Das Kongo Tribunal (2017)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Kino als Gerechtigkeitsmaschine

Das Kongo-Tribunal von Milo Rau ist nicht vorbei, wenn der Film endet und eigentlich hat es auch nicht begonnen, wenn der Film beginnt. Damit soll gesagt werden, dass der Film zu wenig ist, für das, was er zeigt und er trotzdem nicht scheitert, in dem, was er auszulösen vermag. Der Schweizer Filmemacher Milo Rau hat bereits angekündigt, seine mehr als 250 Stunden an gesammeltem Material online verfügbar zu machen. Außerdem seien ein Videospiel und ein Buch geplant.

Das ist auch notwendig, denn die brutalen Verbrechen rund um die Mineralschätze im Ostkongo und die von Rau initiierte Suche nach Schuldigen, Verantwortung und vor allem Wahrheiten ist außergewöhnlich und in jeder Hinsicht eine Notwendigkeit, die viele andere Motivationen einen Kinofilm zu machen, irrelevant erscheinen lässt. Im Stil von Jean-Paul Sartre und Bertrand Russel (Russel-Tribunal), die ähnliches rund um den Vietnamkrieg durchführten, ergreift der europäische Intellektuelle hier die Initiative, um in einem fiktiven Setting, aber mit Hilfe höchster Instanzen nach Gerechtigkeit zu suchen. Anhand von drei konkreten Fällen untersucht der Film die Massaker, Vergewaltigungen und Ausbeutungen der Bevölkerung. Dabei verwebt er zwei performative Tribunale mit wichtigen politischen und gesellschaftlichen Vertretern, eines im Kongo, das sich vor allem mit der Schuld der Minenorganisationen, UN-Truppen und des Staates befasst und eines in Berlin, das sich auf die Rolle der Weltbank und der EU fokussiert mit Reportage-Material, das direkt im Kongo gedreht wurde.

Dem Film geht es mehr darum, das Problem sichtbar zu machen, es in die Köpfe der Betrachter zu bringen, als wie ein Tribunal zu funktionieren. Man findet im Lauf des Films zu viel Schuld in der Welt der High-Tech Rohstoffe, um ein Urteil zu sprechen. Das Urteil für den Zuseher, der geschickt in das Geschehen einbezogen wird, weil Rau immer wieder Gegenschüsse der Publikumsreaktionen vor Ort zeigt, kann eigentlich nur sein, dass es ein Urteil geben muss. Dabei gelingt Rau in der Verdichtung vor allem die Parallelität von Schuld zwischen den großen Spielern im Hintergrund wie eben der Europäischen Union und den Verantwortlichen vor Ort. Diese Verbrechen erzählen auch eine Geschichte der Ignoranz — und man merkt Rau an, dass er mit allen Mitteln dagegen ankämpft. Filmisch bedeutet das vor allem Direktheit. Zu einer Ästhetik oder politischen Form bleibt dem Filmemacher, der immer wieder auch selbst im Bild zu sehen ist, keine Zeit. Diese Direktheit erzählt von einer Notwendigkeit, aber auch von einer Unmöglichkeit.

Zwar wird die Rolle des Films, die Wichtigkeit der Anwesenheit von Kameras immer wieder betont, aber letztlich hat man das Gefühl, dass entscheidende Dinge jenseits des kleinen Ausschnitts geschehen, den Rau hier in einen Film verwebt. So geht das Ideal einer solchen Verhandlung von Anfang an verloren, weil der Film eine klare Stellung beziehen muss. Das anvisierte Hören aller Seiten findet so nicht statt. das ist nachvollziehbar, erinnert aber daran, dass Das Kongo-Tribunal auch aufgrund seiner Kürze nicht an eine notwendige Objektivität gelangen kann. Die beständigen Verknappungen und dramaturgischen Zuspitzungen sind nachvollziehbar, aber letztlich verfälschen sie das Bild, das sich der Zuseher ja erst machen muss. Hinzu kommt, dass der Film vor allem am Ende in eine unpassende Emotionalität kippt. Nicht, weil es nicht angebracht wäre, Emotionen zu zeigen ob dieser Grausamkeiten, sondern weil die Arbeit des Films eine der Stärke und Wut ist und nicht der Betroffenheit. Vielmehr noch als ein Film über das Tribunal ist Das Kongo-Tribunal jedoch ein Film über die Arbeit an der Gerechtigkeit. Es wird gezeigt, wie ein solches Tribunal zusammenkommt, wie es aufgebaut wird und wie die konkrete Arbeit damit funktionieren könnte. Eigentlich hätte sich eine Auswertung für das TV mit jeweils einstündigen Episoden über zwanzig Folgen hinweg mehr angeboten für die Arbeit von Rau und seinen Helfern.

Das Kino wird hier als Gerechtigkeitsmaschine verstanden. Auch innerhalb der fiktiven Tribunale wird Videomaterial zur Beweisführung eingesetzt, das Ganze funktioniert auf mehreren Ebenen frei nach dem Motto: Man glaubt scheinbar nur das, was man sieht. Wichtig wäre es, den Film nicht als Resultat einer Arbeit zu verstehen, sondern als Beginn.
 

Das Kongo Tribunal (2017)

„Das Kongo-Tribunal“ von Milo Rau ist nicht vorbei, wenn der Film endet und eigentlich hat es auch nicht begonnen, wenn der Film beginnt. Damit soll gesagt werden, dass der Film zu wenig ist, für das, was er zeigt und er trotzdem nicht scheitert, in dem, was er auszulösen vermag.

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Meinungen

Roswitha Tribus · 02.04.2021

Ergreifend, auszuzeichnender Film, danke!