Atos dos Homens

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Das Blutbad der uniformierten Banditen

Denkt man an Brasilien, dann steigen schnell Bilder der Armut und Gewalt auf: Favelas ohne fließendes Wasser, minderjährige Prostituierte, drogensüchtige Straßenkinder, Bandenkriege und Raubüberfälle. Fernando Meirelles hat vor vier Jahren einen der besten Filme über das Leben in den Elendsvierteln von Rio de Janeiro gedreht: City of God. Der brasilianische Regisseur Kiko Goifman nähert sich dem Thema Gewalt dokumentarisch und zeigt in seinem neuen Film Atos dos Homens / Acts of Men, dass nicht nur Ghetto-Kids und Mafiabanden für den Terror auf Brasiliens Straßen verantwortlich sind. Die Rede ist von so genannten „Todesschwadronen“, das sind Polizisten, die ihre Macht skrupellos missbrauchen und wie Kriminelle in Erpressungen, Entführungen und Drogenhandel verwickelt sind.

In Atos dos Homens / Acts of Men geht es um das „Massaker von Baixada Fluminense“: Eine Handvoll Militärpolizisten tötete im März 2005 insgesamt 29 Menschen in den Vorstädten Nova Iguacu und Queimados in der Nähe von Rio de Janeiro. Kaltblütig folterten, enthaupteten, erschossen die Uniformierten ihre Opfer, darunter Kinder und Frauen. Rache soll das Motiv des Blutbads gewesen sein, bestraft wurde es mit mehreren Jahren Haft. Die Polizisten fühlten sich aus ihrer Gruppe ausgeschlossen und wollten beweisen, zu was sie fähig sind. Ein Polizist erzählt über das Bandenniveau auf dem sie für „Recht und Ordnung“ sorgen, fern von Legalität und Moral.

Was sind das für Orte, an denen das Massaker stattgefunden hat, welche Menschen leben dort, was tun sie den ganzen Tag? Kiko Goifman ist studierter Anthropologe und so sind es auch die Menschen, die ihn am meisten interessieren. Er lässt sie aus ihrem Alltag erzählen: den Zeitungsjournalisten, der Unternehmer als „Gesetzesbrecher“ anklagt, den Transvestiten, der auf der Fernstraße Dutra anschafft, den Missionar, der „Jesus Christus kommt zurück“ verkündet. „Hier gibt es nichts als Computerspiele zu tun“, sagt der Inhaber eines Internetcafes und tatsächlich scheint das Leben in den Armutsvierteln rund um die Millionenstadt Rio wie in seichten Wässern vor sich hinzuplätschern.

Atos dos Homens / Acts of Men erzählt in vier Teilen über das Massaker: von dem Alltag der Einheimischen, von den Ursachen des Massakers, von den Todesschwadronen und von dem Versuch, das Erlebte zu verarbeiten. Goifman zeigt keine Gewalt, spielt keine brutalen Archivbilder ein. Keine Verletzte, keine Leichen, keine dramatische Musik – es sind die Berichte der Augenzeugen und Hinterbliebenen, die das Verbrechen aufrollen. Manche haben Angst ihr Gesicht zu zeigen. In diesen Momenten bleibt die Leinwand weiß, dann hören wir nur die verzweifelten, anklagenden, wütenden Stimmen, die über die Schüsse, die Folter, den Terror sprechen. Wir hören Mütter weinen, die ihre Söhne verloren haben, erfahren von ganzen Familien, die einfach so ausgerottet wurden.

Der Film will keine Kriegsreportage sein, sondern das Geschehen am Rande dokumentieren. Goifman geht es nicht darum, etwas aufzudecken, er entscheidet sich für das Unsichtbare. So lässt er auch Menschen zu Wort kommen, die nur am Rande etwas mit dem Vorfall zu tun hatten oder einfach nur in den Orten der Verbrechen leben. In einem Presse-Interview spricht der Regisseur von der Angst, die er beim Drehen hatte und über den Druck, den die lokale Elite auf ihn ausübte, weil sie nicht wollte, dass er die Gewalt in Baixada Fluminense thematisiert. Doch wir sehen weder die Angst oder die schwierigen Umstände unter denen der Film entstanden ist.

Atos dos Homens / Acts of Men, der im Forum der diesjährigen Berlinale lief, ist ein angenehmes Kontrastprogramm zur medialen Bilderflut über das Leid und die Verbrechen in Brasilien. Wer darüber einen reißerischen Bericht erwartet, sollte die 20-Uhr Nachrichten sehen oder die Vermischten-Meldungen lesen. Atos dos Homens / Acts of Men begibt sich an die Peripherie und zeichnet in 75 Minuten ein ruhiges, aber aufrüttelndes Zeitdokument über die Menschen, die zwischen Kriminalität und Bandenbildung, Drogen, Hunger und Bettelei ein ganz normales Leben führen wollen.
 

Atos dos Homens

Denkt man an Brasilien, dann steigen schnell Bilder der Armut und Gewalt auf: Favelas ohne fließendes Wasser, minderjährige Prostituierte, drogensüchtige Straßenkinder, Bandenkriege und Raubüberfälle.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen