Cirkus Columbia

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Ein Mann wie ein Rollkommando

Die „große“ Politik und das „kleine“ private Glück – sie gehen eigene Wege und kommen sich doch immer in die Quere. Gerade auf dem Balkan können die Menschen ein Lied davon singen. Der bosnische Regisseur Danis Tanovic stimmt in seinem vierten Spielfilm eine bemerkenswert vielschichtige Melodie an, mit ebenso melancholischen wie skurrilen Untertönen.
Mit dem Namen des Regisseurs verknüpfen sich hohe Erwartungen. Hat er doch mit seinem Erstling No Man’s Land 2002 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film bekommen und in seiner zweiten Arbeit Wie in der Hölle (2005) einen Drehbuchentwurf von Krzysztof Kieslowski verfilmt (als zweiten Teil von dessen Trilogie-Projekt „Himmel, Hölle, Fegefeuer“). War das Debüt ein makabres Antikriegsdrama und der Folgefilm eine nachdenkliche Familiengeschichte, so verbindet Danis Tanovic in Cirkus Columbia das private Drama zerrütteter Beziehungen mit dem heraufziehenden Bürgerkrieg im zerfallenden Ex-Jugoslawien. Das gelingt ihm über weite Strecken äußerst spannend und unterhaltsam. Nur ab und zu spitzt er die Karikatur politischer Figuren in einer Weise zu, dass man merkt: Hier verhandelt der Regisseur auch seine eigene politische Biografie.

Auch der Protagonist des Films ist eine überzeichnete Figur. Divko (Miki Manojlovic) tritt auf wie ein Rollkommando. Nach 20 Jahren in Deutschland kehrt der Mittvierziger 1991 in seine bosnische Heimat zurück, im knallrot glänzenden Mercedes und begleitet von einer jungen Geliebten (Jelena Stupljanin), die er wie eine Trophäe vorführt. Von einer Minute auf die andere lässt er seine Noch-Ehefrau (Mira Furlan) und seinen Sohn (Boris Ler) mit Polizeigewalt aus dem Haus werfen, das ihm immer noch gehört. Für Divko haben sich die Verhältnisse gravierend geändert. Statt der Kommunisten, die ihn ins Exil zwangen, regiert jetzt ein nationalistisch gesinnter Bürgermeister, der zugleich Divkos Cousin ist. Die Rache des Vertriebenen zielt ganz offensichtlich auf seine Frau und deren Familie. Aber schon bald wird spürbar, dass es im Mikrokosmos dieser bosnischen Kleinstadt noch viele alte Rechnungen gibt, die beglichen werden wollen.

Es zählt zu den Stärken des realistisch erzählten Films, wie Danis Tanovic die langsame Enthüllung der privaten und politischen Geheimnisse inszeniert: als kammerspielhaftes Beziehungsdrama mit immer neuen Wendungen, die am Ende auch ein anderes Licht auf die Charaktere werfen. Mit überzeugender Wandlungsfähigkeit verkörpert, begeben sich Vater und Sohn, Ehefrau und Geliebte auf die Suche nach einem guten Ort zum Leben, der für jeden woanders liegt, für die einen in Amerika oder Deutschland, für die anderen in der heimischen Flusslandschaft, die die Kamera bei ihren wenigen Ausflügen in die Natur so schwelgerisch feiert.

Aber es liegt nicht nur Sommerstimmung in der Luft. In Kroatien tobt schon der Krieg und auch in Bosnien ist bald nichts mehr, wie es war. Freunde werden zu Feinden, friedliche Nachbarn zu martialisch auftretenden Milizionären – kaum bemerkt und nur widerwillig wahrgenommen von den vier Protagonisten und ihren Gefühlswirren. Am Ende jedoch lässt sich die gefährliche äußere Lage nicht mehr verdrängen. Sie verlangt Entscheidungen. Und das hat bei aller Tragik von Flucht und Vertreibung auch seine guten Seiten. Unter dem Druck der Verhältnisse setzen sich zumindest im Privaten Werte wie Familiensinn und Zugehörigkeit durch. Der schöne Schlussakkord dieses Films ist so widersprüchlich wie das Leben selbst: Zwei Erwachsene fahren Kinderkarussell – und im Hintergrund explodieren die ersten Bomben.

Cirkus Columbia

Die „große“ Politik und das „kleine“ private Glück – sie gehen eigene Wege und kommen sich doch immer in die Quere. Gerade auf dem Balkan können die Menschen ein Lied davon singen. Der bosnische Regisseur Danis Tanovic stimmt in seinem vierten Spielfilm eine bemerkenswert vielschichtige Melodie an, mit ebenso melancholischen wie skurrilen Untertönen.
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