Berlin 36

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die unglaubliche Geschichte der Gretel Bergmann

Sportveranstaltungen als Politikum und Mittel zur Propaganda sind keine Erfindung der Gegenwart. Selten aber wurden Olympische Spiele dermaßen unverfroren zur Rechtfertigung eines diktatorischen Regimes missbraucht wie bei der Olympiade 1936. Berlin 36 von Kaspar Heidelbach erzählt von der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann, die aufgrund des Drucks der Amerikaner als aussichtsreiche Hochspringerin in die deutsche Equipe rückte und unter einem fadenscheinigen Vorwand von der Teilnahme abgehalten wurde.
Die im Schwäbischen aufgewachsene Gretel Bergmann (wie stets ansprechend gespielt von Karoline Herfurth) ist zu Beginn der 1930er Jahre eines der vielversprechendsten Talente im Hochsprung, der damals noch in der eigenartig anmutenden Scherensprungtechnik ausgeführt wird. 1931 stellte sie bei den Süddeutschen Meisterschaften mit 1,51 Meter einen neuen Deutschen Rekord auf. Doch bereits zwei Jahre später schien ihre Karriere – zumindest in ihrer Heimat – am Ende zu sein. Denn aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Gretel Bergmann von ihrem Verein ausgeschlossen und verließ Deutschland, um fortan in England zu leben, wo sie 1934 die britischen Meisterschaften mit einer Höhe von 1,55 Meter souverän gewann. Dann aber bringen die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele des Jahres 1936 eine dramatische Wende ins Leben der Sportlerin. Da die Amerikaner mit einem Boykott der Spiele drohen, falls sich in den Reihen der deutschen Athleten keine jüdischen Sportler befänden, beeilte sich die NS-Führung, den möglichen Imageverlust zu verhindern. Auf Druck der Nazis kehrt die Athletin nach Deutschland zurück und nimmt zunächst widerstrebend am Trainingslager teil, das vom Reichstrainer Hans Waldmann (Axel Prahl) geleitet wird. Während ihre beiden Konkurrentinnen Lily Vogt (Julie Engelbrecht) und Thea Walden (Klara Manzel) die Jüdin drangsalieren, verhält sich die vierte Springerin Marie Ketteler (Sebastian Urzendowsky) freundlich und solidarisch ihr gegenüber. Doch dann wird der Trainer ausgetauscht, da Waldmann seine Schützlinge allein nach den Leistungen beurteilt. Obwohl Gretel und Marie als einzige in der Lage sind, die Höhe von 1,60 Meter zu meistern, wird Gretel die Teilnahme an den Spielen verwehrt., für sie wird Marie an den Start gehen. Doch die hat ein Geheimnis…

Wäre nicht Gretel Bergmann, die heute im hohen Alter von 95 Jahren in New York lebt und gäbe es nicht Zeugen für die Geschichte, man würde sie kaum glauben können. Auch Regisseur Kaspar Heidelbach wollte anfangs nicht so recht glauben, was ihm da zu Ohren kam. Doch spätestens der Besuch bei Gretel Bergmann in den USA räumte die letzten Zweifel aus, dass diese Geschichte ein riesiges Potenzial hatte – zumal die frühere Hochspringerin selbst davon überzeugt war, dass dieser Stoff von einem deutschen Filmemacher realisiert werden müsste.

Ästhetisch ist der Film durchaus solide inszeniert, auch wenn man in einzelnen Szenen allzu deutlich sehen kann, dass die Special-Effects-Abteilung bei der Schaffung der authentischen Atmosphäre des Jahres 1936 kräftig mitgeholfen hat. Trotz durchweg überzeugender Schauspieler kann das Ergebnis nicht vollständig überzeugen. Und das liegt vor allem an ärgerlichen dramaturgischen Entscheidungen, die mit der wahren Geschichte der Gretel Bergmann nicht sehr viel zu tun haben. Die behauptete Freundschaft der beiden Außenseiterinnen Gretel Bergmann und Marie Ketteler (die in Wahrheit Dora Ratjen hieß), die den Charakter des Film zum Ende prägt, hat es in Wahrheit nie gegeben – im Gegenteil. Die jüdische Hochspringerin und Ratjen, die sich später als Mann herausstellte, sind in Wirklichkeit nicht sehr gut miteinander ausgekommen. Dass dieser Umstand im Film zu einem Musterbeispiel an Freundschaft und Solidarität umgebogen wird, sollte zumindest kritisch hinterfragt werden.

Fragt man die Hochspringerin heute nach ihren Erfolgschancen damals im Jahre 1936, wird Gretel Bergmann trotz ihres hohen Alters kämpferisch: „Gold, nichts anderes wäre es gewesen. Gold. Ich sprang immer höher, je wütender ich war.“ Und dann fügt sie hinzu: „Vor 100 000 Menschen zeigen, was ein jüdisches Mädchen vermag, das wäre der Himmel gewesen.“ Bedauerlich, dass der Film sich nicht allein auf diese Geschichte verlässt, sondern durch Zuspitzungen eine Nähe zwischen Marie und Gretel konstruiert, die es in Wahrheit nie gegeben hat. Das nimmt der Geschichte der Gretel Bergmann, wie sie Kaspar Heidelbach erzählt, dann doch viel von ihrer Glaubwürdigkeit. „Die wahre Geschichte einer Siegerin“, wie der Film im Untertitel genannt wird, wird hier teilweise den Gesetzen der (Fernseh)Dramaturgie geopfert. Dabei schreibt doch – auch im Falle der Gretel Bergmann – das Leben die besten Geschichten.

Berlin 36

Sportveranstaltungen als Politikum und Mittel zur Propaganda sind keine Erfindung der Gegenwart. Selten aber wurden Olympische Spiele dermaßen unverfroren zur Rechtfertigung eines diktatorischen Regimes missbraucht wie bei der Olympiade 1936. Berlin 36 von Kaspar Heidelbach erzählt von der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann, die aufgrund des Drucks der Amerikaner als aussichtsreiche Hochspringerin in die deutsche Equipe rückte und unter einem fadenscheinigen Vorwand von der Teilnahme abgehalten wurde.
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Meinungen

Freibürger · 13.09.2009

Für alle Freunde des Sportfilms, mal eine andere Perspektive auf das dritte Reich.
Auch wenn viele Pro-Kritiker meinen, der Film sei zu "fernsehnah", was soll's! Das Thema ist spannend und perfide. Ich fand die Darsteller gut und über Musik läßt sich lange streiten.

Schwanenmeister · 14.07.2009

Dachte einen Moment darüber nach, den Film als Negativbeispiel in den Blog zu nehmen, um aufzuzeigen, wie genau man einen deutschen Flop planen kann. War mir dann aber nicht reizvoll genug. Das Thema interessiert mich sogar, aber der Trailer sieht schrecklich aus.