man an der Art, wie sie erzählt werden. Doch was für den einen wertvoll ist, ist für den anderen nicht mehr als ein Hintergrundgeräusch.

Was ist denn nun wichtig in Zürchers Film? Was ist denn mit dem titelgebenden Kätzchen? Seltsam ist es jedenfalls nicht. Die Katze streift durch die Wohnung, isst, beobachtet den Hund, die schlafende Oma. Aber die Katze leitet den Blick des Zuschauers zu etwas, das möglicherweise auf eine Stelle des Films hinweist, die heraussticht: Die Katze frisst aus ihrem Napf. Plötzlich senkt sich langsam ein Fuß über ihren Kopf nieder. Der Zuschauer sieht: Der Fuß gehört der Mutter. Wollte sie die Katze töten? Vor dieser Szene gewinnen die anderen Szenen einen erweiterten Bedeutungshorizont. Diese Kinogeschichte mit dem Fuß, ihr Verhalten gegenüber der Tochter, der Moment, wo sie mit dem Messer in der Hand in der dunklen Küche steht… So verstanden ist es ein Psychogramm einer Frau, einer Mutter, in der ein Sturm schlummert, der kurz vor dem Ausbruch steht.

Doch vielleicht ist die exponierte Stellung der Mutter, die hier vorgeschlagen wurde, nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, den Szenen des Films Bedeutung abzuringen. Auch andere Szenen deuten auf Spannungen innerhalb der Familie hin. Sinn ist nichts, was den Dingen und Lebewesen innewohnt, sondern etwas, das wir in sie hineinlegen. Plötzlich gibt es unzählige Möglichkeiten diesen auf einmal so reichhaltigen Film zu verstehen. Wo erst nur undifferenziertes Rauschen war, wimmelt es auf einmal von geheimnisvollen, faszinierenden Geschichten. Zürchers Film ist eine Einladung, diese zu erforschen. Merkwürdig ist nur das, was wir dafür halten.

Das merkwürdige Kätzchen

Familientreffen im Herbst. Karin (Anjorka Streche) und Simon (Luk Pfaf) sind bei ihren Eltern (Jenny Schily und Matthias Dittmer) und ihrer jüngeren Schwester Clara zu Besuch. Im Verlauf des Tages erscheinen weitere Verwandte (Armin Marewski, Sabine Werner, Kathleen Morgeneyer) und der Nachbarsjunge (Gustav Körner), der mit Clara spielen will. Und es gibt einiges zu tun. Die Waschmaschine muss repariert und das gemeinsame Abendessen vorbereitet werden.
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