Comrade, where are you today? - Der Traum der Revolution

Eine Filmkritik von Falk Straub

Kommunistisches Klassentreffen

In ihrer Jugend träumten sie vom Sozialismus. Was ist davon heute geblieben, mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall? In ihrem Dokumentarfilm Comrade, where are you today? – Der Traum der Revolution spürt Kirsi Marie Liimatainen ehemalige Kommilitonen auf, mit denen sie Ende der 1980er Jahre in der DDR Marx und Lenin paukte.
Gut ausgebildet, aber ohne Job kommt Kirsi Marie Liimatainen 1988 in die DDR. Hier will die 20-jährige Finnin mehr über den Sozialismus lernen. In der Jugendhochschule Wilhelm Pieck am Bogensee, 15 Kilometer nördlich von Berlin, trifft sie auf Gleichgesinnte aus 80 Nationen. Heute wächst hier nur noch Unkraut. Schnell wird Liimatainen damals klar, „dass man nicht überall auf der Welt ein Parteibuch der Kommunisten bei sich tragen kann“. Viele ihrer Kommilitonen kommen aus Untergrundbewegungen, verbotenen Organisationen und gefährlichen Kriegsgebieten. Vier davon, deren Klarnamen die Regisseurin zu Beginn der Dreharbeiten von Comrade, where are you today? immer noch nicht kennt, besucht sie in ihren Heimatländern.

Zunächst ist da Nidia, die unter dem Decknamen Lucia aus Bolivien nach Ostdeutschland kam und sich nach ihrer Rückkehr mehr und mehr auf ihre Wurzeln besann. In ihrem Heimatort Cochabamba arbeitet Nidia als traditionelle Heilerin und engagiert sich für die (kulturellen) Rechte der indigenen Bevölkerung. Von Präsident Evo Morales ist sie enttäuscht. Der stellt sich auf Nachfrage gar für ein Interview zur Verfügung. Eine von vielen außergewöhnlichen Szenen dieses Films.

Dann ist da der Chilene Marcelino, den die Regisseurin in der DDR als Esteban kennenlernte und den sie gemeinsam mit Nidia in Santiago besucht. Jahrelang lebte er im australischen Exil, bevor er nach dem Ende des Pinochet-Regimes in sein altes Arbeiterviertel zurückkehrte. Politisch aktiv ist Marcelino immer noch, auch wenn er sich selbst schon lange nicht mehr als Kommunisten bezeichnet. Einmal geht die Kamera nachts mit ihm auf Tour, hält fest, wie er illegal Wände plakatiert. Auch das eine Szene, die haften bleibt.

Eine andere ist die, als das Filmteam im Libanon unter Beschuss gerät. Eigentlich wollte Liimatainens ehemaliger Kommilitone Nabil mit seiner Familie nur an einem Flusslauf picknicken. Während Nabil als ehemaliger Kommunist seine neue politische Heimat bei der neoliberalen Zukunftspartei gefunden hat, ist seine Familie wie dessen ehemaliger Kommilitone Ghazwan gespalten. Es sind Bilder aus einem zerrissenen Land, dessen Süden sich immer stärker fanatisiert.

Und zuletzt ist da Duma, der für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) als Freiheitskämpfer sein Leben riskierte und den Kirsi Liimatainen nicht mehr interviewen kann, weil er 2003 verstarb. Statt ihrem ehemaligen Kameraden stellt die Filmemacherin dessen Weggefährten und seiner Witwe die Frage, was Duma heute wohl von seinem Land hielte.

Comrade, where are you today? ist eine Liebeserklärung an den Sozialismus. Nicht an dessen Praxis wohlgemerkt, sondern an die Idee dahinter. Liimatainen trifft während ihrer Reise durchweg auf Realisten, keine Träumer, die an einer verklärten Vorstellung aus Jugendjahren kleben. Ganz im Gegenteil: Alle, die Regisseurin eingeschlossen, teilen dieselbe Desillusionierung. Ihr Aufenthalt am Bogensee führte ihnen bereits vor mehr als 25 Jahren vor Augen, dass es das versprochene sozialistische Paradies nicht gibt. Schließlich sollten Menschen im Paradies nicht für Lebensmittel anstehen oder ihre Regierung fürchten, bemerkt Nabil in der Rückschau.

Liimatainens Reise, die sie mit einer bunten Collage aus Archivaufnahmen und einem nachdenklichen Kommentar von beinahe literarischer Qualität versieht, ist auch eine kleine Geschichtsstunde. Gemeinsam mit den vier Protagonisten tauchen die Zuschauer für einen kurzen Augenblick in die bewegte Geschichte ihrer Herkunftsländer. Die An- und Einsichten der Betroffenen sind zwar nicht neu, aber stets klug und scharf beobachtet. Am stärksten ist Kirsi Liimatainens Dokumentarfilm immer dann, wenn die Politik den Alltag erfasst. Dann mischt sich die Kamera mit Nidia unter ihre Mitbürger, die auf einem öffentlichen Platz lautstark über die beste Regierungsform für Bolivien streiten, sitzt mit Nabil und dessen Familie bei einer hitzigen Diskussion oder fängt das Funkeln in Marcelinos Augen ein, wenn er über die Unterschiede von politischer Theorie und Praxis doziert. Genau dann zeigt Comrade, where are you today?, dass das Feuer bei aller Resignation auch heute noch in den Protagonisten brennt. Oder wie es Ghazwan an einer Stelle über den Wandel seiner politischen Einstellung formuliert: „Fleisch zersetzt sich, aber Knochen bleiben.“

Comrade, where are you today? - Der Traum der Revolution

In ihrer Jugend träumten sie vom Sozialismus. Was ist davon heute geblieben, mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall? In ihrem Dokumentarfilm „Comrade, where are you today? – Der Traum der Revolution“ spürt Kirsi Marie Liimatainen ehemalige Kommilitonen auf, mit denen sie Ende der 1980er Jahre in der DDR Marx und Lenin paukte.
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Meinungen

Wolfgang Matthees · 03.05.2017

Ein wunderbarer Film, der nicht nur "Linke " beeindruckt.
Kirsi hat sehr einfühlsam ein Thema unserer Zeit ins Bild gesetzt, das im Moment keine Völker in Bewegung setzt aber nach wie vor ein Zukunftestet öffnet.
Gib niemals auf! Könnte ein Untertitel lauten.
Meiner Nachbarin kamen beim Anschauen die Tränen.
Vielen Dank Kirsi für dein beeindruckendes Werk.

Michael Worf · 02.09.2016

Hallo,
ich würde gern eine DVD von dem Film haben.
Wie kommt man da dran?

Gruß!
M.W