Antons Fest

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Familienaufstellung in der Uckermark

Eskalierende Familientreffen sind ein beliebtes Filmthema, für das Thomas Vinterbergs Das Fest wohl als prominentester Vertreter zu nennen wäre. Zwar verzichtet John Kolya Reichart in Antons Fest auf erschütternde Enthüllungen wie sie in Vinterbergs Film zu finden sind, doch nutzt auch er ein Familienfest als Katalysator für schwelende Konflikte.
Anton lädt seine Familie zu seinem 30. Geburtstag auf einen Hof in der Uckermark ein. Alle kommen, sogar Vater Bernhard (Oliver Törner), der sich eigentlich vor 20 Jahren aus dem Staub gemacht hat. Nur einer fehlt: Anton. Während sie warten, geraten die Gäste in Konflikte. Schwester Marla (Natalia Rudziewicz) kritisiert die ödipale Krise ihres Bruders Tilmann (Matthias Lier), der mit über 30 noch immer bei der Mutter (Brigitte Böttrich) wohnt und Frohnatur Jule (Milena Dreißig) gerät mit dem Gutsbesitzer Achim aneinander. Antons Exfreundin Ewa (Alexandra Finder) bringt die Tagebücher des verschollenen Gastgebers in Umlauf und bohrt damit in offenen Wunden. In kürzester Zeit wird aus dem Familientreffen ein Schlachtfeld, das niemand unversehrt verlassen wird.

Bei seiner Inszenierung dieses Dramas hat sich John Kolya Reichart für einen sperrigen Stil entschieden. Die Handkamera ist immens instabil und in Zusammenspiel mit der Unschärfe vieler Bilder geradezu schwindelerregend. Kameramann Dominik Berg sucht extreme Nähe zu den Protagonisten und verzichtet vollständig auf Totalen. In der Folge hat der Zuschauer bis zum Ende keine genaue Vorstellung von der Beschaffenheit des Ortes. Das Gutshaus wirkt wie ein Labyrinth. Auch bei Dialogen oder Szenen körperlicher Auseinandersetzungen bleibt die Kamera auf einzelne Personen gerichtet, wobei das Bild nicht zwingend Gesichter, sondern zuweilen auch Beine oder andere Teilausschnitte zeigt. Mit diesem Stil verleiht John Kolya Reichart den Ereignissen etwas Chaotisches und schwer Kontrollierbares. Auf der Interpretationsebene ließe sich argumentieren, dass diese Eindrücke durchaus den Kern der Geschichte treffen. Immerhin sind die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder durchaus verworren. Doch ob schlüssig oder nicht, mit diesem Konzept macht der Regisseur es seinem Publikum ziemlich schwer, die Ereignisse aufmerksam zu verfolgen.

Die dokumentarisch wirkende Kameraarbeit steht in starkem Kontrast zu den Charakteren, die sehr klischeehaft daherkommen. Da gibt es das FDP-wählende Muttersöhnchen, den arroganten Hipster und die übergriffige Gute-Laune-Fee mit Helfersyndrom. So richtig natürlich wirken diese Menschen nicht, eher wie Figuren einer Familienaufstellung. Auch einzelne Handlungsfragmente erscheinen zweifelhaft: Weshalb ist Antons Exfreundin mit von der Partie? Wie kommt Yoga-Lehrerin Jule in dem fremden Umfeld spontan zu einer ganzen Unterrichtsklasse? Während der Stil Authentizität verspricht, stellen sich die Inhalte als bedauerlich konstruiert heraus.

Was in Antons Tagebüchern geschrieben steht, bleibt ein Geheimnis und auch die übrigen Konflikte werden lediglich angedeutet. Es scheint, als ginge es hier weniger um das Erzählen einer Geschichte als um die Orchestrierung der einzelnen Figuren. Dies ist vermutlich auf die Entstehungsgeschichte des Films zurückzuführen. Regisseur John Kolya Reichart und Drehbuchautor Frank Hoffman entwickelten zunächst getrennt voneinander einzelne Charaktere, um sie dann gemeinsam zu einem System, einer Handlung zusammenzufügen. Leider hat dieses Vorgehen weder überzeugende Figuren noch eine packende Handlung hervorgebracht.

Antons Fest bläht sich mit seinem auffälligen Stil und den zahlreichen Andeutungen auf unausgesprochene Konflikte zu einer riesigen Bedeutungsblase auf, die schließlich ergebnislos in sich zusammensackt anstatt dem Zuschauer mit großem Knall ein Aha-Erlebnis zu schenken. Ratlosigkeit macht sich breit und bleibt auch nach dem Abspann bestehen, der endlich die Totale zeigt, nach der sich das Publikum nun 90 Minuten gesehnt hat. Diese finale Einstellung wirkt wie eine Befreiung und während sich die Protagonisten ihrer Kleidung entledigen, um in einen See zu steigen, kann auch das Publikum endlich aufatmen. Dieses Familientreffen war anstrengend – für alle Beteiligten.

Antons Fest

Eskalierende Familientreffen sind ein beliebtes Filmthema, für das Thomas Vinterbergs „Das Fest“ wohl als prominentester Vertreter zu nennen wäre. Zwar verzichtet John Kolya Reichart in „Antons Fest“ auf erschütternde Enthüllungen wie sie in Vinterbergs Film zu finden sind, doch nutzt auch er ein Familienfest als Katalysator für schwelende Konflikte.
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