Citizenfour (2014)

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Der Mann im Hotelzimmer

„In diesem besonderen Fall“ wurde bei der Einladung zur Pressevorführung darum gebeten, doch bitte das Kommen anzumelden, „da wir auch mit Interesse aus Nicht-Film-Ressorts rechnen“. Dieser besondere Fall heißt Citizenfour und ist ein Dokumentarfilm über Edward Snowden. Das hätte durchaus auch die Kollegen von der Politikredaktion ins Kino locken können. Hat es dann doch nicht. Und die Kollegen haben auch nichts verpasst – zumindest was sensationelle Enthüllungen und Zusammenhänge angeht. Da war nichts dabei, was nicht vorher schon durch die Nachrichten gegangen wäre. Allerdings haben sie einen sehr interessanten Dokumentarfilm verpasst.

Interessant gerade auch im Hinblick darauf, wer ihn gemacht hat, wie er gemacht ist, wie er als Film funktioniert. Interessant und nicht unproblematisch. Filmemacherin Laura Poitras ist nicht unbeteiligte Beobachterin, sondern war selbst aktiv beteiligt an der Aufdeckung der globalen Überwachungsaffäre. Citizenfour ist der Codename, den Edward Snowden bei der Kontaktaufnahme zu Journalisten benutzt hat, um sein brisantes Material an den Mann zu bringen. Oder besser: an die Frau. Es war Laura Poitras, der sich der Whistleblower Anfang 2013 mittels verschlüsselter E-mail-Kommunikation anvertraute und mit der er sich schließlich in Hongkong traf, um seine Geheimdienst-Enthüllungen der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen.

Laura Poitras hat über die politische Situation nach dem 11. September mehrere Filme gemacht (zuletzt The Oath) und sich kritisch mit der staatlichen Überwachung auseinandergesetzt. Zu kritisch für die US-Regierung: Seit 2006, seit ihrem Film My Country, My Country, sah sie sich Repressalien ausgesetzt. Schließlich ging sie nach Berlin ins Exil, um an ihrem Film über Überwachung und Whistleblower zu arbeiten. Sie hatte schon über zwei Jahre gedreht, als „citizenfour“ mit ihr Kontakt aufnahm und sich die Sensation anbahnte.

Folgerichtig beginnt Citizenfour nicht mit Edward Snowden, sondern mit einer Montagesequenz, in der – während noch die Titel eingeblendet werden – eine Menge Informationen auf den Zuschauer einprasseln: Im Bild, im Ton, in Texteinblendungen. Der Film nutzt alle Kanäle, um eine komplexe Zustandsbeschreibung in Sachen Überwachung zu orchestrieren und um Protagonisten einzuführen, die neben Snowden wichtige Rollen spielen werden: William Binney, ehemaliger Technischer Direktor der NSA, der 2001 zum Whistlebower wurde; Jacob Applebaum, US-amerikanischer Aktivist für Internet-Sicherheit; Glenn Greenwald, US-amerikanischer Journalist, der auch von Snowden kontaktiert wurde und später dessen Enthüllungen als erster veröffentlicht. Und nicht zu vergessen: Laura Poitras selbst. Doch so investigativ wie die Regisseurin auch unterwegs ist, sie stapft nicht wie Michael Moore durch ihren Film. Im Gegenteil: ihre zentrale Rolle wird nur trocken und informativ in den Texteinblendungen konstatiert. Sie bleibt unsichtbar, leiht jedoch dem Film ihre Stimme, wenn sie die E-Mails liest, die Snowden ihr schickte.

Ihre eigene Geschichte als Überwachungs-Opfer wirkt wie ein Resonanzboden. Mit den ersten e-Mails schleicht sich Snowden in Poitras Leben – und in den Film. Der Film transportiert ein Gefühl der Paranoia, das für die Regisseurin sehr real gewesen sein muss. Unterschwelliges elektronisches Gewummer der Nine Inch Nails auf der Tonspur verstärkt dieses Gefühl einer steigenden Anspannung.

Dann wird das Treffen in Hongkong verabredet – und mit einem harten Schnitt gehört der Film ganz allein Edward Snowden. Plötzlich ist nichts mehr komplex und undurchsichtig. Der Film ist präsent im Hier und Jetzt des Hotelzimmers: nur Snowden, Greenwald, später noch ein britischer Journalist – und Laura Poitras mit der Kamera. 20 Stunden Material hat sie in acht Tagen in diesem Hotelzimmer gedreht. Der Film verdichtet die Ereignisse zu einem intensiven Kammerspiel, chronologisch in Kapiteln erzählt: Ein blasser, in Anbetracht der Situation eigentlich viel zu cooler Whistleblower auf dem Bett, ein aufgeregter und verantwortungsbewusster Journalist im Sessel. Auf dessen Gesicht spiegelt sich das Ausmaß der Enthüllungen. „This is not Science-Fiction, this is happening right now“ konstatiert Snowden dann irgendwann trocken.

Spannender kann ein Dokumentarfilm kaum sein: Der Zuschauer ist eine Stunde lang unmittelbar in einer Situation dabei, in der Weltgeschichte geschrieben wird. Die Montage (Mathilde Bonnefoy, die die meisten Filme von Tom Tykwer geschnitten hat) lässt sich Zeit für Snowden, für seine Reaktionen, seine ruhigen Momente. So findet im Zentrum des Films auch ein stilles menschliches Drama statt. Ein Drama, das nach Snowdens Abreise aus Hongkong seinen weiteren Lauf nimmt, während der Film einen dritten Teil anschließt, der den Fokus wieder öffnet, um ein umfassendes Bild von den Auswirkungen von Snowdens Enthüllungen zu zeichnen.

Ein fast gelungener Versuch, das Ganze dramaturgisch rund zu machen, auch dadurch, dass aus dem ersten Teil bekannte Protagonisten wieder auftauchen. Allerdings verliert sich die Dramaturgie zu sehr in einzelnen Szenen, wenn z.B. Greenwald in Brasilien ausführlich auf einer Pressekonferenz spricht. Doch gegen Ende findet der Film zum Glück wieder zu sich – vor allem auch deshalb, weil er wieder zu Snowden findet: Diesmal in Moskau, wo ihn Greenwald mit den Enthüllungen eines neuen Whistleblowers konfrontiert.
 

Citizenfour (2014)

„In diesem besonderen Fall“ wurde bei der Einladung zur Pressevorführung darum gebeten, doch bitte das Kommen anzumelden, „da wir auch mit Interesse aus Nicht-Film-Ressorts rechnen“. Dieser besondere Fall heißt „Citizenfour“ und ist ein Dokumentarfilm über Edward Snowden.

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Meinungen

Arndt · 07.11.2014

Ein paar aufrichtige Menschen schreiben Weltgeschichte. Spannend, ohne Pathos und beängstigend real. We all can be citizenfour.