Baal

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

"Sommer. Rot. Scharlachen. Gefräßig."

„Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal / War der Himmel schon so groß und still und fahl / Jung und nackt und ungeheuer wundersam / Wie ihn Baal dann liebte, als Baal kam.“ Da wäre genug Pathos in den ersten Zeilen von Bertolt Brechts Frühwerk Baal, aber Volker Schlöndorff holt den Film schon in seinen ersten Momenten in die reale Welt: der einleitende Sprechgesang ertönt aus dem Off zur Musik von Klaus Doldinger, während der namensgebende Protagonist, gespielt von Rainer Werner Fassbinder, rauchend, in Lederjacke, einen Feldweg entlang geht. Die Bildränder sind unscharf, das wird den ganzen Film über so bleiben und gibt den Bildern, filmischen Konventionen nach, eine leicht verträumte Atmosphäre. Und wenn man weiß, dass diese Unschärfen von Hand mit Vaseline auf dem Objektiv hergestellt wurden, dann erdet das den Film noch mehr.
Willkommen in der Gegenwart des Jahres 1969, durch die Stimmen Brechts und Fassbinders gesprochen, und willkommen in einem eher bizarren Kapitel der deutschen Filmgeschichte. Vor seiner Wiederaufführung bei der Berlinale 2014 ist Schlöndorffs Baal nur ein einziges Mal zu sehen gewesen – 1970 prominent in der ARD, zur besten Sendezeit direkt nach der Tagesschau. Mit dem Blick auf die Sendepolitik der öffentlich-rechtlichen Sender wäre das heute ein mutiger Schritt, damals führte der Film zu erwartbarer Empörung; gefällig wirkt er auch heute noch nicht.

Baal ist ein genialischer Dichter, der sich die Zeit mit Saufen und Sex vertreibt; am Anfang des Films wird er nach einer Lesung kurz vom Bürgertum hofiert, bis er sich auf einem Empfang an die Dame des Hauses heran- und generell (für die Bourgeoisie) unmöglich macht. Er trinkt und raucht, liebt Männer und Frauen und nimmt generell wenig Rücksicht auf anderer Leute Befindlichkeiten – ein Genie direkt aus der deutschen Mythenbildung also, zugleich ein aller Sexualmoral fremdes Genusswesen. Baal ist damit natürlich eine Projektionsfigur für all jene, die sich das nicht trauen, und zugleich auch ein wenig autobiographischer Brecht – das muss auch dem hier voll im Saft stehenden Fassbinder sehr nahe gewesen sein. Baal verbraucht sich schließlich selbst und andere und liegt am Ende tot im Wald.

Helene Weigel, Brechts Witwe, konnte den Film 1970 in Ost-Berlin bei seiner Ausstrahlung sehen und reagierte dann prompt: Sie entzog Schlöndorff alle Rechte an dem Material, offiziell wohl, weil der Film seine politischen Themen nicht genau genug herausgearbeitet habe. Dem Vernehmen nach regte sie sich aber auch darüber auf, dass Fassbinder – der 1969 genauso alt war wie Brecht beim Verfassen des Baal – sich selbst als den Dichter inszenierte: „Wenn der meint, mit Lederjacke und Zigarette im Mundwinkel sei er schon wie Brecht!“

So verschwand der Film für über vierzig Jahre aus der Öffentlichkeit. Erst jetzt gab es, nach immer wieder begonnenen Anläufen, die Zustimmung dazu, den Film zu restaurieren, fürs Kino und vor allem für eine DVD-Auswertung vorzubereiten. Für die ersten Aufführungen auf der Berlinale ließ es sich Volker Schlöndorff nicht nehmen, den Film selbst zu präsentieren; mit einem gewissen Stolz tat er das, einem Hauch Wehmut auch, zahlreiche Erinnerungen beschwörend.

Denn tatsächlich ist dieser Film, der so lange verschwunden war, mit all seinen Stärken und Schwächen ein kleiner Fixpunkt der deutschen Filmgeschichte. Schlöndorff traf hier das erste Mal auf Fassbinder, der gerade mit Liebe ist kälter als der Tod an die Öffentlichkeit getreten war; Dietrich Lohmann führte die Kamera und richtete sie, unter anderem, auf Margarethe von Trotta, Hanna Schygulla, Kurt Raab und Irm Hermann – Fassbinder brachte eine ganze Reihe von Schauspielern aus seinem antitheater gleich mit in den Film.

Man merkt dem Film eine gewisse jugendlich-leichte Verspieltheit an; das im Ton manchmal schwere Drama wirkt hier als Film stellenweise nachgerade burlesk und ist zugleich distanziert gespielt, ohne jeden Pathos. Das beißt sich sehr schön damit, wie sehr der Film durch seine schlichten Sets in der Realität seiner Gegenwart verankert ist, bis hin zu einem Kunstwerk an der Wand eines Bürgerhauses, das aus à la Warhol bunt und groß auf Leinwand reproduzierten Briefmarken des Großdeutschen Reiches (natürlich mit Hitler im Profil) besteht: Der GRÖFAZ an der Wand als Distinktionsmerkmal.

Baal schmiegt sich auch heutigen Sehgewohnheiten noch immer nicht an. Man möchte in dem Film und seinen Bildern baden und hat danach das dringende Bedürfnis, sich zu waschen. Wie schön, dass man das nun endlich beliebig oft wiederholen kann.

Baal

„Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal / War der Himmel schon so groß und still und fahl / Jung und nackt und ungeheuer wundersam / Wie ihn Baal dann liebte, als Baal kam.“ Da wäre genug Pathos in den ersten Zeilen von Bertolt Brechts Frühwerk „Baal“, aber Volker Schlöndorff holt den Film schon in seinen ersten Momenten in die reale Welt: der einleitende Sprechgesang ertönt aus dem Off zur Musik von Klaus Doldinger, während der namensgebende Protagonist, gespielt von Rainer Werner Fassbinder, rauchend, in Lederjacke, einen Feldweg entlang geht.
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