Astronaut Farmer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wenn Träumen Flügel wachsen…

Der amerikanische Traum, dass man alles erreichen kann – er ist der Mythos, auf dem sich das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein einer ganzen Nation gründen. Auch wenn dieser Traum im zurückliegenden Jahrhundert einige Kratzer abbekommen hat, gibt es doch immer wieder Menschen, die den Pioniergeist der frühen Jahre in sich verspüren und die ihren Traum gegen alle Widrigkeiten des modernen Lebens für sich beanspruchen und in die Tat umsetzen wollen. Von einem dieser Männer, einem Helden des amerikanischen Alltags, erzählt Michael Polish in seinem Film Astronaut Farmer und wäre der Begriff eines Leinwandmärchens nicht derart überbeansprucht, so könnte man dem Film mit Sicherheit diese Bezeichnung geben.
Charles (Billy Bob Thornton) heißt nicht nur mit Nachnamen Farmer, er ist auch ein solcher. Und als sei das noch nicht Zufall genug – oder ist es Bestimmung? – lebt er in einem kleinen Örtchen irgendwo in Texas, das den Namen Story trägt. Es ist – wir ahnen es – ein Ort, an dem Geschichten wie diese wahr werden. Seit seinen Kindheitstagen träumt Charles davon, den Weltraum zu erobern. Und selbst als er nach dem Tod seines Vaters die elterliche Farm übernehmen musste, ist der Landwirt wie besessen von seinem Traum, der von seiner Ehefrau Audie (Virginia Madsen), den Kindern und seinem Schwiegervater Hal (Bruce Dern) mitgetragen wird. Das zur Weltraumreise benötigte Gefährt – ein Nachbau der in den sechziger Jahren eingesetzten Mercury-Rakete – entsteht auf der Farm, wo auch die Bodenstation für die „mission impossible“ beheimatet ist. Im Ort weiß man um den verträumten Charles und seine hochfliegenden Pläne und belächelt das Ganze als Spinnerei – schließlich bedarf es in der USA einer riesigen Organisation wie der NASA und eines gewaltigen finanziellen Aufwandes, um ins All zu fliegen. Die ungeheuerliche Menge von 10.000 Litern Treibstoff, die Charles unter Mobilisierung aller finanziellen Reserven ordert, ruft jedoch die Sicherheitsbehörden auf den Plan – wer mag in Zeiten einer terroristischen Bedrohung schon an den Ausflug eines Farmers in den Weltraum glauben. Im Schlepptau des FBI rollt schließlich auch die Medienkarawane nach Texas, um über Astronaut Farmer und sein waghalsiges Unternehmen zu berichten. Der hat allerdings andere Sorgen, denn langsam gehen die Ersparnisse der Familie zur Neige und es droht die Zwangsversteigerung der Farm. Aus der harmlosen Spinnerei ist längst eine gefährliche Obsession geworden, doch Charles weigert sich, den Traum vom Fliegen aufzugeben…

Obgleich der Film auf den ersten Blick nichts mit der Weihnachtszeit zu tun hat, so passt Astronaut Farmer in die kalte Jahreszeit wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Träumerisch, zutiefst menschlich und zu Herzen gehend und mit einer golden schimmernden Oberfläche appellieren die Zwillingsbrüder Polish – Michael führt Regie und hat das Buch gemeinsam mit Mark ersonnen, der auch produziert hat – an die Macht des Träumens und an das Kind im Manne. Die charmante Naivität der Geschichte wird gemildert durch kluge Beobachtungen und bissige Seitenhiebe auf die in den USA allgegenwärtige Terrorangst, die Schamlosigkeit der Medien, auf Neid, Missgunst und Zynismus. Man mag diesem Film seine Kindlichkeit und Naivität als Nachteil auslegen und sich über das Hochhalten der Familienwerte dieses Films mokieren, doch er erinnert uns zugleich daran, dass das Kino schon immer auch ein Ort war, an dem das Träumen erlaubt ist. Und wer träumt, dem wachsen Flügel…

Astronaut Farmer

Der amerikanische Traum, dass man alles erreichen kann – er ist der Mythos, auf dem sich das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein einer ganzen Nation gründen.
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