Attention - A Life in Extremes

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Rekorde, Rausch und Risiko

Vom Extremsport geht eine zwiespältige Faszination aus. Er treibt das Prinzip der Leistungsgesellschaft, deren Mitglieder nach Selbstoptimierung und dem Austesten der eigenen Grenzen streben, auf die Spitze. Der Mut der Athleten zum Risiko aber erscheint vielen absurd, nährt das Klischee vom Adrenalinjunkie, der sein Leben aufs Spiel setzt. In seinem ersten Kino-Dokumentarfilm porträtiert der Österreicher Sascha Köllnreitner drei Ausnahmesportler: den französischen Weltmeister im Apnoetauchen, Guillaume Néry, den norwegischen Wingsuit-Flyer Halvor Angvik und den österreichischen Extremradfahrer Gerhard Gulewicz. Bei der Frage, was Menschen motiviert, so radikal wie sie an die Grenzen des Machbaren zu gehen, verlässt er sich nicht nur auf die Aussagen der drei Ich-Erzähler, sondern zieht auch Experten zu Rate.
Der 33-jährige Halvor Angvik stürzt sich in seinem Flügelanzug Klippen hinab und rauscht mit bis zu 250 Stundenkilometern an Felsen und Bäumen entlang. Die Filmkameras begleiten seine Flüge aus nächster Nähe, oft aus der Perspektive des Sportlers. Diese spektakulären Aufnahmen kommentiert die Elektronikmusikerin Anna Müller mit kühlen Kompositionen. Es verursacht ein Gänsehautgefühl, zu sehen, dass Superman in Wirklichkeit waghalsiger fliegt, als es im Spielfilm den Anschein hat – und man gleichzeitig auch weiß, dass es sich nur um einen Basejumper handelt, dem im Falle eines Aufpralls die rettenden Superkräfte abgehen. „Wir sehen unschöne Dinge“, berichtet Bruno Durrer, der medizinische Leiter der Bergrettung im schweizerischen Lauterbrunnen. Der Ort ist als Mekka der Basejumper berühmt-berüchtigt. Aber gerade Durrer weist das Vorurteil zurück, diese Sportler handelten alle verantwortungslos. Man könne auch „an Leberverfettung als Couch-Potato“ sterben.

Der 44-jährige Gerhard Gulewicz hat die 4800 Kilometer lange Strecke des Race Across America wiederholt absolviert und es unter die drei Erstplatzierten geschafft. Das Filmteam ist 2011 dabei, als Gulewicz die Strecke erneut in weniger als neun Tagen bewältigen will. Wenn er, begleitet von seinem Tross, unterwegs mal eben austritt, ähnelt das durchgetaktete Prozedere dem Boxenstopp in der Formel 1. Der Schlaf beschränkt sich oft auf sogenannte Powernaps von 15 Minuten Länge. Wenn sich Gulewicz im Taumel der Übermüdung wieder aufs Rad setzt, wird deutlich, wie sehr sein Urteilsvermögen bereits eingeschränkt ist, wie schwer es ihm folglich fallen muss, den Punkt zu erkennen, an dem sich das Projekt womöglich in pure Selbstzerstörung verwandelt. Köllnreitner geht über die reine Beobachtung hinaus: Verschwommene Aufnahmen und Worte, die in einem dumpfen Akustikbrei versinken, spiegeln die verzerrte Wahrnehmung des Sportlers.

Der 30-jährige Guillaume Néry aus Nizza hält es 7,42 Minuten unter Wasser aus, ohne Luft zu schnappen. Er gewann die Weltmeisterschaft 2011 mit einer erreichten Tiefe von 125 Metern. Es ist die Unterwasserkamera seiner Lebensgefährtin Julie Gautier, die ihm in diesem Film in die Tiefsee folgt. Sie drehte mit Néry auch den Youtube-Film Free Fall, der dem Taucher 2010 auf einen Schlag mehr Popularität und Sponsoreninteresse einbrachte, als seine sportlichen Rekorde.

Die nahen Beobachtungen und die Aussagen der Sportler erlauben Einblicke in sehr spezielle, individuelle Lebenswelten. Die Statements der verschiedenen Experten sind hingegen eher unergiebig und vage. Franck Seguin vom Magazin L’Equipe glaubt, dass Sportler zur Jagd nach Rekorden gedrängt werden, auch von den Medien. Die Soziologin und ehemalige DDR-Spitzenathletin Ines Geipel spricht vom Wunsch, unanfechtbar zu sein. Andere führen den rauschhaften Endorphinausstoß im Gehirn an oder das Bedürfnis, die Besonderheit des Moments für die Ewigkeit festzuhalten, indem man sich selbst in Aktion filmt. Das Phänomen des Extremsports gibt also auch in diesem aufwendig gestalteten Film nicht alle seine Rätsel preis. Am schönsten – und auch für den normalen Outdoor-Sportfan nachvollziehbar – beschreibt vielleicht Guillaume Néry den Kick: Die erlebte Verbindung zwischen Körper, Geist und den Naturelementen habe „etwas unglaublich Magisches“.

Attention - A Life in Extremes

Vom Extremsport geht eine zwiespältige Faszination aus. Er treibt das Prinzip der Leistungsgesellschaft, deren Mitglieder nach Selbstoptimierung und dem Austesten der eigenen Grenzen streben, auf die Spitze. Der Mut der Athleten zum Risiko aber erscheint vielen absurd, nährt das Klischee vom Adrenalinjunkie, der sein Leben aufs Spiel setzt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen