Atomic Blonde

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Einfach direkt in die Fresse

Manchmal sind die besten Filme die schnörkellosen. Die, die einfach ganz geradlinig und verrotzt, dafür mit ordentlich Selbstbewusstsein ihre Geschichte erzählen. Und genau so ein Film ist Atomic Blonde. Kein Bild ist zu viel, keine Handlung unnütz. Und mittendrin prügelt sich Charlize Theron aus guten Gründen um Kopf und Kragen, eingefangenen von einem Regisseur, der selbst lange Zeit Stuntman war und weiß, wie man Körperlichkeit inszeniert: David Leitch, bekannt geworden durch den ähnlich harten, geradlinigen Film John Wick, beweist mit Atomic Blonde abermals sein Talent für abgespeckte, dreckige kleine Geschichten.
Und kaum eine ist besser für solche Geschichten geeignet als Charlize Theron. Von Monster über Aeon Flux bis zu ihrer hervorragenden Furiosa in Mad Max: Fury Road hat Theron gezeigt, dass sie eine unglaublich gute Besetzung ist für Frauen, die hart zuschlagen und auch ordentlich einstecken können, ohne jemals ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. Diese wunderbare Kombination stellt der Film nun noch in eine passende Umgebung, die die Graphic Novel, auf dem das Werk basiert, zurecht als The Coldest City beschreibt: Berlin im kalt-nieseligen Winter 1989. Es sind nur noch ein paar Tage bis zum Fall der Mauer. Die Lage ist angespannt, ja geradezu elektrisiert. Es tut sich was, das Weltgeschichte schreiben wird. Die Bürger trauen sich endlich auf die Straßen, der Kalte Krieg könnte bald beendet sein. Doch nicht jeder ist glücklich darüber. An einigen Stellen herrscht Katerstimmung oder pure Panik. Die Stadt ist auch voller Spione und einer von ihnen, Gascoine (Sam Hargrave) vom MI6, erlebt die Wende nicht mehr. Er wird von einem KGB-Gegenspieler erschossen, der ihm eine geheime Liste mit allen Doppel-AgentInnen abnimmt. Das bringt Top-Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) auf den Plan. Sie wird beauftragt, die Liste zu finden. Vor Ort erhält sie nur Unterstützung vom gerissenen, aber auch einzelgängerischen David Percival (James McAvoy), ebenfalls MI6, der schon etwas zu lange allein in Berlin operiert und die Dinge sehr eigen angeht.

Doch schon in der ersten Minute fliegt Lorraines Tarnung auf. Ihr Chauffeur ist vom KGB und es dauert keine fünf Minuten, bis sie sich körperlich zur Wehr setzen muss, um ihre Haut zu retten. Dies tut sie, aus Mangel an anderen Möglichkeiten, mit ihrem roten Absatzschuh. Das klingt nach dämlichen Klischee, ist in der Hand von Theron und Leitch aber alles andere als das. Hier tötet nicht die kühle Blonde auf eine hübsche weibliche Art. Hier geht es ums nackte Überleben und das Sterben dauert und ist übel, weil es realistisch und die Hauptfigur keineswegs die perfekte Killerin à la James Bond ist, die sich danach den Staub von der Schulter putzt und weitergeht. Und das macht den großen Unterschied in diesem Film aus, der ansonsten ein recht klassischer AgentInnen-Thriller ist, bei dem es um Verrat und doppelte Böden, um Bespitzelung und clevere Inszenierungen geht. Atomic Blonde ist vor allem in seiner Körperlichkeit ein realistischer Film. Hier werden keine Stunts vollzogen, die im echten Leben nie gelingen würden, hier überlebt die Heldin keine Verletzungen, die in der Realität jeden in die Knie zwingen. Dieser Film ist der Gegenentwurf zum überchoreographierten Spektakelkino, das James Bond und Co. etabliert haben. Hier sind alle nur Menschen. Menschen, die falsche Entscheidungen treffen, die ihre eigene Haut retten wollen, die mürbe geworden sind vom ewigen Kalten Krieg, vom Töten, vom nicht sie selbst sein. Und Lorraine ist genauso ein Mensch. Sie wird geschlagen und blutet. Ihr Körper ist geschunden und übersät mit blauen Flecken, weil sie in Kämpfe geraten ist. Ihr tut alles weh, außer das Herz. Das ist kalt geworden. Aus Selbstschutz. Und da ist sie nicht die einzige. Auch ihre KollegInnen sind durch und durch verlorene Seelen, Zombies des Kalten Krieges, vernarbte Soldaten. Außer Delphine (Sofia Boutella) vom französischen Geheimdienst. Sie ist erst ein Jahr dabei, hoffnungslos überfordert und ohne viel Erfahrung. An ihrer Rosigkeit und Wärme sieht man erst, wie schlimm es um die anderen steht.

Diese Depression und seelische Leere tragen auch den Film stets auf einer bestimmten Grundstimmung aus Nervosität und Trauer. Atomic Blonde hat durchaus amüsante Momente, doch grundsätzlich ist der Film ein Abbild einer gestörten Seele, die zu viel Schaden genommen hat und doch weiter ums Überleben kämpft. Dabei tappt er aber nicht in die Falle, in die viele der dunkleren Filme wie Batman vs. Superman gestolpert sind und verwechselt eine gewisse emotionale Düsterkeit mit Zynismus. Und er kastriert nicht seine Hauptfigur und macht sie zu einer emotionalen Zeitbombe, wie es so oft der Fall ist, wenn man einmal eine „starke Frau“ als Hauptfigur hat. Im Gegenteil, die Einbettung der gesamten Geschichte zeigt erst recht, wie bewusst sich der Film über diese Fallen ist.

Denn Atomic Blonde wird als Rückblende erzählt und die Hoheit darüber hat Lorraine. Und diese mag nicht die zuverlässigste Quelle sein, aber sie ist eine, die es schafft, die Spannung bis zum Ende zu halten und sich und ihre Handlungen dabei niemals zu rechtfertigen. Und so ist für sie und damit auch den Film selbstverständlich, dass sie nicht auf die Avancen Perceivals eingeht, sondern lieber mit Delphine anbandelt. Es ist nicht nötig zu erklären, warum sie dabei trotzdem emotional auf Distanz und ganz bei sich bleibt, anstatt dem Klischee zu erliegen, dass sie sich verliebt und damit verwundbar wird. Denn, und das ist der Unterschied zum sonst gängigen kaltschnäuzigen-Agenten-Klischee, Lorraine ist schon verwundbar. Das ist die Definition ihrer Menschlichkeit.

Atomic Blonde

Manchmal sind die besten Filme die schnörkellosen. Die, die einfach ganz geradlinig und verrotzt, dafür mit ordentlich Selbstbewusstsein ihre Geschichte erzählen. Und genau so ein Film ist „Atomic Blonde“. Kein Bild ist zu viel, keine Handlung unnütz.
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Meinungen

Martin Zopick · 30.10.2019

Wer auf martialischer Action steht, in der als finaler Rettungsschuss auch schon mal die Knarre eingesetzt wird, kommt hier voll auf seine Kosten. Man merkt, woher Regisseur David Leitch kommt. Aber abgesehen davon bleibt der Plot überschaubar. Die Graphic Novel lässt grüßen. Für uns bleibt inhaltlich der Fall der Mauer, der hier in die Chronologie eingepasst ist, noch am ehesten interessant. Das Hauptaugenmerk richtet sich aber auf die Blonde Atombombe: Charlize Theron. Sie explodiert wirklich im Kampf wie eine Bombe. Man staunt über ihre Schlagkraft oder genießt einfach, wie sie die Kerle reihenweise fertig macht und mit welchem Einfallsreichtum Lorraine das Mobiliar oder herumliegende Haushaltsgegenstände in ihre Gegner steckt. Charlize Theron hat lange trainiert und die meisten Stunts selber gemacht.
Der Kalte Krieg ist fast vorüber, aber die Geheimdienste MI6 oder CIA sind immer noch aktiv. Anstelle eines USB Sticks geht es hier halt um eine Namensliste der Agenten. James McAvoy spielt den durchtriebenen Doppelagenten, den Lorraine erst am Ende enttarnt und auslöscht, John Goodman und Toby Jones die vorgesetzten Schreibtischtäter.
Außer der Klopperei kann Lorraine aber auch Emotionen einsetzen. Sie hilft einem Stasi Spion (Eddie Marsan), der hier ein hilfloser Feigling ist, bevor sie die gesamte sowjetische Abwehr zusammenfaltet. Auch der Tod der Agentin Delphine (Sofia Boutella) geht ihr nahe. Zwei deutsche Schauspieler haben es in die Crew geschafft: Till Schweiger, der gottseidank nur drei kurze Sätze sagen muss, sowie Barbara Sukowa als mürrische Beamtin.
Charlize Theron trägt den Film. Ihre Wandlungsfähigkeit hat sie ja schon mehrfach unter Beweis gestellt. Hier zeigt sie brutale Kämpfe und weibliche Emotionen. Und bleibt dabei ganz cool.

Gerd Blum · 28.09.2017

Der Film ist nicht langweilig Ist aber nicht so, das der Zuschauer mit der Heldin wirklch mit fiebert. Ton und Bild passen oft nicht gut zusammen. Der Filmmacher hat eine vorliebe für Schwarz/Weiß . Er hätte wohl gerne den Film in Schwarz-Weiß gedreht. Hat sich leider nicht getraut.