Club Europa

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Willkommen im Kartoffelland!

„Das benutzt man hier: Du bist jetzt im Kartoffelland!“, erklärt der US-Amerikaner Jamie (Artjom Gilz) seinem neuen WG-Kompagnon Samuel (Richard Fouofié Djimeli) am Küchentisch. Im nächsten Moment rechnet er ihm via GoogleMaps-Suchanfrage die vielen zurückgelegten Kilometer vor bis nach Berlin-Kreuzberg. Selbst wenn Samuel in der Theorie 24 Stunden am Stück gelaufen wäre, wären es von seiner Ursprungsheimat in diese neue immer noch 1254 Stunden bzw. 52 Tage ohne Unterbrechung gewesen. Jamies Blick ins Smartphone schwankt bei diesen Worten zwischen Faszination und Irritation: Wie kann ein Mensch so etwas leisten?
Dass es viele Menschen glücklicherweise mit geradezu übermenschlichen Kräften und eisernem Willen bis nach Europa schaffen, zeigen die täglichen Nachrichtenbilder aus aller Welt. UN-Schätzungen zufolge befinden sich aktuell über 60 Millionen (!) Menschen weltweit auf der Flucht und suchen aus mitunter sehr unterschiedlichen Gründen Asyl, vorwiegend in Europa, und im Speziellen im hiesigen „Merkel-Land“, wie man es zuletzt in vielen Dokumentarfilmen hören konnte. So auch Samuel, der in deutschen Hauptstadt Fuß fassen möchte.

Die 28-jährige Martha (ziemlich blass: Sylvaine Faligant), das heimliche WG-Oberhaupt, hatte sich zuvor aus dem schlechten Gewissen heraus, nicht wirklich etwas Gutes zu tun, bei einer NGO gemeldet, welche ihr Samuel vermittelt hatte: Einen sympathischen jungen Mann, der alleine aus Kamerun bis nach Berlin geflüchtet war. Die erste Mini-Kommunikation läuft relativ schnell über gemeinsame Mahlzeiten („Du isst nicht?“ — „Scharf.“), es wird alsbald zusammen gespielt wie gefeiert und auch die übrigen WG-BewohnerInnen zeigen keine großen Berührungsängste gegenüber dem Neuankömmling. Im Gegenteil: Yasmin (Maryam Zaree) steckt zwar gerade mitten im Referendariat, ackert aber trotzdem aus Überzeugung mit Samuel Deutsch-Vokabeln und fremde Grammatik-Strukturen.

In dieser ersten Kennenlernphase ist Samuel obendrein sehr engagiert: Fleißig paukt er im Stillen weiter, punktet bei seinen Mitbewohnern mit zuverlässigen Putz-, Koch- und Waschdiensten. Nur wirklich wohl fühlt er sich auch nach Tagen immer noch nicht in der für ihn weiterhin recht anderen Heimat BRD. Dazwischen stößt er durch Martha auf das so genannte „normale Leben“ einer jungen Berlinerin: Zwischen Langzeitprojekten im Kulturbetrieb, MDMA-Feten im Techno-Underground der Hauptstadt sowie regulären Bürgerpflichten wie zum Beispiel der jährlichen Abgabe der Steuererklärung zieht nicht nur Samuel innerlich schnell wieder weg, sondern mit ihm der Zuschauer.

Denn genauso klischiert stellt sich das maue Drehbuch von John-H. Karsten gelungene Integration vor, und tappt dabei doch nur von einem Allgemeinplatz zum nächsten, bis ein plötzlich in der Küche stehendes Polizeikommando wenigstens etwas Schwung in die saturiert-lahme Studentenbude (Ausstattung: Hannah Lauch, Anahí Pérez) zwischen MacBook-Air-Popanz und weißen Holzdielen bringt: „Hier sollen sich illegale Personen aufhalten.“ Und im Hintergrund macht sich bereits die deutsche Bürokratenkrake lang: Samuels Asylantrag wurde abgewiesen, innerhalb der nächsten zwei Wochen muss er die Bundesrepublik verlassen, weil er im Zuge seiner Ankunft in Europa auf dem spanischen Festland seine Fingerabdrücke abgegeben hatte. So sehen es nun mal die geltende Dublin-Verordnung der EU vor.

Was in der Drehbuchanlage und aus der persönlichen Grundmotivation der Zweibrücker Filmemacherin heraus durchaus etwas hätte hergeben können, wird allerdings in den 82 Minuten ihres fiktionalen Langfilmdebüts, die sich mitunter wie 820 Minuten anfühlen, in keiner Passage tatsächlich eingelöst. Stattdessen gibt es so gut wie überhaupt keine kreativen Plotpoints, seltsam regungslose Charaktere allerorten und insgesamt einfach allzu viel WG-Küchentisch-Behaglichkeit mit reichlich wenig Zunder: Im deutschen Kartoffelland-Exil regiert in erster Linie gepflegte Langeweile.

Das bunt zusammengewürfelte Darstellerensemble gleicht harmlosen Berliner-junge-Leute-Abziehbildern, Außenmotive sind Mangelware und echte Beweggründe für manches Tun bleiben schlichtweg auf der Strecke. Kurzum: Dass am Set sehr wenige Regieanweisungen gegeben wurden, wie die Zweibrücker Regisseurin im Zuge der Saarbrücker Heimpremiere erzählte, ist in weiten Teilen von Club Europa leider überaus markant zu spüren. Die eingangs gestellte Frage aus dem Munde Marthas, dass sie überhaupt noch nicht sagen könne, „ob Berlin überhaupt meine Stadt ist“, scheint die spannendste des gesamten Films zu sein, was angesichts der enorm wichtigen Thematik ihres Filmes am Ende dann doch am meisten schmerzt.

Club Europa

„Das benutzt man hier: Du bist jetzt im Kartoffelland!“, erklärt der US-Amerikaner Jamie (Artjom Gilz) seinem neuen WG-Kompagnon Samuel (Richard Fouofié Djimeli) am Küchentisch. Im nächsten Moment rechnet er ihm via GoogleMaps-Suchanfrage die vielen zurückgelegten Kilometer vor bis nach Berlin-Kreuzberg.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen